Zu dieser Webseite (2015)

Der vollständige Titel der im Jahr 2000 von mir – Andreas Peglau – und dem ich e.V. herausgegebenen Publikation lautet: Weltall, Erde, …ICH. Anregungen für ein (selbst)bewussteres Leben, gesammelt zwischen DDR-„Wende“ und Jahrtausendende.

So viel Überschrift schien gerechtfertigt für ein so dickes Buch: 480 Seiten im A4-Format mit den wichtigsten Beiträgen aus den zwischen 1990 und 1998 entstandenen 32 Ausgaben von „ICH – die Psychozeitung“ bzw. „ICH – Zeitung für neue Lebenskultur“.

Das im Ulrich Leutner Verlag Berlin erschienene Werk ist mittlerweile nur noch antiquarisch erhältlich. Schon deshalb lohnt es sich, den Inhalt hier weiter publik zu machen.

2000 habe ich diesen Inhalt so zusammengefasst:

Als Ausgangspunkt. DDR ´90 dienen, auf unterschiedliche Weise artikuliert, Befindlichkeiten von typischen ICH-Lesern und -Leserinnen: (Ex)DDR-Bürgern und -Bürgerinnen, für die „Wende“ und „Wiedervereinigung“ tiefe, aber längst nicht nur positive Einschnitte bedeuteten.

In den Rückblicken wird daher zunächst nach Wurzeln der gesellschaftlichen Entwicklung gesucht, die zum Scheitern sozialistischer Ideen beitrugen: in psycho-sozialen Zusammenhängen innerhalb von Familie und Gesellschaft, Stalinismus und Faschismus, von Medizin und Psychiatrie, Industriegesellschaft und Patriarchat. Gefunden wird aber sehr viel mehr als das: Entwicklungslinien, Traditionen, Prägungen, die sich mit dem Ende der DDR keinesfalls erledigt haben.

In den Ausblicken werden daraus Möglichkeiten abgeleitet, diskutiert (und mit der gegenwärtigen Realität verglichen), wie individuelle und gesellschaftliche Entwicklungen konstruktiver zu gestalten wären. Verschiedene Phasen und Aspekte unseres Lebens bilden die Schwerpunkte dieses bei weitem umfangreichsten Buchteils: Von Schwangerschaft und Geburt über Pädagogik, Selbsthilfe und Therapie, Partnerschaft und Sexualität, gemeinschaftliches Leben und Arbeiten, Medizin und Ökonomie – bis hin zur Suche nach Weltbildern und Lebenszielen, die über jene von real existiert habendem Sozialismus und real existierender Marktwirtschaft hinausgehen.

Dabei stehen „klassische“ Texte aus Psychoanalyse und Belletristik neben Interviews mit und Beiträgen von heutigen Vertretern verschiedener Wissensgebiete (Psychologie, Psychotherapie, Medizin, Naturheilkunde, Soziologie, Sozialarbeit, Pädagogik, Ökologie, Geowissenschaft, Ökonomie, Hexen- und Matriarchatsforschung, Theologie …).

Standpunkte von Fachleuten und Journalisten treffen auf Gegenmeinungen von Leserinnen und Lesern und werden ergänzt durch sehr persönliche Erfahrungsberichte; Kurzgeschichten (von Schriftstellern, Leserinnen und Lesern), Liedtexte, Gedichte fügen ebenso eigene Blickwinkel hinzu wie ausgewählte Fotos, Zeichnungen, Karikaturen.

Aus der Analyse individueller Lebensgeschichte(n) und menschlicher (Vor)Geschichte wird unsere gegenwärtige Situation verständlicher – und Vorschläge für die zukünftige Gestaltung unseres Zusammenlebens ableitbar. Und nebenbei entsteht beim Lesen das lebendige Porträt eines DDR-„Wende“-Projektes.

(Wer lesen möchte, was ich im März 2000 insgesamt „Zu diesem Buch“ geschrieben habe, bitte hier klicken.) 

Fünfzehn Jahre nach Erscheinen des Buches bin ich jetzt beim Neugestalten der dazugehörigen Webseite die Beiträge noch einmal durchgegangen. Dabei ist mir klargeworden: Die meisten der angesprochenen Probleme haben sich mitnichten erledigt, vieles hat sogar neue Aktualität bekommen.

Warum?

Der Zusammenbruch des sozialistischen Weltsystems führte nicht zur erhofften internationalen Entspannung. Spätestens seit sich 2014 die Ukraine-Krise zuspitzte, befinden wir uns wieder im Kalten Krieg. Der zudem in einen „heißen“, sogar in einen Atomkrieg umschlagen kann, auch hier in Mitteleuropa. „Wenn angesichts dieser angeheizten Stimmung einer die Nerven verliert, werden wir die nächsten Jahre nicht überleben“, konstatierte Michail Gorbatschow am 12.1.2015 im Spiegel.

Das Soziale der Marktwirtschaft, vermutlich nicht zuletzt wegen der Konkurrenz mit den sozialistischen Ländern für nützlich befunden, wurde seit den 1990er Jahren zurückgedrängt zugunsten des „Neoliberalismus“. (Zum dazu benötigten „Marketing“-Charakter siehe die Beiträge von Rainer Funk, zu weiteren Folgen dieser Art des Wirtschaftens u.a. ein Gespräch mit Bernd Senf).

Das damit zusammenhängende, kaum gebremste Hineinsteuern in eine Klimakatastrophe, der bei den Europawahlen im Mai 2014 zu registrierende „Rechtsruck“ (siehe Anregungen zu einer Psychoanalyse des europäischen „Rechtsrucks“), die Verstrickungen des deutschen Staates in internationale Konflikte – erinnert sei hier nur an die Waffenexporte –, die Unterstützung der USA in deren größenwahnsinnigen Streben nach Weltherrschaft, das sind weitere Punkte, die zeigen: Gesellschaftliche Alternativen sind immer noch dringend erforderlich, dringender, als es 1990 den Anschein hatte.

Die Chance zum Gestalten einer solchen Alternative lag auch in der deutsch-deutschen Wiedervereinigung. Es mag unwahrscheinlich gewesen sein, aber es wäre nicht unmöglich gewesen, Wertvolles aus BRD und DDR zu einer neuen Einheit zu verschmelzen und die missratenen Anteile beider Systeme zu reduzieren. Stattdessen wurde dem Osten das unhinterfragte Westsystem übergestülpt.
Inzwischen wird die DDR vielfach in primitiver Weise verteufelt. Ihre Vorzüge – wie die im Vergleich zum Westen konsequentere „Entnazifizierung“, die abgeschaffte privatkapitalistische Ausbeutung, die Sicherheit von Arbeitsplätzen, die stärkeren sozialen Bezüge, die größere Gleichberechtigung der Frauen, die umfangreichen Angebote zur Kinderbetreuung, die geringeren Einkommensunterschiede, die weniger ausgeprägte Konsumsucht – werden als unbedeutend abgetan.

Die Auseinandersetzung mit der DDR spielte im Weltall, Erde, …ICH-Buch nicht die Hauptrolle. Doch schon die Tatsache, dass wir uns um eine realitätsgerechte, weder nostalgische noch pauschal verdammende Reflektion ostdeutschen Lebens vor 1991 bemühten, hat vor dem beschriebenen Hintergrund eine zusätzliche Bedeutung bekommen: Hemmschuh zu sein für die grassierende Verdrängung dieses Abschnittes deutscher Geschichte.

Mehr als 25 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer lassen sich zudem die an der Beurteilung der Deutschen Demokratischen Republik geschärften Maßstäbe nun kompetent auf das vereinigte Deutschland anwenden.

BRD 2014 ist nicht identisch mit DDR 1989 – aber in beiden Fällen geht es um Sozialgebilde mit eklatanten Missständen. Freilich haben unter den aktuellen hiesigen Missständen bislang am massivsten Menschen zu leiden, die zum Beispiel am Hindukusch oder in Donezk leben: Unser Wohlstand und unsere Freiheiten basieren nicht zuletzt auf Verarmung, Unterdrückung und Terror, den unser Staat im Bund mit USA, NATO, EU und Internationalem Währungsfond in andere Länder trägt. Doch die auf diese Weise andernorts entfachte oder gesteigerte Destruktivität dürfte irgendwann zurückschlagen. Ein Grund mehr, hier vor Ort gesündere Verhältnisse zu schaffen und konstruktiver auf die globalen Prozesse einzuwirken.

Dazu bedarf es nicht nur politischer Veränderungen. Bereits 1934 hat Wilhelm Reich in der zweiten Auflage der Massenpsychologie des Faschismus festgehalten:

„Versucht man die Struktur der Menschen allein zu ändern, so widerstrebt die Gesellschaft. Versucht man die Gesellschaft allein zu ändern, so widerstreben die Menschen. Das zeigt, dass keines für sich allein verändert werden kann.“ 

Die notwendigen gesellschaftlichen Entwicklungen werden sich deshalb – auch in Deutschland – nur dann auf nachhaltige Weise realisieren lassen, wenn neben Umwälzungen in Produktions- und Besitzverhältnissen genau jene Aspekte stärker einbezogen werden, die im Mittelpunkt von weltall-erde-ich.de stehen.

Ein (selbst)kritisches Hinterfragen unserer Lebensumstände und des Anteils, den wir an deren Zustandekommen haben, ist dazu erneut unvermeidbar. DDR-„Wende“ und Nachwendezeit waren bei vielen Menschen angefüllt von derartigen Anstrengungen; auf dieser Webseite ist manches davon dokumentiert. Daran lässt sich anknüpfen.

Schauen wir also noch einmal nach, welche damaligen Hoffnungen, Ideen, Konzepte, Visionen Realität geworden sind – und welche nicht. Aber auch: welche Befürchtungen sich bewahrheitet haben.

Bereits im Frühjahr 1990 bezeichnete Hans-Joachim Maaz das anhaltende Verdrängen aufgestauter Gewaltbereitschaft in Ost- und Westdeutschland als „Zeitbombe“, müsse man deshalb doch

„immer noch Gegner haben, Feinde, um sich von der inneren Not abzulenken. Da wird es auch sehr bald wieder neue Ideologien geben, weshalb es richtig ist, gegen dieses oder jenes zu sein, oder weshalb diese oder jene Menschen die Bösewichter sind – was sich schon andeutet, mit Ausländerfeindlichkeit, Rechtsradikalismus oder auch Haß gegen Rechtsradikale. Das sind die neuen Sündenböcke.

Die alten Feindbilder stimmen nicht mehr – aber die Armee ist da. Es muss also nahezu ein neuer Feind geschaffen werden. Wir können darauf warten, dass regelrecht Konflikte geschürt werden, damit die Armeen und die Rüstung wieder einen Grund haben können, bestehen bleiben zu dürfen.“ (vollständiges Interview hier)

Leider war diese Besorgnis nur allzu berechtigt. Deutsches Militär ist längst wieder außerhalb der Staatsgrenzen aktiv, 2014 überboten sich führende deutsche Medien und Politiker in martialischem Getöse. Seit Kindheit angestaute Wut und dumpfe Fremdenfeindlichkeit sind inzwischen – gekoppelt mit realer Existenzunsicherheit und nachvollziehbarer Medien- und Politik(er)verdrossenheit – eine explosive Verbindung eingegangen; „Pegida“ bringt sie auf die Straße. 29% der Deutschen haben dafür Verständnis, 13% würden mitmachen. Und es sind entgegen medialer Etikettierungen keinesfalls nur „Rechte“, die dort marschieren – das Problem geht viel tiefer.

Doch hinter all dem stecken keine unbeeinflussbaren Gegebenheiten, keine asozialen Triebe, wie sie Freud fälschlich zu erkennen meinte, keines der angeblich „objektiv“ wirkenden Entwicklungsgesetze, an die Marx glaubte. Was wir erleben und erleiden, ist das Resultat des – nicht zuletzt neurotischen – Zusammenwirkens von uns allen: ein zentrales Thema von weltall-erde-ich.de.

Und: So wie es ist, muss es nicht bleiben. Tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen mögen noch so unvorstellbar erscheinen, möglich sind sie trotzdem. Gerade die DDR-„Wende“ und der darauf folgende Zusammenbruch des sozialistischen Weltsystems haben das bewiesen.

Ob das, was da zusammenbrach, tatsächlich „sozialistisch“ war, erscheint mir allerdings weiterhin fraglich. Von einem Gemeinwesen, in dem „die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist“, waren wir jedenfalls weit entfernt. Und sind es heute immer noch, wenn auch auf andere Weise.

Aber genau darum geht es auf dieser Webseite: um notwendige Voraussetzungen für eine Gesellschaft, die die gesunden Bedürfnisse der Individuen anerkennt, befriedigt und zur Richtschnur für die soziale Entwicklung nimmt.

 

Bild[1]   Andreas Peglau, Berlin, 15. Januar 2015

 

PS 1: Diese Webseite steht in enger Beziehung zu meiner persönlichen Webseite, überlappt bzw. ergänzt sich wechselseitig mit dieser: http://andreas-peglau-psychoanalyse.de/

Für Rückmeldungen zu beiden Seiten kann die Email-Adresse info@andreas-peglau-psychoanalyse.de genutzt werden.

PS 2: Für die Gestaltung des Weltall, Erde,… ICH-Buches und der ersten Version dieser Webseite danke ich Alexander Quint, Bad Muskau, für entscheidende Hilfe beim Zustandekommen der neuen Version Jan Petzold aus Berlin.

 

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