Über zwei Bücher, die Ignoranten und Fälscher mit Doktorhüten vorstellen – und eines, das zeigt, dass Wissenschaft auch ihrem Namen gerecht werden kann.
von Andreas Peglau
Die große Enttäuschung über Politiker und Politik haben hierzulande viele schon hinter sich. Obwohl daraus nicht automatisch Ansätze für selbstbewussteres Leben entstehen, ist diese Ent-Täuschung doch eine notwendige Voraussetzung dafür. Aber auf einem anderen Gebiet ist eine derartige Neu-Orientierung genauso notwendig: in unserem Verhältnis zur Wissenschaft. Das, was uns Politiker als „einzig mögliche Lösung“ vorsetzen, ist in Wirklichkeit (auch) Ausdruck ihrer persönlichen Bedürfnislage und Charakterstruktur. Für das, was uns Wissenschaftler als objektive Wahrheiten anzubieten haben, gilt im Prinzip das Gleiche. Auch das „wissenschaftliche Weltbild“ steht auf spürbar subjektiveren – und wackligeren – Füßen, als es vorgibt.
Wissenschaftler als Ignoranten
„Fünf Jahre lang, zwischen Dezember 1903 und September 1908, behaupteten zwei junge Fahrradmechaniker aus Ohio, daß sie eine Flugmaschine gebaut hätten, die schwerer sei als Luft, und daß sie diese erfolgreich geflogen hätten. Trotz hunderter öffentlicher Demonstrationen, eidesstattlicher Erklärungen ortsansässiger Würdenträger und Fotos, welche die beiden fliegend zeigen“, glaubte ihnen weder die breite Öffentlichkeit, noch die etablierte Wissenschaft. Heuten gelten die Gebrüder Wright – denn um die handelte es sich – zwar als Helden des menschlichen Forscherdrangs, damals hielt man sie vorwiegend für ausgemachte Spinner – deren Behauptungen nicht einmal wert waren, vor Ort überprüft zu werden. Die Öffentlichkeitsvertreter in Medien und Politik beriefen sich auf ihren „gesunden Menschenverstand“, um ihre Ignoranz zu begründen – und auf die Wissenschaft. Zum Beispiel auf Simon Newcomb, Professor für Astrologie und Mathematik, der etwa zeitgleich mit den ersten Flügen der Wrights in einem Artikel des Independent wissenschaftlich bewiesen hatte, daß der gesteuerte Motorflug „völlig ausgeschlossen sei.“ Oder auf den Chefingenieur der US-Marine, Konteradmiral George Melville, der im North American Review lang und breit – und wissenschaftlich – begründet hatte, warum jeder Versuch, zu fliegen „absurd“ sei.
Aber selbst 1906, als auch die wissenschaftliche Welt der USA die Berichte über die Fliegerei in Ohio nicht mehr überhören konnte, verwies sie dieselben in einer ihrer wichtigsten Publikationen, dem Scientific American, immer noch ungeprüft ins Reich der Lüge. Dafür mußte diesmal ein anderes Argument herhalten: „Wenn solche sensationellen und ungeheuer wichtigen Experimente in einem Bereich durchgeführt werden, an dem so gut wie jeder ein starkes Interesse hat, wie soll man dann glauben, daß der kühne amerikanische Reporter nicht alles über sie ermittelt und schon längst an die große Glocke gehängt hätte?“
(Dieses Vorgehen – erst etwas für falsch, und daher nicht-berichtenswert zu erklären und dann mit der Tatsache, daß nicht darüber berichtet wird, zu begründen, warum es falsch sein muß, – ist nicht nur unseriös, sondern auch zutiefst „unwissenschaftlich“: Statt die Realität zu untersuchen, wird nur das eigene Vorurteil, die eigene Erwartung durch passend scheinende Begründungen untermauert. Darauf wird noch zurückzukommen sein.)
Wilbur und Orville Wright waren Amateure, wissenschaftliche Laien. Vielleicht beruhte darauf der anmaßende Umgang mit ihrer Erfindung? Aber auch ausgesprochenen „Koryphäen“ erging es ebenso.
„Im Jahre 1879 schwamm Thomas Edison, von der Presse als ‚Napoleon der Wissenschaft‘ und als ‚Zauberer des Menlo Park‘ (Standort seines Labors – A.P.) gefeiert, auf einer Welle öffentlicher Schmeichelei und Popularität. Zu diesem Zeitpunkt hatte er schon mehr als 150 Erfindungen patentieren lassen. Zu ihnen gehörten der Börsen-Bandticker, der Vierkanaltelegraph und der Phonograph.“ Aber dann verlegte er sich auf ein Gebiet, auf dem schon etliche bekannte Forscher gescheitert waren: das elektrische Licht. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern allerdings konnte Edison nach einem Jahr mühseliger Laborexperimente stolz verkünden, ihm sei die Erfindung einer funktionsfähigen Glühlampe gelungen. Und dann ging es los:
„Englands bekanntester Elektroingenieur, Sir William Siemens, der sich seit Jahrzehnten mit dem Problem der elektrischen Beleuchtung beschäftigt hatte, sagte: ‚Solch aufsehenerregende Ankündigungen sollten als der Wissenschaft unwürdig und als schädlich für ihren wirklichen Fortschritt mißbilligt werden.‘ … Ein gewisser Professor Du Moncel sagte: ‚Da muß man schon alle amerikanischen Zeitungsenten vergessen haben, um solchen Behauptungen Glauben zu schenken. Der Hexenmeister vom Menlo Park scheint mit den Besonderheiten der Elektrowissenschaft nicht vertraut zu sein. Edisons Ideen bedeuten für uns Rückschritt.‘ Der namhafte Spezialist für Lichtbogenbeleuchtung, Edwin Weston, meinte, Edisons ’so offensichtlich absurde‘ Behauptungen seinen ein deutlicher Hinweis für sein mangelndes Wissen über den elektrischen Stromkreis und die Prinzipien, denen Konstruktion und Betrieb elektrischer Maschinen gehorchen.'“ Und auch Sir William Preece, leitender Ingenieur der britischen Post, erklärte dem erlauchtesten Wissenschaftsgremiums Englands, der Royal Society, Edisons Lampe sei „eine völlig absurde Idee“.
Sogar als Edison mit seinen Lampen alle Straßen in der Nähe seines Laboratoriums in New Jersey erleuchtete, als „erstmalig in der Geschichte die Nacht elektrisch erhellt“ wurde, kamen zwar endlich „Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens von weit her, um dieses Schauspiel zu erleben; aber kein Wissenschaftler war der Einladung Edisons zu seiner Vorführung gefolgt. Nicht einmal Professor Henry Morton, der ganz in der Nähe wohnte und Edison persönlich kannte, hielt es für nötig, sich auf den kurzen Weg zu begeben, um Zeuge dieses historischen Ereignisses zu werden. Statt dessen schrieb er, daß er sich ‚im Interesse der wahren Wissenschaft‘ veranlaßt sehe, ‚zu erklären‘, daß Edisons Experimente ‚ein deutlicher Fehlschlag seien, der nun als großartiger Erfolg ausposaunt werde. Ein Betrug an der Öffentlichkeit.'“
War das, was den Gebrüdern Wright und Thomas Edison widerfahren ist, ein Einzelfall? Ist Ignoranz und Überheblichkeit führender Wissenschaftler gegenüber Neuem eine Ausnahme? Offenbar nicht. In die Geschichte eingegangen ist das Urteil des seinerzeit angesehensten britischen Naturwissenschaftlers Lord Kelvin über die 1895 von Wilhelm Röntgen entdeckten Strahlen: „Ein geschickter Schwindel!“ Ähnliches ließe sich u.a. berichten von dem englischen Ingenieur Charles Parsons, dessen Erfindung eines Turbinenantriebs für Schiffe jahrelang für Phantasterei erklärt wurde, über Nikola Tesla, der zwar durch die Nutzung des Wechselstroms weltberühmt wurde, aber mit zahlreichen anderen Neuerungen nur auf Diffamierungen stieß, oder über John Baird, der 1926 bedeutenden britischen Wissenschaftlern eine Früh-Form des Fernsehfunks (erfolglos) präsentierte. Auch der junge Guigelmo Marconi, später gefeierter Erfinder des Radios, war von dem prominenten Physiker Heinrich Hertz gewarnt worden, „daß er mit seinen Experimenten mit dem drahtlosen Rundfunk ’nur seine Zeit verschwende'“. In der vierziger Jahren wurde der amerikanische Präsident Truman von Admiral William Leahy wie folgt aufgeklärt: „Die Atom-Bombe wird niemals detonieren, und ich spreche als Sprengstoffexperte.“ Und: „Im Jahre 1957 wurde der britische Hofastronom Sir Harold Spencer Jones von einem Journalisten über die Aussichten in der Raumfahrt befragt. Jones sagte: ‚Raumfahrt ist Quatsch.‘ Zwei Wochen später wurde Sputnik 1 von den Russen in seine Erdumlaufbahn geschossen.“
Diese Reihe läßt sich nahtlos bis in die Gegenwart fortführen: über die Verbrennung der Bücher und Apparate Wilhelm Reichs Ende der fünfziger Jahre in den USA, bis hin zur Diskreditierung der von Stanley Pons und Martin Fleischmann entwickelten kalten Kernfusion oder der Gaia-Theorie des Geowissenschaftlers James Lovelock. Lovelocks Annahme, daß die Erde ein lebender, sich selbst steuernder Organismus ist, wird von wissenschafts-offizieller Seite immer noch belächelt, obwohl mehrere aus dieser Theorie abgeleitete Hypothesen längst bestätigt wurden.
Was hindert diejenigen so heftig, neue Erkenntnisse zuzulassen, deren eigentliche Aufgabe doch gerade im Bereitstellen neuer Erkenntnisse bestehen müßte, im Wissen-Schaffen?
Richard Milton, der Autor des Buches “ Verbotene Wissenschaften“ (aus dem die angeführten Zitate stammen), nähert sich auf folgende Weise einer Erklärung dieses Phänomens: „Man denke beispielsweise an die in Minnesota durchgeführte Meinungsumfrage, bei der 585 Menschen gefragt wurden: ‚Sind Sie der Meinung, daß ein Zusammenhang zwischen Zigarettenrauchen und Lungenkrebs erwiesen ist oder nicht?‘ Die Umfrage zeigte, daß sich die Einstellungen von Rauchern und Nichtrauchern erheblich voneinander unterschieden. Von den Nichtrauchern glaubten 29 Prozent, daß ein Zusammenhang erwiesen sei, 55 Prozent hielten ihn nicht für erwiesen. Die starken Raucher vertraten ganz andere Ansichten. Nur sieben Prozent von ihnen sahen einen solchen Zusammenhang, und sage und schreibe 86 Prozent hielten ihn für nicht erwiesen.“
Ähnliche Effekte hat in der Mitte dieses Jahrhunderts der amerikanische Psychologe Leon Festinger beschrieben und sie als Versuch erklärt, eine unerträgliche Verunsicherung, eine Gefährdung haltgebender Lebensmaximen oder Überzeugungen zu bewältigen. Auf die Raucher angewandt: Gleichzeitig sich die medizinischen Belege für nikotin-verursachten Lungenkrebs bewußt zu machen und trotzdem drei Schachteln Marlboro pro Tag zu inhalieren, ist psychisch schwer aushaltbar. Entweder ich höre auf zu rauchen – oder ich ignoriere, verdränge oder diffamiere das, was mich dazu veranlassen könnte. Letzteres ist die üblichere, normal-neurotische Verfahrensweise.
Und wie reagiert wohl ein Wissenschaftler, der Jahrzehnte seines Lebens auf der Basis eines als gesichert geltenden Forschungsansatzes gearbeitet hat, der darüber studiert, promoviert, habilitiert, publiziert, doziert hat, und der mit der Bearbeitung dieses Ansatzes sein Geld verdient – wie reagiert er wohl, wenn ihm dann jemand verkündet: Alles umsonst! Die Wahrheit liegt ganz woanders … Oder: Was dir die ganze Zeit nicht geglückt ist, was du daher für unmöglich gehalten hast – bei mir funktioniert´s!
Es gibt keinen Grund, anzunehmen, daß Wissenschaftler seelisch gesünder sind als der Bevölkerungsdurchschnitt. Daher gibt es auch keinen Grund zu der Annahme, sie würden mit solchen Mitteilungen konstruktiver umgehen, als Kettenraucher mit Informationen über das reale Krebsrisiko.
Und natürlich kommen zu diesen seelischen Abläufen noch handfeste ökonomische und Machtinteressen hinzu. Allein in Großbritannien werden jährlich fünf Milliarden Pfund für wissenschaftliche Arbeit ausgegeben. In den USA ist jedes aufwendigere Forschungsvorhaben nahezu untrennbar mit Regierungs- und Millitäraufträgen verknüpft oder durch die großen Konzerne finanziert. Wo immer in den Industrieländern offiziell geforscht wird, sind Institutionen mit im Spiel, deren Ziele eher in Machterhalt und Profitmaximierung liegen, als in brotloser Wahrheitssuche.
Als Hüter der Wahrheit sind Wissenschaftler also nicht besser geeignet, als jeder andere. Auch sie erforschen und fördern vorwiegend, was ihre bisherigen Einstellungen am wenigsten gefährdet. Auch sie richten ihr Augenmerk vorzugsweise auf das, was ihnen in den Kram, in die Hypothese oder in die Berufslaufbahn paßt oder was ihr gutes Verhältnis zu ihrem Chef nicht gefährdet. (Selbstverständlich gibt es unter den Wissenschaftlern etliche Ausnahmen von dieser Regel – wie in allen anderen Berufsgruppen.) Und gerade da, wo sie am kompetentesten sind, auf ihrem Spezialgebiet, dem sie ihr Prestige in erster Linie verdanken, muß es ihnen am schwersten fallen, unbequeme Wahrheiten zuzulassen. Damit ist eine Behinderung neuer Erkenntnisse ebenso vorprogrammiert wie eine Beschränkung ganzheitlicher Forschung. Jede zusätzliche Wirkung, die in ein Experiment einbezogen würde, könnte die mühsam herbeigeforschten „Gesetze“ zum Einsturz bringen. Was auf diese Weise an Gesetzmäßigkeiten zustandekommt, ist dann allerdings nur noch sehr begrenzt auf die Realität anwendbar, wie ein weiterer Blick in die Wissenschaftsgeschichte zeigt.
Wissenschaftler als Fälscher
Prüfstein „richtiger“ Wissenschaft ist bekanntermaßen das Experiment. Wirklich gültige Experimente müssen so durchgeführt und beschrieben werden, daß sie unter gleichen Bedingungen von verschiedenen Experimentatoren wiederholt werden können. Und erst wenn sie dabei zu den gleichen Resultaten führen, gelten diese Resultate als wissenschaftlich abgesichert. Hatten wir ja alles in der Schule. Auch, daß der erste Experimentator, der diesen Maßstäben nachweislich genügte, Galileo Galilei war. Zitat aus einem Physikbuch: „Galilei ist sich völlig darüber im klaren, daß jedes Experiment angemessen durchgeführt werden muß … Jedes Experiment ist ohne wissenschaftliche Bedeutung, wenn nicht alle Größen, die im Spiel sind, genau gemessen werden können. Die Sorgfalt und Genialität, die Galilei bei seinen Messungen an den Tag legte, gehören sicherlich zu den bemerkenswertesten seiner auch ansonsten außergewöhnlichen Eigenschaften.“
Allerdings: Die wichtigsten Experimente, die Galilei zugeschrieben werden – und auf denen ein gut Teil unseres physikalischen „Wissens“ beruht – hat er niemals durchgeführt, wie sich in Frederico Di Trocchios Buch „Der große Schwindel“ nachlesen läßt.
Gelegentlich macht Galilei in seinen Schriften seinen diesbezüglichen Standpunkt recht deutlich, wenn er zum Beispiel einen fiktiven Gesprächspartner zurechtweist: „Es ist nutzlos, das Experiment zu machen, wenn ich es Euch sage, dürft Ihr mir glauben.“ Dieses autoritäre Statement Galileis bezieht sich auf den Versuch, bei dem eine Kanonenkugel mehrfach von einem Schiffsmast geworfen werden sollte. Er war sich sicher, daß sie jedesmal direkt neben dem Mastbaum aufschlagen würde – obwohl sich das dazugehörige Schiff währenddessen auf dem Meer weiterbewegt hatte. (Diese Argumentation diente Galilei zur Widerlegung der Ansicht, daß die Erde reglos im All verharre. Galileis Gegner hatten diese Ansicht u.a. so begründet: Würde die Erde sich drehen, müßten wir das merken, zum Beispiel daran, daß sie sich unter uns fortbewegt, wenn wir in die Luft springen. Das passiert aber genausowenig, wie sich das Schiff unter der fallenden Kanonenkugel von dannen macht.) Erst Jahre nachdem Galilei diese Behauptung als Tatsache ausgegeben hatte, überprüfte sie ein anderer Wissenschaftler, G. B. Baliani, und teilte Galilei schriftlich mit, daß er richtig gelegen habe.
Dann wäre zwar nicht ganz sauber, wie Galilei vorgegangen ist, aber er hätte wenigstens nicht die Realität verbogen, oder? In diesem Fall stimmt das.
„Das Experiment mit dem Schiff ist jedoch nicht das einzige, das Galilei nicht machte. Das bekannteste ist das Experiment auf dem Turm zu Pisa, das wichtigste das Experiment mit der schiefen Ebene.“ Der erstere Versuch, bei dem Galilei eine bis dato unwidersprochene Annahme des Aristoteles widerlegen wollte, wird von dem britischen Physiker Oliver Lodge so beschrieben: „Galileo stieg eines Morgens vor allen Mitgliedern der Universität mit zwei Metallkugeln, von denen eine 100 und die andere 1 Pfund wog, auf den berühmten Schiefen Turm und ließ beide gleichzeitig fallen. Die Kugeln fielen zusammen hinunter und berührten gleichzeitig den Boden. Der dumpfe Aufprall dieser Gewichte klang wie eine Totenglocke für die alte Ordnung und kündigte die Geburt der neuen an.“ Soweit die heroische Legende. Jedoch: „Dieser entscheidende Aufprall hat sich in Wirklichkeit nie ereignet. Denn auch wenn Galilei unter Umständen ähnliche Experimente durchgeführt haben sollte: Körper mit unterschiedlichem Gewicht fallen keineswegs mit der gleichen Geschwindigkeit, schwerere Körper erreichen den Boden einen Moment früher als leichtere, was sich leicht feststellen läßt, wenn man das Experiment wirklich durchführt“, wie es u.a. 1978 die beiden Wissenschaftler C. G. Adler und B. Coulter taten. Die gleiche Fallgeschwindigkeit ließe sich eben nur im Vakuum erreichen – wovon rund um den schiefen Turm garantiert nicht die Rede sein konnte.
Und was den Versuch mit der schiefen Ebene betrifft, durch den Galilei auf das Gesetz der gleichförmig beschleunigten Bewegung gekommen sein will (s = ½ at2): Galilei gab zu Protokoll, er habe eine „gut gerundete und polierte“ Bronzekugel eine lange, geneigte, „äußerst gerade, gut gesäuberte und glatte“ Rinne hinunterrollen lassen, die mit „äußerst glattpoliertem Schafspergament“ ausgeschlagen war. Dieses Experiment habe er „gut hundertmal“ wiederholt.
Auch diesmal eine glatte Lüge: Schon eine Zeitgenosse Galileis, Pater Marino Mersenne, versuchte, unter den beschriebenen Bedingungen zum selben Resultat zu kommen – vergeblich. Und eine weitere Wiederholung, 1973 durch Ronald Naylor, ergab auch den Grund: Die Reibung durch die Holzrinne und durch die unvermeidlichen Nahtstellen des Pergaments ließ Galileis angebliche Messergebnisse überhaupt nicht zu. (Galileis bekanntes Pendelexperiment mußte Ronald Naylor durch Wiederholung ebenfalls als Schwindel enttarnen.)
Auch hier muß die Frage, ob es sich um einen Ausrutscher handelt, ob Galileis Vorgehen eine Ausnahme darstellte, verneint werden. Fallbeispiel Nummer Zwei: Isaac Newton. Seine Vorgehensweise war etwas anders als die Galileis, aber nicht weniger manipulativ: „Da er auf der Basis rein theoretischer Überlegungen wußte, wie die Ergebnisse auszusehen hatten, änderte er den Wert der angelegten Parameter so lange, bis er erhielt, was er benötigte.“ Zum Beispiel bei der Festlegung der Schallgeschwindigkeit, die er zunächst – ohne jede Messung – auf 295 Meter in der Sekunde berechnet hatte. Später gelangte er jedoch zu der Überzeugung, ein Freund von ihm läge mit einer Messung von 348 Metern pro Sekunde genau richtig. Aber wie konnte Newton diese Abweichung zwischen 295 und 348 Metern erklären?
„Er entschloß sich, den Fälschungsfaktor zu Hilfe zu nehmen. Er behauptete, daß die theoretischen Berechnungen durch eine falsche Einschätzung der Luftdichte beeinträchtigt worden waren, erhöhte diesen Wert von 1/ 850 auf 1/ 870 und gewann auf diese Weise 33 Meter in der Sekunde. Um aber den Wert von 348 Meter pro Sekunde zu erreichen, fehlten ihm weitere 20 Meter. Wie konnte man auf diesen Wert kommen? Natürlich mit einer weiteren Veränderung der Berechnungen. Dieses Mal war es die Luftfeuchtigkeit: Newton erkannte, daß er ‚vergessen‘ hatte, daß es in der Luft auch Feuchtigkeit gibt, die eine Erhöhung der Schallgeschwindigkeit bewirke. Auf diese Weise kratzte er die 20 Meter zusammen, die ihm noch fehlten, um auf den noch dazu falschen Wert (die Schallgeschwindigkeit beträgt tatsächlich 340 Meter pro Sekunde – A.P.) von 348 Meter pro Sekunde zu kommen … Mit der gleichen Unverfrorenheit gelang Newton der Beweis des allgemeinen Gravitationsgesetzes“ sowie seiner Theorie über die Verschiebung der Tagundnachtgleichen.
In Friderico Di Trocchios Buch geben sich eine Vielzahl von Größen der Wissenschaft aus den letzten 2.000 Jahren ein Stelldichein, von Ptolomäus, der seinen berühmten Sternenkatalog einfach abgeschrieben hat, über Gregor Mendel, der niemals die von ihm angeblich untersuchten sieben Pflanzen-Zwillingspaare zur Verfügung hatte und Ernst Haeckel, der seine Theorien mit eindeutig gefälschten Fotos erhärtete, bis in unser Jahrhundert, zu Wissenschaftlern wie Robert Millikan. Letzterer erhielt 1923 den Nobelpreis für Physik für ein Experiment, bei dessen Auswertung er alle Meßergebnisse unter den Tisch fallen ließ, die seiner Hypothese über die elektrische Ladung der Elektronen widersprachen.
Die Wissenschaft also als Ansammlung von lauter Hochstaplern und notorischen Lügnern? Ganz so einfach ist es nicht. Regelrechte Betrüger, die mit Plagiaten oder getürkten Versuchsreihen nur schnell reich oder bekannt werden wollen, gibt es zwar auch zur Genüge, wie Di Trocchio nachweist. Aber keiner der Obengenannten gehört in diese Kategorie. Ihre Motive sind in gewisser Weise „edler“ und zeigen gerade dadurch, in welchem Dilemma die „exakte Wissenschaft“ sich befindet.
Alle genannten Wissenschaftler verband offenbar eins: Sie waren von der Richtigkeit ihrer theoretischen Annahmen völlig überzeugt. Insofern war deren experimenteller Nachweis nur noch ein notwendiges Übel, man konnte es auch ganz sein lassen (Galilei). Oder: Ergab das Experiment etwas anderes als erwartet, ließ sich der erwartete Zusammenhang experimentell nicht nachvollziehen, dann war eben das Experiment schuld. Entweder wurden zusätzliche Größen angenommen, um das Ganze stimmig erscheinen zu lassen (Newton) oder – einer der beliebtesten Tricks: Alles, was den erwarteten Ergebnissen nicht entspricht, wird als „unwesentliche“ Abweichung „vernachlässigt“. So publizierte Robert Millikan, er habe für seine Berechnung der Elektronenladung 28 Öltröpfchen untersucht, und er betonte, daß „dies nicht eine ausgewählte Gruppe von Tröpfchen ist, sondern alle im Laufe von 60 Tagen untersuchten Tröpfchen“ – und nur bei einem der 28 Tröpfchen sei der gesuchte Wert e „in einer Größenordnung von 0,5 Prozent vom Wert der anderen Tröpfchen abgewichen“. Jahre nachdem dieses akkurate Ergebnis durch einen Nobelpreis honoriert worden war, wurden jedoch Millikans Laborprotokolle entdeckt. Und die ergaben: Millikan hatte „insgesamt 140 Tröpfchen untersucht, sich aber dazu entschlossen, nur die Daten von 28 zu veröffentlichen, deren Werte natürlich dem gesuchten Wert am nächsten kamen. Warum Millikan die anderen Daten außer acht gelassen hatte, geht aus den Protokollen klar hervor: Er hielt sie nicht für signifikant.“ Mit anderen Worten: Diese Abweichungen hatten nichts zu bedeuten, mußten sich seiner Meinung nach auf defekte Laborgeräte oder ähnliches zurückführen lassen. Aber war es wirklich so?
Bevor 1913 Millikans „bahnbrechender“ Artikel über seine Versuchsergebnisse erschien, hatten selbst so berühmte Wissenschaftler wie Albert Einstein, Max Planck oder Erwin Schrödinger in Erwägung gezogen, daß es noch kleinere Teilchen als die Elektronen gebe – und dementsprechend auch noch kleinere Ladungen. Und der österreichische Physiker Felix Ehrenhaft hatte bereits 1910 eine Versuchsreihe veröffentlicht, die mit einer viel präziseren Apparatur als der von Millikan aufwartete, und die ergeben hatte, daß solche kleineren Teilchen sehr wohl existieren könnten. Ehrenhaft nannte sie Subelektronen. Aber seine Meßergebnisse schwankten, ließen keine so eindeutige Interpretation zu wie die von Millikan. Daher machte Millikan das Rennen – und beendete mit seinen gefälschten Ergebnissen und seiner schließlich nobelpreisgestützten Autorität für lange Zeit die Diskussion um die Subelektronen.
Was hier also auf der Strecke blieb, war keine kleine Panne im Versuchsablauf – sondern eine mögliche Erkenntnis. Und wie sieht es in dieser Hinsicht beispielsweise mit Galilei aus? Unnötig zu sagen, daß seine (Gedanken-)Experimente uns der Entschleierung mancher Naturgeheimnisse näher gebracht haben. Aber haben sie nicht gleichzeitig auch etwas verschleiert? Was er in seinem „Turm von Pisa“-Experiment „vernachlässigte“, war der Luftwiderstand. Bei dem Versuch mit der schiefen Ebene übersah er großzügig die Reibung zwischen Kugel, Holz und Pergament. Logischerweise war damit in beiden Fällen auch der Weg verschlossen, über den durch diese Reibung entstehenden Wärmeaustausch mit der Umgebung nachzudenken.
Verallgemeinert: Was hier „vernachlässigt“ wird, ist die Vielzahl der Wechselbeziehungen zur Umwelt, ist Energieumwandlung, ist Ökologie, ist das wirkliche Leben! Wie wir heute wissen, sind natürliche Vorgänge nie wirklich „linear“ sondern vielmehr „chaotisch“. Und das heißt u.a., jedes „vernachlässigte“ Detail kann gewaltige Effekte hervorrufen. Oder, wie Di Trocchio es formuliert: „Bei nicht-linearen Systemen kann eine winzige, kaum wahrnehmbare Störung einen Weltuntergang herbeiführen.“ Genau das berücksichtigen Maschinen oder Technologien nicht, die auf Galileis linearen „Gesetzen“ fußen. Und genau das blenden Weltbilder aus, auch „wissenschaftliche“ Weltbilder, die solcherart zurechtgestutzte Forschungsergebnisse zur Grundlage nehmen.
Ich will damit nicht sagen, Wissenschaftler sind unehrlichere Menschen als Nicht-Wissenschaftler. Aber sie sind eben auch nicht ehrlicher oder unabhängiger oder unfehlbarer als wir alle. Und es würde ihnen, wie uns allen, gut tun, zu ihren Fehlern und Grenzen zu stehen. Weder Galilei noch Newton verfügten zu ihrer Zeit über Meßinstrumente, mit denen sie Luftwiderstand oder Schallgeschwindigkeit hätten genau bestimmen können. Sie konnten also nur relativ ungenaue oder unvollständige Ergebnisse erzielen, die an ihren eigenen „streng wissenschaftlichen Kriterien“ gemessen (siehe oben: „Jedes Experiment ist ohne wissenschaftliche Bedeutung, wenn nicht alle Größen, die im Spiel sind, genau gemessen werden können“), ohne jede Aussagekraft gewesen wären. Ebenso wie jedes weitere Experiment, das jemals stattgefunden hat. Es ist überhaupt nicht möglich, die Totalität aller vorhandenen Wechselwirkungen zu erfassen, auch heute und in Zukunft nicht. (Und die Quantentheorie des Lichts hat ja gezeigt, daß selbst in der Physik auch die Unabhängigkeit der Meßergebnisse vom Experimentator blankes Wunschdenken ist.)
Deswegen sind nicht alle Experimente sinnlos. Aber die „wissenschaftlichen“ Kriterien als erfüllt auszugeben, ist reine Anmaßung oder Naivität. Und es ist unverantwortlich, sich selbst und der Öffentlichkeit weiterhin vorzumachen, diesen Maßstäben zu entsprechen oder sämtliche Folgen der eigenen Versuche zu kennen. „Wir haben alles im Griff “ – das ist nicht nur für Himmelfahrtskommandos wie Atom- oder Gentechnologie ausgeschlossen, sondern für alle „in die Praxis überzuleitenden“ Forschungsergebnisse.
Anstiftung zur Revolutionierung des wissenschaftlichen Denkens: Rupert Sheldrakes „Sieben Experimente“
Rupert Sheldrake ist Philosoph, Biochemiker und Cambridge-Professor. Als 1981 sein Buch „Das schöpferische Universum“ erschien, bezeichnete es der Herausgeber der Zeitschrift Nature als den seit Jahren „besten Kandidaten für eine Verbrennung“. Diese Einschätzung wird auch bei der Lektüre seines neuen Buches „Sieben Experimente, die die Welt verändern könnten“ nachvollziehbar. Ganz im Gegensatz zum etablierten Hauptstrom der Wissenschaft versucht sich Sheldrake an „irrelevanten“ Fragestellungen, für deren Beantwortung kaum Macht und Geld winken dürften. Auch besteht bei diesen Fragen keine Chance, sie auf klassisch-lineare Weise zu erklären (wo die Schul-Wissenschaft das bislang überhaupt versucht hat, ist sie jedenfalls schmählich gescheitert): Wie finden Tauben nach Hause? Wodurch spüren Haustiere, daß ihre Besitzer heimkommen? Wie koordinieren Termiten ihre Bautätigkeiten? Woher wissen manche Menschen, daß sie von hinten angestarrt werden? Wodurch läßt sich die Wahrnehmung von Phantomgliedmaßen erklären? Was verursacht den Placebo-Effekt?
Und Sheldrake begeht noch einen weiteren Tabu-Bruch: Er schlägt uns Lesern und Leserinnen seines Buches – also vorwiegend Laien – vor, entsprechende Versuche selbst zu unternehmen und auch noch selbst zu interpretieren. (Für entsprechende, unkomplizierte Versuchsanordnungen und -abläufe macht er detaillierte Vorschläge.)
Die praktische Umsetzung von Sheldrakes Ideen könnte meiner Meinung nach mindestens zwei Konsequenzen haben: Erstens könnten wir wissenschaftlichen Laien erkennen, daß wir viel weniger als angenommen auf Profi-Forscher angewiesen sind, um die Welt zu begreifen (von jenen Professionellen, deren Theorien reale Zusammenhänge mehr zu- als aufdecken mal ganz abgesehen.)
Und zweitens: Die Phänomene, die uns Sheldrake zu erforschen vorschlägt, haben alle eine Gemeinsamkeit – sie weisen darauf hin, daß Verbindungen zwischen uns und der Welt, zwischen Lebewesen und ihrer Umwelt existieren, die weit über den gegenwärtig offiziellen Wissenshorizont hinausgehen. (Ob wir diese Verbindung dann morphogenetische Felder nennen, wie Sheldrake selbst oder sie als Lebensenergie beschreiben oder noch andere Namen dafür finden, halte ich vergleichsweise für zweitrangig.) Die Durchführung wenigstens einiger der Sieben Experimente könnte jedenfalls tatsächlich etwas in unseren Köpfen verändern – und von da aus die Welt.
PS: Sheldrakes Buch enthält ein Vielzahl notwendiger Verunsicherungen, von denen ich wenigstens eine noch benennen will.
Einsteins Relativitätstheorie ist heute scheinbar eine unverrückbare Größe wissenschaftlichen Denkens, obwohl erst 90 Jahre vergangen sind, seit diese Annahme die Theorie eines kosmischen Äthers abgelöst hat und obwohl manch wissenschaftliche Autorität die Relativitätstheorie für einen „Scherz“ (Ernest Rutherford) oder gar „Betrug“ (Frederick Soddy) hielt und hält.
Grundlegende Annahme der Relativitätstheorie und damit eines großen Teils moderner Physik ist jedenfalls, daß die Geschwindigkeit des Lichtes im Vakuum immer dieselbe ist – eine sogenannte „Grundkonstante“. Seit jedoch begonnen wurde, die Lichtgeschwindigkeit zu messen, hat sie sich ständig verändert – und der jeweils nächste Wert lag mit schöner Regelmäßigkeit immer außerhalb der beim letzten Wert für mögliche Meßfehler angegebenen Toleranzgrenzen. Außerdem lagen die Schwankungen der Lichtgeschwindigkeit in verschiedenen Richtungen: zwischen 1928 und 1945 schien sie zum Beispiel 20 km/ Sekunde niedriger zu sein als vorher, ab Ende der vierziger Jahre legte sie wieder zu. Verschärft wurde die Bedeutung dieses unsteten Verhaltens einer „Grundkonstante“ noch dadurch, daß mittlerweile sowohl die Zeit (nämlich deren Maßeinheit Sekunde) als auch der Raum (über den Meter) dadurch definiert worden sind, daß man sie mit der Lichtgeschwindigkeit in Beziehung setzte: Eine Sekunde entspricht 9 192 631 770 Schwingungsperioden des Lichts. Schwankt also die Lichtgeschwindigkeit, stimmen auch alle anderen Maßeinheiten und die mit ihnen arbeitenden Berechnungen nicht mehr. Was tun?
Auch hier lautete die Antwort der Wissenschaft: Einfach vernachlässigen! Nachdem den zuständigen Forschern die ganze Schwankerei zuviel wurde und sie auch keine vernünftige Erklärung dafür finden konnten, wurde die Lichtgeschwindigkeit 1972 per definition auf exakt 299 792,458 +- 0,0012 Kilometer pro Sekunde festgelegt. Schluß, aus, basta!
Frühere Veröffentlichungen finden sich in ICH – Zeitschrift für neue Lebenskultur, Herbst 1997 sowie in „Weltall, Erde …ICH“ bzw. www.weltall-erde-ich.de.