Über geistige Wegbereiter der NS-Euthanasie und den Irrsinn, von „Geisteskrankheiten“ zu sprechen.
von Andreas Peglau
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Wer sind die „Geisteskranken“?
Wollten wir als Ausgangspunkt für unsere weitere Reise in die Vergangenheit die gängigen psychiatrischen Etikettierungen wie „endogene Psychose“ (im Klartext: Keiner weiß, wo’s herkommt) benutzen, dann kämen wir nicht weit. Die meisten dieser Krankheitsbezeichnungen sind kaum älter als einhundert Jahre. Erst zu jener Zeit hat vor allem der Psychiater Emil Kraeplin (auf den zurückzukommen sein wird) die „einheitliche Sprachregelung unter den Psychiatern“(1) erfunden, der die Schulpsychiatrie noch heute weitgehend anhängt.
Setzen wir uns über diese Sprachbarriere hinweg, akzeptieren wir also auch ältere Diagnosen, stoßen wir anderthalb Jahrhunderte zuvor an eine neue, scheinbar unüberwindliche Grenze: Wie ließen sich der Euthanasie vergleichbare Psychiatrieverbrechen finden, wenn – zumindest in Europa – noch gar keine Psychiatrie existiert? Denn schließlich ist erst „das ausgehende 18.Jahrhundert die Geburtsstunde der abendländischen Psychiatrie“.(2)
Aber es gibt einen Ausweg: Werfen wir zunächst einen Blick darauf, was sich hinter dem Wort „Geisteskrankheiten“ versteckt.
„Geisteskrankheiten sind Gehirnkrankheiten!“ – seit vor über 100 Jahren der Berliner Arzt Wilhelm Griesinger diese Behauptung aufgestellt hat, gelten „Geist“ ebenso wie „Seele“ als legitimer Tummelplatz von Nervenärzten. Aber ungeachtet der anhaltenden medizinischen Aktivitäten auf diesem Gebiet, fehlt bis heute jeder Beweis für Griesingers Parole. Zwar ist das menschliche Gehirn inzwischen besser erforscht, aber der Sitz des „Geistes“ oder der „Seele“ sind dabei nicht endeckt worden. Der amerikanische Psychiater und Psychiatrie-Kritiker Thomas S. Szasz beantwortet daher „die etwas rhetorische Frage, ob es so etwas wie eine Geisteskrankheit überhaupt gibt“ mit einem klaren: „Nein.“
Nachweisbare körperliche Schädigungen des Gehirns oder der Nerven müssen auch als neurologische Störungen – und nur als solche – bezeichnet werden, stellt Szasz klar. In diesem Fall sprechen die Mediziner ja auch nicht von „Geisteskrankheiten“, sondern ausschließlich dann, wenn sie sich „auf Äußerungen eines Patienten über sich selbst, über andere oder über seine Umwelt beziehen. So hält er sich etwa für Napoleon oder sieht sich überall von Kommunisten verfolgt.“ Aber:
„Solche Mitteilungen gelten nur dann als Symptome geistiger Verwirrung, wenn der Beobachter den Patienten in der Tat nicht für Napoleon hält bzw. davon überzeugt ist, daß jener nicht von Kommunisten verfolgt wird.(Wobei letzteres schon wesentlich schwerer zu überprüfen sein dürfte als die behauptete Identität mit einem verstorbenen französischen Kaiser. Und was ist, wenn zum Beispiel jemand von ständigen Ängsten gequält wird, daß ein Atomkrieg oder eine ökologische Katastrophe bevorstehen …? – A.P.) Die Feststellung ‚X ist das Symptom einer geistigen Störung‘ bedeutet somit ein Urteil. Hinter diesem Urteil verbirgt sich ein Vergleich bzw. eine Gegenüberstellung der Ideen, Vorstellungen und Überzeugungen des Patienten mit denen des Beobachters und der Gesellschaft, in der beide leben.“(3)
Thomas Szasz bestreitet nicht, daß Menschen, die sich zu Unrecht für Napoleon halten, schwerwiegende Lebensprobleme haben können und vielleicht auch Hilfe brauchen – aber nicht in der traditionellen psychiatrischen Form: Psychopharmaka, Anstaltseinweisungen und Elektroschocks. Und von konkreten Problemen, Äußerungen oder Verhaltensweisen auf einen allgemeinen „Geisteszustand“ zu schließen, ist schlicht eine Anmaßung.
Aber es werfen ja nicht nur Ärzte mit derartig unzulässigen Verallgemeinerungen um sich: Der Autofahrer, der mir soeben die Vorfahrt genommen hat, ist ein „Vollidiot!“. Wer völlig anders denkt als ich, hat vermutlich „eine Scheibe“. Wer es „zu nichts bringt“ ist einfach „zu blöd“. Gymnasiasten, die keine Markenklamotten tragen, erhalten von Mitschülern das Attribut „bescheuert“. Frauen, die nicht aussehen wollen wie Claudia Schiffer, vielleicht sogar ihre Korpulenz mögen und zur Schau stellen – haben die nicht in den Augen vieler „eine ganz schöne Macke“? Was ist mit Leuten, die sich nicht nur öffentlich für Konsumverzicht einsetzen, sondern auch noch selbst so leben, ihre Papiere verbrennen, nur von freiwilligen Geschenken leben wollen: „Verrückte“? Empfinden nicht wahrscheinlich große Bevölkerungsgruppen „grüne, links-alternative Spinner“ pauschal als irgendwie „psychisch auffällig“?
Was ist also gemeint, wenn Worte wie „geisteskrank“ fallen – ob in ärztlichen Diagnosen oder in der öffentlichen Meinung? Nichts Medizinisches, sondern etwas Moralisches, Ethisches, Politisches, Juristisches, Psychosoziales, Leistungsbezogenes. Das Etikett „Geisteskrankheit“ bezeichnet also nicht mehr und nicht weniger als eine Abweichung von den gerade herrschenden gesellschaftlichen Normen, Motto: „Wer das anders sieht als wir, der muß ja krank sein!“
Damit entpuppt sich die „Behandlung“ der „Geisteskranken“ im „Dritten Reich“, der hunderttausendfach ärztlich verordnete „Gnadentod“ als extremer Versuch, jegliche Nicht-Norm-Gerechten „auszuschalten“ – in- und außerhalb psychiatrischer Anstalten.
Und das, was damals bereits in die Tat umgesetzt wurde, war davon nur der Anfang: Der Arzt und „Eugeniker“(4) Alfred Grotjahn hatte noch in der Weimarer Republik „die Lebensuntüchtigen sogar auf ein Drittel aller Lebenden“ geschätzt.(5)
So betrachtet, ist „Euthanasie-Geschichte“ auch nur ein (vielleicht besonders brutaler) Teil der Geschichte von menschlicher Intoleranz gegenüber „Andersartigem“, vom Kampf der Mächtigen gegen die Ohnmächtigen, von Mehrheiten gegen Minderheiten. Insofern geht sie weit über die Geschichte der Psychiatrie – als nur ein mögliches, relativ modernes Machtmittel unter vielen – hinaus. Überall, wo der Gedanke auftaucht, „Normabweichler“ als unheilbar krank oder als nicht lebenswert einzustufen, erst recht da, wo dann sogar tatsächlich dazu übergegangen wird, sie systematisch zu ermorden, da stoßen wir mit Sicherheit auf eine „Traditionslinie“ der Euthanasie.
Die handelnden Personen, denen wir bei den folgenden Stipvisiten in der Geschichte begegnen, werden allerdings mit wachsendem zeitlichen Abstand immer schemenhafter. Gerade die Frage nach dem Warum? läßt sich zumeist nicht mehr rekonstruieren. Bei jenem Mann, der das inoffizielle Startsignal für die faschistischen Morde an „Geisteskranken“ gab, und bei seinen wichtigsten Helfern, können wir fundierter darüber spekulieren, was sie angetrieben hat. Vermutlich teilen sie diese Motive mit anderen „Euthanasie“-Befürwortern der Geschichte.
Adolf Hitler – „lebensunwerter“ Nachfahre „lebensunwerter“ Ahnen
Daß das Kind Adolf Hitler einer brutalen und lieblosen Erziehung unterzogen wurde (wie sie für das ausgehende 19. Jahrhundert nichts Seltenes war), läßt sich vor allem bei Alice Miller nachlesen.(7)
Daß damit bei Hitler kräftige Keime für Vernichtungswünsche angelegt wurden, ist nachvollziehbar. Erklärlich erscheint auch noch, daß er sich als späteres Ersatzobjekt für diese Phantasien ein weit verbreitetes Feindbild aussuchte: „die jüdische-bolschewistische Weltgefahr“. Aber warum sollten ebenso „Geisteskranke“ und sonstige „Gemeinschaftsunfähige“ von der Erde verschwinden?
Eine Antwort darauf ist: Für Hitler müssen die „Geisteskranken usw.“ ein unerträglicher Spiegel gewesen sein. Er hatte in der Tat Grund zu der Befürchtung, irgendwann selbst zu einer jener von ihm verachteten „leeren Menschenhülsen“ zu werden oder zumindest sein Leben als Aussätziger, „in der Gosse“ zu beenden. Wieso?
Hitler hat sich sehr für seine Vorfahren interessiert. Was er als Kind noch nicht mitbekommen hatte über die „wunden Punkte“ seiner Ahnenreihe (und sei es auf indirektem Weg, durch Tabusetzungen), dürfte er spätestens erfahren haben, nachdem er 1930 seinen Anwalt Hans Frank mit Recherchen über seine Herkunft beauftragt hatte. Heute ist darüber u.a. folgendes bekannt:
„Nicht allein die Schreibweise des Namens änderte sich häufig (Hiedler, Hüttler, Hütler – A.P.). Unter den Hitlers herrschte ein Geist der Ruhelosigkeit, ein Drang, von Dorf zu Dorf, von Arbeitsplatz zu Arbeitsplatz zu wechseln, feste menschliche Bindungen zu meiden und in den Beziehungen zu Frauen eine Art Zigeunerleben zu führen.“(8) Auch für seine Familie galt: „Verwandtenheiraten und uneheliche Geburten kommen häufig vor“.(9)
Selbst Hans Frank konnte damals nicht feststellen, wer Hitlers Großvater war. Es kamen sowohl zwei Brüder als auch ein jüdischer(!) Kaufmann in Betracht, der Hitlers Großmutter Maria immerhin 14 Jahre lang Alimente gezahlt hat.(10) Geheiratet hat Maria jedenfalls erst fünf Jahre nachdem sie Hitlers Vater Alois auf die Welt gebracht hatte, und zwar den stellungslosen, nichtseßhaften Müllergesellen Johann Georg Hiedler. Im Jahr ihrer Hochzeit gab sie den fünfjährigen Alois zu Verwandten, „vermutlich nicht zuletzt, weil sie fürchtete, das Kind nicht gehörig aufziehen zu können; jedenfalls waren die Hiedlers, der Überlieferung nach, so verarmt, ‚daß sie schließlich nicht einmal mehr eine Bettstelle hatten, sondern in einem Viehtrog schliefen‘.“(11)
Insofern lastete auf Hitlers Vater Alois „eine mehrfache Schmach
1. der Armut
2. der unehelichen Geburt
3. der Trennung von der leiblichen Mutter im Alter von 5 Jahren und
4. des jüdischen Blutes.“(12)
Auch in den Familienbeziehungen des Alois Hitler schien dann der Wiederholungszwang zu wirken: Er schwängerte seine beiden zukünftigen Ehefrauen noch vor der Hochzeit und seine zweite Frau Klara, Adolfs Mutter, war so nahe mit ihm verwandt, daß er eine spezielle kirchliche Erlaubnis für die Trauung einholen mußte.(13)
Seine Armut immerhin konnte Alois Hitler durch hartes Arbeiten besiegen. „Es sieht jedoch so aus, als sei dieser soziale Aufstieg nicht ohne Kosten für ihn selbst und andere möglich gewesen. Alois war zwar gewissenhaft, pflichtbewußt und fleißig, aber auch emotional labil, ungewöhnlich rastlos und möglicherweise zeitweilig geistesgestört. Zumindest eine Quelle legt nahe, daß er einmal in einem Asyl für Geisteskranke untergebracht war.“(14)
Und schließlich setzte sein Sohn Adolf, der spätere „Führer“, die wichtigsten der genannten Familientraditionen fort: zunächst als „Schulversager“, dann – bis zum Beginn seines Soldaten-Jobs im 1.Weltkrieg – als verkrachter Künstler:
„Er schlief auf Bänken, manchmal in irgendeiner Penne, und im Dezember 1909 wurde er zum regelrechten Landstreicher und verbrachte seine Nächte in einem Obdachlosenasyl (wo er dreieinhalb Jahre Dauergast blieb – A.P.) … Jetzt war er selbst zum Strolch, zum Ausgestoßenen geworden. Er gehörte zum Abschaum der Gesellschaft.“(15)
Erich Fromm berichtet darüber hinaus nicht nur von Tobsuchtsausbrüchen und sexuellen „Perversionen“ Hitlers, sondern bescheinigt ihm auch: eine „halbautistische Anlage“, „extremen Narzismus“, „Kontaktmangel“, „Defekte im Wirklichkeitssinn“, „intensive Nekrophilie“, „psychotische, vielleicht schizophrene Züge“.(16)
Bilanz: „Schulversagen“, „Verwahrlosung“, „Landstreicherei“, „Inzucht“, bitterste Armut, „Geisteskrankheit“, „Rassenschande“, sexuelle „Perversionen“ – vieles von dem, wofür auf Hitlers Befehl später Menschen sterben mußten, kannte er aus seiner eigenen Familien- und Lebensgeschichte. Unter anderen Umständen hätte auch er sein Dasein in einer Nervenheilanstalt fristen können. Der Anführer Hitler, der zum Initiator des Euthanasie-Wahns wurde, wäre (wie andere führende Nazis auch)(17) als „Normalbürger“ eines seiner potentiellen Opfer gewesen. Und jeder „Geisteskranke“ konnte ihn daran erinnern.(18)
Aber hätte es denn überhaupt eine Euthanasie ohne Adolf Hitler gegeben?
Wer – außer ihm und seiner Führungsriege – hatte ein Interesse daran, die Gesellschaft auf diese Weise zu „erneuern“?
Medizinische Visionen
Emil Kraeplin galt im ausgehenden 19. Jahrhundert als bedeutendster deutschsprachiger Psychiater. So weit, den „Gnadentod“ als Behandlung seiner Patienten vorzuschlagen, ging er nicht. Aber er lieferte wesentliche theoretische Grundlagen dafür: Alle psychischen Auffälligkeiten (einschließlich der Verhaltensweisen von „Triebmenschen, Verschrobenen, Antisozialen, Prostituierten“) seien erblich bedingt und daher an sich unheilbar, jedenfalls solange, bis die moderne Naturwissenschaft eine faßbare biologische Ursache dafür gefunden haben werde. Bis dahin müsse die Psychiatrie notwendigerweise eingesetzt werden „gegen die ‚genetischen Degenerationen‘ des Volkes, gegen die ‚psychopathisch Minderwertigen‘, gegen die Gefahr der ‚moralischen Entartung‘, gegen die ‚geborenen Verbrecher‘ und gegen die sozialen Störer.“(19)
Eine Konkretisierung erfolgte im Jahre 1895 u.a. durch den Arzt Alfred Ploetz, auf den der Begriff „Rassenhygiene“ zurückgeht. In seinem Buch „Die Tüchtigkeit unserer Rasse und der Schutz der Schwachen“ plädiert er dafür, daß einem „schwächlichen oder mißgestalteten“ Neugeborenen „von dem Ärzte-Kollegium, das über den Bürgerbrief der Gesellschaft entscheidet(!), ein sanfter Tod bereitet wird, sagen wir durch eine kleine Dosis Morphium.
Die Eltern,“ so fabuliert er weiter, „erzogen in strenger Achtung vor dem Wohl der Rasse, überlassen sich nicht lange rebellischen Gefühlen, sondern versuchen es frisch und fröhlich ein zweites Mal, wenn ihnen dies nach ihrem Zeugnis über Fortpflanzungsbefähigung erlaubt ist.“(20)
Etwa zur gleichen Zeit arbeitete – neben anderen – der Schweizer Psychiater August Forel bereits daran, daß „Schwächliche und Mißgestaltete“ erst gar nicht zur Welt kamen. Nicht nur „an einem psychisch kranken Scheusal“(21) wendet er die Sterilisation an: „Ich ließ auch ein hysterisches 14jähriges Mädchen kastrieren, deren Mutter und Großmutter Kupplerinnen und Dirnen waren“ – mit dem erklärten Ziel, „die defekten Untermenschen allmählich … zu beseitigen und dafür bessere, sozialere, gesündere und glücklichere Menschen zu einer immer größeren Vermehrung zu veranlassen.“(22)
Kraeplin, Ploetz und Forel stehen nicht allein: „Fast alle maßgeblichen Psychiater dieser Zeit machten sich zu Verteidigern der bestehenden Ordnung und forderten Maßnahmen gegen ihre Patienten: lebenslange Haft, Zwangsarbeit, Unfruchtbarmachung, Heiratsverbot, ‚Ausmerzung‘.“(23)
Mit Sicherheit trägt auch diese Haltung dazu bei, daß schon während des Ersten Weltkrieges „überdurchschnittlich viele Insassen psychiatrischer Anstalten Deutschlands“ sterben, „insbesondere durch Unterernährung und mangelnde Pflege.“(24)
Ganz im Gegensatz zu dieser Realität verbreiten sich jedoch nach Kriegsende Auffassungen, die ein Euthanasie-Fanatiker später so auf den Punkt bringt: „Für mich ist die Vorstellung untragbar, daß beste blühende Jugend an der Front ihr Leben lassen muß, damit verblödete Asoziale und unverantwortliche Antisoziale in den Anstalten ihr gesichertes Dasein haben“.(25)
Einer jener jungen Kriegstoten von 1918 war der Sohn des Psychiaters (und erbitterten Psychoanalyse-Gegners) Alfred Hoche. Seine, gemeinsam mit dem Juristen Karl Binding verfaßte Schrift „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens. Ihr Maß und ihre Form“ erscheint 1920 und enthält die gesammelten juristischen und medizinischen Argumente, die nach Meinung der beiden angesehenen Hochschulprofessoren für die Euthanasie sprechen. Die starke Nachfrage nach diesem Buch weist auf eine Ideologie hin, die eindeutig im Kommen ist: Das Dasein der „geistig Toten“, der „Ballastexistenzen“ sei „absolut zwecklos … Für ihre Angehörigen wie für die Gesellschaft bilden sie eine furchtbar schwere Belastung. Ihr Tod reißt nicht die geringste Lücke.“(26)
Eine „Vernichtungsideologie“ war also in der Medizin, speziell der Psychiatrie, lange vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Mode. Doch das allein hätte aus Ärzten noch nicht so hervorragende Handlanger des Massenmords gemacht.(27)
Auf dem Weg zum „Priesterarzt“
Der Chirurg und Frauenarzt Erwin Liek veröffentlichte 1925 seinen Bestseller „Der Arzt und seine Sendung“. Darin beschrieb er den „wahren Arzt“ als eine Mischung aus „künstlerischer Intuition, priesterlich-patriarchalischem Auftreten und konkretem Wissen“.(28) Entscheidend sei, so Liek weiter, „unter allen Umständen das Gefühl zu behalten, ‚über dem Kranken zu stehen. Jeder Kranke bedarf seines eigenen Arztes,… dem er sich ohne Rückhalt unterwirft.'“ Solche Ansichten waren auch vielen seiner Kollegen nicht fremd. Das vorherrschende ärztliche Selbstverständnis während der Weimarer Republik war geprägt (zusätzlich zu einem „Bekenntnis zur Nation und zum deutschem Geist“): „1. durch ein ausgeprägtes Elitebewußtsein, 2.durch die Vorstellung von einer Exklusivität des Arztberufes, die weder durch Studium oder Wissen, sondern nur durch die angeborene(!) Persönlichkeit des Arztes zu erreichen ist.“(29) Diesem Selbstbild kamen die Nazis in einem kaum noch zu überbietenden Maß entgegen.
Schon ihr Vokabular mußte Medizinern die Ohren klingen lassen: Ziel war „der gesunde deutsche Volkskörper“, der endlich „gereinigt“ werden sollte von „zersetzenden Bakterien“; der „faulende Krebsschaden“ sollte „weggeschnitten“ werden.(30) Und ein Satz wie: „Nationalsozialismus ist nichts anderes als angewandte Biologie“, 1934 ausgesprochen von Hitler-Stellvertreter Rudolf Hess,(31) war zugleich eine Offerte in Richtung Medizin.
Aber es kam noch besser: Drei Jahre danach erklärt der „Reichsärzteführer“ Dr. Gerhard Wagner, daß „der Arzt … in erster Linie mit Volksführer sein“ soll und endlich wieder „Priesterarzt“ werden muß: Ein umfassender Heiler in allen Lebenslagen, umgeben von der Aura des Magischen.(32) Und Wagners Nachfolger im Amt, Dr. Leonardo Conti, setzte noch eins drauf: „Niemand ist nötiger, um das Schicksal des deutschen Volkes in die Bahnen zu lenken, die zum biologischen Aufstieg führen, als der Arzt.“(33) Ein derartiges Maß an Großkotzigkeit schrie förmlich nach „großen Taten“, mit denen die behauptete eigene Genialität bewiesen werden konnte.
Und die neuen Machthaber hatten ja tatsächlich „Großes“ vor mit ihren Ärzten: Von der Geburtenkontrolle (Sterilisierungen und Abtreibungen für „Unwürdige“, systematische „Zucht“ der „Würdigen“) über die Planung und Durchführung der Tötung von „parasitären“ Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, über Ehe-Genehmigungen und -Verbote entsprechend den Nürnberger Rassegesetzen bis hin zu Auschwitz, wo Mediziner
„den Tötungsprozeß vom Anfang bis zum Ende führten:… Ärzte nahmen Selektionen vor – sowohl an der Rampe inmitten der ankommenden Gefangenentransporte als auch später in den Lagern und in den medizinischen Blöcken. Ärzte überwachten den Mord in den Gaskammern und entschieden, wann die Opfer tot waren. Ärzte betrieben eine mörderische Epidemiologie, indem sie Gruppen von Menschen mit ansteckenden Krankheiten und manchmal sogar alle anderen, die sich in ebendemselben medizinischen Block aufgehalten hatten, in die Gaskammer schickten. Ärzte befahlen und überwachten und nahmen auch gelegentlich selbst direkte Tötungen von Geistesschwachen vor, indem sie Phenol in den Blutkreislauf oder das Herz. In Verbindung mit all diesen Morden hielten Ärzte den Schein medizinischer Legitimität aufrecht: (Sie) stellten falsche Totenscheine aus. Ärzte erteilten praktische Ratschläge, wie man Selektionen am reibungslosesten durchführen konnte, wieviel Menschen man am Leben lassen sollte, um den Bedarf der IG.Farben-Fabrik an Sklavenarbeitern decken zu können, und wie man die enorme Anzahl von Leichen verbrennen sollte, die die Kapazität der Krematorien überforderte.“(34)
Und selbstverständlich waren die „Versuchsleiter“ der „strategisch wichtigen Experimente“, bei denen protokolliert wurde, wie KZ-Häftlinge durch Unterdruck innerlich zerplatzten, durch Unterkühlung allmählich verreckten, an gespritzten Krankheitskeimen zu Grunde gingen usw.: Ärzte. Auch für die „biologische Zukunft“ des deutschen Volkes betrieben sie Grundlagenforschung: Der Heidelberger Universitätsprofessor Carl Schneider suchte höchstpersönlich „viele ‘schöne’ Idioten“ zur Tötung und anschließenden Sektion aus, um „den angeborenen vom nichterblichen Schwachsinn zu unterscheiden“ und so bereits im Krieg: „an der Formung des deutschen Volkes für die Zeit nach dem Siege zu arbeiten.“(35)
Die angestrebte Funktion von „Volksführern“ wurde Medizinern zwar nur sehr begrenzt zuteil – die Richtlinien für ihren Einsatz kamen immer „von oben“. Aber die ihnen zugedachten Rollen waren so wesentlich für das NS-Regime, daß der amerikanische Arzt und Psychohistoriker Robert Jay Lifton nach einer umfangreichen Untersuchung zu der Überzeugung gelangt, im Zentrum der Nazi-Weltanschauung habe die „biomedizinische Vision einer Therapie durch Massenmord“ gestanden. Heilen und Töten wurde eins: „Das verbindende Prinzip der biomedizinischen Ideologie war das einer tödlichen rassischen Krankheit, der Krankheit der arischen Rasse; die Behandlung bestand in der Ermordung aller Juden“(36) – und sämtlicher weiterer „Volksschädlinge“.
Fazit: Ohne kooperationsbereite, fachkundige deutsche Ärzte wären weder Euthanasie noch Auschwitz realisierbar gewesen – zumindest nicht in so kurzer Zeit und mit so großem „Effekt“.
Aber ebensowenig, wie sie die einzigen Helfer waren, waren Ärzte die einzigen „Vordenker“ des Massenmords. Um letzteres zu belegen, müssen wir wieder in der Zeit zurück gehen.
„Selektion“ als Gesellschaftsutopie
„Im Jahre 1859, exakt am 24. November, erscheint in London in einer Auflage von 1.250 Stück ein Buch, das noch am selben Tage vergriffen ist … Sein Titel: ‚Die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder Die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampf ums Dasein‘. Sein Autor: Der Naturforscher und Weltumsegler Charles Darwin.
Im ‚Kampf ums Dasein’… werden die schlecht Angepaßten durch ’natürliche Auslese‘, durch ‚Selektion‘ ausgemustert. Die Tüchtigen setzen sich durch. Um Mißverständnissen vorzubeugen: Charles Darwin spricht 1859 nicht von Menschen, sondern von Stechpalmen und Stiefmütterchen, Purzeltauben und Misteldrosseln, von Pflanzen und Tieren also.“(37)
Aber andere waren weniger bescheiden. Kurz nach Veröffentlichung des Buches begann dessen Vereinnahmung durch die „Sozialdarwinisten“, die das Wirken jener Gesetze auch unter Menschen und ganzen Völkern zu entdecken glaubten. Gerade durch den Fortschritt in der Medizin, so schien es ihnen, handelten die Menschen diesen natürlichen Gesetzmäßigkeiten zuwider und setzten somit ihre eigene Höherentwicklung aufs Spiel. Statt nun „mit Hilfe der ärztlichen Kunst“ die „siechen Existenzen“ künstlich zu verlängern, sollten beispielsweise nach Meinung des Zoologen Ernst Haeckel „hunderttausende von unheilbaren Kranken, namentlich Geisteskranke, Aussätzige, Krebskranke“ lieber „durch eine Morphium-Gabe von ihren namenlosen Qualen“ befreit werden.(38) Haeckel wollte aber wenigstens bei Patienten, die noch geistig zurechnungsfähig waren, nicht auf deren Einverständnis verzichten. Überhaupt waren viele der Sozialdarwinisten weniger von bewußter Menschenverachtung angetrieben als vielmehr von der Begeisterung darüber, daß sich die ganze Welt – und in ihr die Menschen – offenbar nach erkennbaren Naturgesetzen zu richten habe, die man jetzt auch mal konsequent anwenden wollte. Die „Gesunden“ sollten sich gegenüber den „Kranken“ durchsetzen – von einer Überlegenheit der „arischen Rasse“, die sich gegen den Rest der Welt durchzusetzen habe, ist bei Haeckel nichts zu finden.
Diesen Teil des Puzzles steuerten andere bei, u.a. der französische Diplomat Graf Joseph Arthur de Gobineau. Seine Theorie handelte von der Überlegenheit der „weißen Rasse“, deren „edelste Völkerfamilie“ die Arier sein, von denen wiederum die Germanen die – rassemäßig – immer noch am besten erhaltenen Exemplare abgäben. Ohne arische Mitwirkung sei keinerlei Kulturleistung der Menschheit denkbar gewesen. Selbst die alten Römer wären erst so richtig kulturvoll geworden, nachdem ihnen die germanischen Stämme die Gnade ihrer Eroberungszüge hätte zukommen lassen.(39) Mit Geschichtswissenschaft hatte das alles nicht viel zu tun. Aber das änderte nichts an der großen Anziehungskraft von Sprüchen wie dem folgendem: „Der arische Deutsche ist ein kraftvolles Geschöpf… Alles was er denkt, sagt und tut, ist daher von größter Bedeutung.“ Kein Wunder, daß in den folgenden Jahrzehnten „in ganz Deutschland Gobineau-Gesellschaften entstanden.“(40)
Einer der engagiertesten Fans des deutschtümelnden Franzosen war Richard Wagner, der mit seinen Opern („Der Ring des Nibelungen“ u.a.) einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Popularisierung des germanischen Allmachts-Mythos leistete. Und – um den Reigen noch etwas vollständiger zu machen: Wagner wiederum stand zeitweise unter dem Einfluß Friedrich Nietzsches. Letzterer hatte zwar einmal gesagt, „den Deutschen geht jeder Begriff davon ab, wie gemein sie sind“ und als jemand, der zudem seine letzten Lebensjahre in geistiger Umnachtung verbrachte, taugte dieser Philosoph eigentlich nur schwerlich als Kult-Objekt für Euthanasie-Jünger. Aber Nietzsche hatte ja auch „den Willen zur Macht gepredigt, den Krieg gepriesen und die Heraufkunft der Herrenrasse und des Übermenschen verkündet.“(41) Und ganz speziell für den Euthanasie-Gedanken ließ sich ein Nietzsche-Zitat wie das folgende hervorragend ausschlachten:
„Zu einem Heiligen trat ein Mann, der ein eben geborenes Kind in seinen Händen hielt. ‚Was soll ich mit dem Kinde machen?‘ fragte er, ‚es ist elend, mißgestaltet und hat nicht genug Leben, um zu sterben.‘ ‚Töte es‘, rief der Heilige mit schrecklicher Stimme … viele tadelten den Heiligen, weil er zu einer Grausamkeit geraten hatte … ‚Aber ist es nicht grausamer, es leben zu lassen?‘, sagte der Heilige.“ (42)
Nietzsche, Wagner, Haeckel – schon diese Namen weisen darauf hin, in wie vielen gesellschaftlichen Sphären Ideen gepflegt wurden, auf denen die Euthanasie aufbauen konnte. Aber damit nicht genug: Das ging auch hinweg über die Grenzen der politischen Lager.
Psychiatrieprofessor Alfred Hoche war zwar, wie eine Vielzahl von anderen „Euthanasie“-Befürwortern auch, nationalistischen und konservativen Kreisen zuzurechnen. Aber immerhin gehörte er zu den ganz wenigen Hochschullehrern, die 1933 freiwillig auf ihren Lehrstuhl verzichteten. Und nachdem der von ihm einst geforderte Gnadentod auch noch einer seiner Verwandten gewährt worden war, ging er auf noch deutlichere Distanz zum NS-Staat.(43) Hoche einfach als „Nazi“ abzutun, wäre offenkundig falsch. Und erst Alfred Ploetz: Er war nicht nur ein Freund August Bebels, sondern auch selbst Sozialist. Eine Ausnahme? Nein. Wichtige sozialdemokratische Politiker der 20er Jahre wie der schon erwähnte Alfred Grotjahn oder Julius Tandler waren ebenfalls überzeugt von der Notwendigkeit der „Rassenhygiene“.(44) Und die folgenden Sätze, 1910 veröffentlicht, stammen gar von Karl Kautsky:
„Die menschliche Technik zerstört das Gleichgewicht in der Natur, mindert die Anforderungen im Kampf ums Dasein und erleichtert damit körperlich und geistig minderwertigen Individuen nicht bloß die Erhaltung, sondern auch die Fortpflanzung… So wird der Sozialismus … auch Gesundheit und Kraft bringen und die Krankheit als Massenerscheinung ausrotten. Ein neues Geschlecht wird entstehen, stark, schön und lebensfroh wie die Helden der griechischen Heroenzeit, wie die germanischen Recken der Völkerwanderung.“(45)
Manche von denen, die „Eugenik“, „Rassenhygiene“ und selbst noch „Sterilisationen“ begeistert begrüßten, waren später entsetzt, was – eigentlich logischerweise – darauf folgte. Auch Kautsky hatte sicher nicht die Art und Weise im Sinn, wie die Nazis seine Vorstellungen Jahre darauf zu realisieren begannen. Andererseits: Die „Minderwertigen“ sollten weg – das verband Kautskys Zukunftsvision mit der zahlreicher anderer „Linker“, „Rechter“, „Mittlerer“ usw..
Auch etliche Christen teilten diese Ansicht. Und einige recht maßgebliche unter ihnen standen den radikalsten Psychiatern um Nichts nach: Der Religionspädagoge Ernst Thrändorf lehnte es ab
„wenn man leistungsfähige Menschen zugunsten völlig leistungsunfähiger Menschen verkommen lasse … Der Berliner Theologieprofessor Titius … befindet es für richtig, die ‚Idioten‘ ebenso zu beseitigen, ‚wie irgendwelche sonstige, die Aufgabe störende Naturkeime‘. Der Heidelberger Theologieprofessor Ludwig Lemme meint, der einzelne Christ dürfe nicht töten, eine Staatsbehörde habe aber das Recht, … ‚unterwertiges‘ Leben … auszulöschen“, macht allerdings „die Tötung der Geisteskranken davon abhängig, ob die Auszumerzenden ein Seelenleben haben, das zur Religiosität fähig ist“.(46)
Die Liste ähnlicher Zitate ließe sich fortführen. Der Schluß liegt nahe: In einem Land, in dem so viele meinungsbildende Autoritäten aus Medizin, Politik, Religion, Kultur, Wissenschaft, Rechtsprechung … über Jahrzehnte hinweg solcherart Ideen verbreiten, wäre eine Entwicklung in Richtung Euthanasie wohl auch ohne das NS-Regime wahrscheinlich gewesen.
PS: Erforscht jemand die Vorgeschichte der Euthanasie, gelangt er vielleicht wie ich zu dem Resultat, daß ein solcher Massenmord an „Geisteskranken“ in Deutschland auch ohne Adolf Hitlers Zutun möglich gewesen wäre, da entsprechendes Gedankengut in breiten Schichten des deutschen Volkes und vor allem in dessen „Elite“ längst vorhanden war. Ein weiteres Argument also, wie gefährlich die Deutschen waren (oder sind). Weitete dieser Jemand allerdings seine Untersuchung in Raum und Zeit noch mehr aus, müßte er feststellen: Zum einen waren gleichartige Geisteshaltungen in anderen europäischen Ländern im 19. Jahrhundert ähnlich populär. Zum anderen führen Traditionslinien dieses mörderischen Umgangs mit „Andersartigen“ und Schwächeren viel weiter zurück, als es deutsche Geschichte gibt. Der (durch das Ende der Feudalgesellschaft bedingte) Zerfall der Großfamilie, die bis dahin auch „nicht-normgerechten“ Menschen einen gewissen Halt geboten hatte, ist dabei nur ein erster „Meilenstein“: Die neue bürgerliche Leistungsgesellschaft mußte sich hinfort etwas einfallen lassen mit jenem Teil der „freigesetzten“ Landbevölkerung, der aus irgendeinem Grunde nicht 16 Stunden am Tag in einer Fabrik schuften wollte oder konnte. So schossen gleichzeitig Gefängnisse und Spitäler aus dem Boden: beides Vorläufer der späteren Irrenanstalten und mit ähnlichen Zielen – Abstrafen, Bessern oder wenigstens Verwahren und Isolieren. Ein gesamteuropäisches Phänomen.
Aber verwandte Denk- und Verhaltensweisen begegnen uns auch in der Hexen- und Ketzerverfolgung, auf Kreuz- und kolonialisierenden Raubzügen, in den Judenpogromen – und in Geboten des Alten Testaments. Und schließlich vielleicht sogar schon im Matriarchat, wo die „Gemeinschaft der Frauen […] überlegt, ob es (das Kind) in der Lage ist, dieses Leben zu führen. Und wenn die das Gefühl hatten, daß Kind ist zu mickrig, zu klein, zu jämmerlich […], dann hat man das sanft ins Jenseits befördert“.(47) Früher Feminismus oder Vorläufer der Euthanasie?
Anmerkungen
(1) H.G.Güse, N.Schmacke: „Psychiatrie und Faschismus“, in G.Baader, U.Schultz: „Medizin und Nationalsozialismus. Tabuisierte Vergangenheit – Ungebrochene Tradition?“, Frankfurt a.M. 1989, S.90
(2) Ch.Lichtenthaeler: „Geschichte der Medizin“, Köln 1987, S.466
(3) Th.S.Szasz: „Recht, Freiheit und Psychiatrie. Auf dem Weg zum ‚therapeutischen Staat‘?“, Frankfurt a.M.1980, S.23 ff
(4) Eugenik = Erbgesundheitslehre
(5) zitiert in K.Dörner: „Tödliches Mitleid. Zur Frage der Unerträglichkeit des Lebens“, Gütersloh 1993, S.46
(6) E.Klee: „‚Euthanasie‘ im NS-Staat. Die ‚Vernichtung lebensunwerten Lebens'“, Frankfurt a.M. 1994, S.357
(7) A.Miller: „Am Anfang war Erziehung“, Frankfurt a.M.1980. Die Argumentation in diesem Abschnitt folgt im Wesentlichen A.Millers Ausführungen zu Hitler.
(8) W.L.Shirer: „Aufstieg und Fall des Dritten Reiches“, Bindlach 1990, S.7/ (9) ebenda
(10) J.Fest: „Hitler“, Band 1, Berlin 1978, S.31/ (11) ebenda
(12) A.Miller S.178/ (13) ebenda
(14) H.Stierlin: „Adolf Hitler, Familienperspektiven“, Frankfurt a.M. 1975, S.68
(15) E.Fromm: „Anatomie der menschlichen Destruktivität“, Hamburg 1977, S.439/ (16) ebenda S.484 f
(17) Bei W.Shirer – s.o., S.34-38, 45-48 – läßt sich im einzelnen nachlesen, daß Hitlers Mitstreiter zu einem nicht geringem Anteil „Mörder, Zuhälter, Homosexuelle, Rauschgiftsüchtige oder auch nur simple Rowdies“ waren. Ausgerechnet Reinhard Heydrich, einer der Köpfe der „Endlösung“, war nachweislich Halbjude – vgl. Hanna Ahrendt: „Eichmann in Jerusalem“ – und beispielsweise Göbbels hatte mit seinem angeborenen Klumpfuß eine Diagnose aufzuweisen, die andere während der Nazi-Zeit das Leben kostete.
(18) Alice Miller (S.229 f) weist noch auf einen weiteren Umstand hin: „Meines Wissens ist die Tatsache, daß Klara Hitlers bucklige und schizophrene Schwester, Adolfs Tante Johanna, von seiner Geburt an, seine ganze Kindheit hindurch, im gleichen Haushalt lebte, bisher wenig beachtet geblieben.“ Deren Verhalten muß so belastend gewesen sein, daß eine Hausangestellte deswegen kündigte. Zwar: „Auch die Gegenwart einer schizophrenen Tante kann vom Kind positiv verarbeitet werden, aber nur, wenn es mit seinen Eltern auf der emotionalen Ebene frei kommunizieren und mit ihnen über seine Ängste sprechen kann.“ Davon allerdings konnte im Hause Hitler keine Rede sein. Und Alice Miller gibt zu denken, „welche Gefühle in einem Kind hochkommen, das täglich einem extrem absurden und beängstigenden Verhalten ausgesetzt ist, und dem zugleich verboten ist, seine Angst, seine Wut und seine Fragen zu artikulieren.“ Aber: „Als Adolf Hitler erwachsen wurde und zur Macht kam, konnte er sich endlich tausendfach an dieser unglücklichen Tante für sein eigenes Unglück rächen: Er ließ alle in Deutschland lebenden Geisteskranken töten, weil sie, seinem Gefühl nach, für die ‚gesunde‘ Gesellschaft (d.h. für ihn als Kind) ‚unbrauchbare‘ Menschen waren.“
(19) Güse/Schmacke, in Baader/Schultz, S.92
(20) A.Trus: „… vom Leid erlösen“, Frankfurt a.M. 1995, S.32
(21) zitiert in Dörner, S. 31/ (22) ebenda, S.32
(23) Güse/Schmacke, in Baader/Schultz, S.93
(24) A.Trus, S.35
(25) R.J.Lifton: „Ärzte im Dritten Reich“, Stuttgart 1988, S.70
(26) U.Schultz: „Soziale und biographische Bedingungen medizinischen Verbrechens“ in: Baader/Schultz, S.191
(27) Die Familiengeschichten und Lebensläufe der einzelnen NS-Medizinverbrecher lassen sich hier nicht mit einbeziehen. Einiges Nähere steht bei Ernst Klee „Was sie taten, was sie wurden. Ärzte, Juristen und andere Beteiligte am Kranken- oder Judenmord“, Frankfurt a.M., 1992 und bei Robert J.Lifton (siehe oben). Allgemein gehe ich aber davon aus, daß – wie bei Hitler – ohne entsprechenden lebensgeschichtlichen Hintergrund keines dieser Verbrechen hätte zustande kommen können.
(28) P.Schmiedebach: „Ärztliche Standeslehre und Standesethik 1918-1945“ in Baader/Schultz, S.65/ (29) ebenda, S.64
(30) Lifton, S.22/ (31) ebenda, S.36
(32) W.Wuttke-Groneberg: „Medizin im Nationalsozialismus“, Wurmlingen 1982, S.356/ (33) ebenda, S.354
(34) Lifton, S.25
(35) Klee, S.398 f
(36) Lifton, S.19 ff
(37) Klee, S.15
(38) Trus, S.30 ff
(39) Shirer, S.102/ (40) ebenda/ (41) ebenda, S.98
(42) Klee,S.16/ (43) ebenda, S.25
(44) M.Kappeler: „Verstrickung und Komplizenschaft – die Beteiligung von Jugendverbänden an der nationalsozialistischen Bevölkerungspolitik 1933-1945“, Vortrag zur Eröffnung der Ausstellung „Wir hatten noch garnicht angefangen zu leben“ im Landesjugendamt Brandenburg am 15.8.95, S.4-8/ (45) ebenda, S.3 f
(46) Klee, S.26.
(47) So der Matriarchatsforscher Ottmar Lattorf in Weltall, Erde…ICH, S. 92.
Frühere Veröffentlichungen finden sich in ICH – die Psychozeitung 1/1996 sowie in „Weltall, Erde …ICH“ bzw. www.weltall-erde-ich.de.