„.. gescheitert in erster Linie aus mangelnder Toleranz.“ Fünf Jahre in einer kleinen Gemeinschaft

von Kathrin Ullrich

Ich lebte fast 5 Jahre in der kleinen Gemeinschaft „Zarnekla die Erste“, die seit Frühjahr ´97 nicht mehr existiert. Seither befasse ich mich mit den Ursachen unseres Zerfalls bzw. mit den Fehlern, die wir aus meiner Sicht machten. Mögliche Gründe dafür sehe ich in persönlichem Unvermögen aber ebenso in den kranken und krank machenden Strukturen unserer Gesellschaft. Wenn ich über Gemeinschaften lese, finde ich häufig Erfolgsmeldungen, Berichte über Aktionen, Ziele, Ideale, äußere Schwierigkeiten, vielleicht noch Beschreibungen – was schlecht läuft. Warum Leute wieder gehen oder ganze Gemeinschaften sich wieder auflösen, suche ich vergeblich. Ich denke, unsere Gemeinschaft scheiterte in 1. Linie an der Unfähigkeit des Miteinanders, das den Alltag weit mehr bestimmt als jegliche politische oder ökologische Vorhaben oder Ziele. Ich wünsche mir mehr Austausch darüber, was das Leben in Gemeinschaft mit allen schönen und schweren Seiten ausmacht, um Neulingen Illusionen zu nehmen, um ein realistischeres Bild vom Gemeinschaftsleben zu vermitteln, um aus Fehlern zu lernen. Ich bin sehr am Aufbau von funktionierenden, lebendigen Gemeinschaften interessiert, als wirkliche Alternative zur bürgerlichen Kleinfamilie und dem zunehmenden Single-Dasein. Im Folgenden beschreibe ich mein ehemaliges Projekt und beschäftige mich mit mir wesentichen Schwerpunkten, die in Gemeinschaften eine Rolle spielen können oder sollten, verbunden mit meinen Erfahrungen dazu.

Die Gemeinschaft

Es begann im Frühjahr 1992 mit 10 Erwachsenen und 5 Kindern auf einem kleinen Hof mit 15 ha Land. Wir waren alle aus der ehemaligen DDR, ohne Erfahrung im Gemeinschaftsleben. Wesentliche Ziele waren einfaches Leben und weitgehende Selbstversorgung, möglichst ohne Maschineneinsatz in der Landwirtschaft. Es gab keine gemeinsame Kasse, die Finanzierung erfolgte aus Arbeitslslosen- und Sozialhilfe, Arbeitslosen- und Kindergeld sowie Ersparnissen. Auf Dauer kam nur 1 Mensch (Wessi) dazu, ansonsten wurden wir immer weniger. Die Menschen, die gingen (8 Erwachsene + 3 Kinder), leben in der Mehrzahl wieder in Kleinfamilie oder alleine (mit Kind). Mein Freund und ich leben zur Zeit in einer winzigen und sind auf der Suche nach einer großen Gemeinschaft.

Toleranz nach innen

Meines Erachtens scheiterte unsere Gemeinschaft in 1. Linie an mangelnder Toleranz untereinander. Anfangs wirkte das eher nach außen, gegen die, die nicht so einfach und ökologisch lebten wie wir. Zunehmend ging es in Kämpfe innerhalb der Gruppe über – es gab ja welche, die mit Strom die Bauwagen heizten, mehr Holz verbrauchten als sie selbst machten und überhaupt eine andere Lebensweise hatten als die meisten von uns. Diejenigen, die sich nicht anpaßten, gingen, ohne daß wir viel daraus gelernt hätten. Heute glaube ich, daß eine Gemeinschaft um so stabiler ist, je vielfältiger ihre Zusammensetzung ist. Ich lernte in dieser Gemeinschaft, was Toleranz für mich ausmacht: mich in meiner Individualität, meiner einmaligen Persönlichkeit, meinem Gefühlsausdruck und meiner Art der Bedürfnisbefriedigung von anderen geachtet zu wissen und andere ebenso zu achten, Erwachsene wie Kinder. Aus meiner Sicht wurden zwischen Erwachsenen, besonders aber von Eltern gegenüber ihren Kindern unerträglich häufig Grenzen überschritten. Erst wenn ich mich respektiert fühle, öffne ich mich auch für andere Lebensweisen und übernehme nach eigenem Ermessen und Prüfung das für mich Richtige ohne Zwang. Und erst als ich mir bestimmte Verhaltensweisen gestattete und nicht mehr verdrängte (z.B. Genuß von „ungesunden“ Nahrungsmitteln oder auch einmal verschwenderischen Umgang mit Strom oder Wasser), mußte ich andere Menschen dafür nicht mehr ablehnen oder bekämpfen.

Toleranz nach außen

Ebensowenig akzeptierten wir als Gemeinschaft das „normal“ lebende Umfeld und machten uns mit Unsensibilität Gegner, die es nicht hätten werden müssen. So wendete das Fleischerauto gewohnheitsmäßig auf unserem Gelände. Da wir uns aber im wesentlichen „Vegetarismus“ auf die Fahnen schrieben, wollten wir das nicht dulden. Später wurde ein Stück weiter von der Gemeinde extra eine Wendeschleife gebaut.

Eine andere Variante sehe ich darin, sich um Verständigung zu bemühen, die Menschen des Ortes einzuladen, um sich voneinander ein realeres Bild machen zu können und Ängste abzubauen. Heute gehört für mich dazu, mich in einem bestimmten Rahmen anzupassen, einzufügen und dennoch nach der eigenen Weise zu leben. In solchem Rahmen halte ich politisches Handeln in der eigenen Region erst für möglich, sei es um Denkanstöße zu geben oder eine größere Akzeptanz zu erwirken.

Motivation für Gemeinschaft

Ich halte es für wichtig, zumindest im Ansatz zu wissen, warum ich in einer Gemeinschaft lebe oder leben will. Das schafft einige Klarheit und kann Enttäuschungen vermeiden helfen. Mir schien ein Leben mit ähnlich Gesinnten unvergleichlich lebenswerter als mein damals freudloses, arbeitsloses, sinnentleertes Dasein in einer Neubauwohnung. Hinzu kam meine Angst vor Einsamkeit und mein Unvermögen, die Verantwortung für mein Leben in die eigenen Hände zu nehmen. Ich weiß heute, daß mir eine Gemeinschaft, eigene Entwicklungsschritte nicht abnehmen oder ersetzen kann. Aber sie kann eine Hilfe sein.

Gemeinsame Vision

Inzwischen glaube ich, daß eine Gemeinschaft eine übergreifende Vision oder Utopie braucht, die auch dann noch verbindet, wenn die Anfangs- und Aufbauzeit vergangen ist und Wiederholungen, Beziehungsmuster und sonstiges Weltliche den Alltag prägen. Ich halte es aber für notwendig, daß die gemeinsame Vision Bezug zur Realität hat, nicht völlig abgehoben ist und immer wieder aktualisiert wird.

Gruppengröße

Nach meinem Gefühl war unsere Gruppe von zum Schluß 7 Erwachsenen und 4 Kindern auf Dauer zu klein und zu eng. Für mich gab es Parallelen zu einer größeren Kleinfamilie, eingespielt, auf bestimmte Rollen festgelegt, zu wenig Verschiedenheit. Wie stabil können kleinere Gemeinschaften überhaupt sein? Da fällt es einfach viel mehr ins Gewicht, wenn 2 Zoff miteinander haben, 3 sich verbünden oder 4 gleichzeitig weggehen. Von Menschen aus größeren Gemeinschaften weiß ich, daß für eine gut funktionierende Gruppe eine Zahl ab 12 Erwachsenen + Kinder notwendig sein soll.

Übertriebene Beschäftigung mit sich selbst

Ich meine, daß die Art, sich tagefüllend mit persönlichen Problemen und Beziehungskisten zu beschäftigen, unglaublich viel Energie in unserer Gruppe gebunden hat. Besonders sehe ich uns Frauen in der Position, kaum was auf die Reihe bekommen zu haben, oft antriebslos, depressiv, kränklich gewesen zu sein und wenig Selbstverantwortung übernommen zu haben. Die Männer waren viel eher in der Macherrolle, haben fast alles gebaut und aktiv verändert, teilweise mit extremer und ungesunder (selbstschädigender) Arbeitssucht. Klassisches Rollenverhalten? Erst einmal erschreckt es mich, das so zu sehen.

Ersatzthemen

waren bei uns ein sehr beliebter Nebenschauplatz mit dem Schwerpunkt-Thema „Essen oder Nicht-Essen“ in unerschöpflichen Variationen bis zum Erbrechen. Zum Glück hatten die meisten damit ein Problem (selbst die Katze), so daß wir es immer wieder aktualisieren konnten. Der Hauptzweck war m.E. die Vermeidung von echter Beziehung und Nähe.

Entwicklung von Gemeinschaft/ Kommunikationsformen

Aus meiner Erfahrung ist die regelmäßige gruppendynamische Arbeit (mindestens wöchentlich) unerläßlich, um sich kennen- und verstehenzulernen, Gefühle und Handlungen transparent zu machen, Vertrauen zu gewinnen und so allmählich zu einer echten Gemeinschaft zu werden.

Ehrlichkeit und die Bereitschaft, sich zu entwickeln und zu verändern, sehe ich dabei als Voraussetzung. Sobald in unserer Gemeinschaft die Themen Liebe, Sexualität, Eifersucht ins Spiel kamen (außerhalb der „festen“ Beziehungen), wurde es kompliziert, kam es zu Überwachung, Verunsicherung, Mißtrauen. Ich halte es für wichtig, einen Rahmen innerhalb der Gemeinschaft zu finden, einen Schutzraum zu schaffen, in dem so sensible und ängstigende Themen Platz finden und die Beteiligten auf humane und solidarische Art miteinander umgehen lernen. Meine Erfahrung ist, wenn diese Problematik unter den Teppich gekehrt wird, kommt es zu Rückzug, zu immer weniger Verständigung und die unterdrückten Gefühle brechen sich Bahn in Form von umgelenkten Aggressionen, Depressionen, Süchten, Machtausübung. Wir kultivierten fast nur Rederunden, teilweise endlos und ermüdend. Andere Kommunikationsformen wie die „radikale Therapie“ aus Feuerland oder das „forum“, wie es im ZEGG praktiziert wird, sollten bekannter gemacht werden.

Supervision

Ich halte sie für eine sehr sinnvolle Variante, von einem Außenstehenden (der nicht verstrickt und deswegen „betriebsblind“ ist) den momentanen Stand der Gruppe und bestehende Strukturen gespiegelt zu bekommen. Wir nutzten Supervision nur zwei Mal in 5 Jahren. Zumindest brachte sie immer Klarheit darüber, was geht und was nicht mehr geht, so daß als Folge immer einige Menschen die Gruppe verließen.

Entscheidungsfindung

In unserer Gemeinschaft machte ich teilweise sehr negative Erfahrungen mit dem Konsensprinzip. Meiner Ansicht nach wurde das Veto-Recht häufig mißbraucht, um bestimmte Entwicklungen/ Veränderungen zu verhindern. Eine andere Form der Entscheidungsfindung suchten und fanden wir aber nicht, waren offenbar sehr darauf fixiert. Sinnvoll finde ich, Entscheidungsgremien mit den Interessiertesten und Kompetentesten zu einem Thema oder Arbeitsbereich zu bilden und mit einen Vertrauensvorschuß zu versehen.

Führung

Eines unserer Ideale war zu Beginn: es gibt keinen Chef, wir sind alle gleich. Praktisch sah es dann so aus, daß diejenigen mit den konkretesten Vorstellungen und Zielen am meisten wirkten, Verantwortung übernahmen und Einfluß ausübten. Ich halte es heute für notwendig, offenzulegen, wer der/die geheime/n Führer ist/sind, da sonst die Entwicklung (oder Nichtentwicklung) der Gemeinschaft unbewußt bestimmt wird. Bei uns wurde das erst bei der letzten Supervision deutlich und da waren wir schon verdammt verfahren. Mit Sicherheit gibt es natürliche Autoritäten mit besonderen Fähigkeiten oder Erfahrungen bei bestimmten Erfordernissen. Ein Problem sehe ich dann, wenn eine Position zu starr und zu stark wird, sich bestimmte Machtstrukturen herausbilden, Machtmißbrauch geschieht, Entwicklung und Lebendigkeit der Gemeinschaft blockiert werden. Wenn es eine Führung gibt, sollte sie austauschbar sein und so werden auch die Langsamen/ Passiven an neuen Aufgaben wachsen können. Keine Führung wird mehr nötig sein, wenn alle emanzipiert genug sind, ihren Teil der Verantwortung für die Gemeinschaft zu tragen. Und das sehe ich schon als ideal an.

 

 

aus „eurotopia – Leben in Gemeinschaft“, in: ICH Sommer 97