Therapie – und was dann?

von Kathrin Ullrich

Es war nach einer DT64-Sendung (,,Mensch Du – ich bring‘ mich um“), als ich – damals 21 Jahre alt – endlich den Mut aufbrachte, mich an einen Psychotherapeuten zu wenden. Wie bisher konnte und wollte ich nicht mehr weiterleben – einsam, traurig, unsicher, mit Schwierigkeiten in sämtlichen Beziehungen, Eßstörungen … Ich fühlte mich kaum je wirklich wohl mit mir, beobachtete mich ständig, bewertete meine körperlichen Symptome über und fand bisher nie einen Menschen, dem ich das alles mal sagen konnte.

Ich stellte mich vor die Wahl, mein unbefriedigendes Dasein zu beenden, oder was Neues zu versuchen. Bei diesem Therapeuten fühlte ich mich erstmals ernstgenommen und verstanden. Die Gespräche taten mir gut und waren wichtig für mich, doch in meiner Lebensweise veränderte sich praktisch zu wenig für mich.

Ich wurde nach Jena an die Uni-Klinik für Psychiatrie und Neurologie überwiesen, Station für Neurosen und funktionelle Störungen. Aus – wie geplant – einer Woche ,,Vordiagnostik“ wurden schließlich 6 Wochen, in denen ich mir klar machen mußte, was ich in einer Gruppentherapie für mich erreichen/verändern will und in denen die Therapeutinnen zu der (ungewissen) Gewißheit gelangten, daß ich die folgenden 8 Wochen auch verkraften würde. Ich spürte, daß diese Erfahrung sehr wichtig für mein Leben sein konnte, und das wog mehr als die Angst davor.

Zu Beginn wiederholte sich vieles von dem, was ich auch sonst von mir kannte: Ich fühlte mich isoliert, allein, spürte ganz stark das Bedürfnis, ,,Gruppenkind“ zu sein – also naiv, schutzbedürftig, nicht für mich verantwortlich sein zu können …

Aber ich sah auch die Möglichkeit, in diesem sicheren äußeren Rahmen auf der Station manches anders zu machen, als ich es sonst tat. Und dabei entdeckte ich völlig neue Seiten an mir – ein ungeahntes Maß an Kreativität, Spontanität, Risikobereitschaft – und immer wieder den Drang, für bestimmte Menschen etwas ganz Besonderes sein zu wollen.

Manchmal auch schien sich gar nichts zu bewegen, fing ich scheinbar immer wieder von ,,Null“ an, und irgendwann fragte ich mich: ,,Was bringt mir diese Therapie eigentlich? Lerne ich mehr daraus als besser Tischtennis zu spielen? Wo nur verändere ich mich?“

Meine Ungeduld trieb mich aber auch an. Und fast unmerklich tat sich etwas, ganz zaghaft versuchte ich auszudrücken, was ich empfand – es war so einfach wie schwer, ,,ich mag dich“ oder ,,ich hab‘ Angst“ zu sagen, oder es zu wagen, anderen in die Augen zu schauen, wieder richtig zu lachen oder zu weinen, und – Vertrauen zu haben!

Nach diesen 8 Wochen versuchte ich, die Wünsche, die mir die Anderen aus der Gruppe auf den Weg mitgaben, für mich zu verwirklichen – die Augen aufzumachen, um zu sehen, was um mich und in mir geschieht, und selbst zu stehen, Verantwortung für mich zu übernehmen. Oft genug fällt mir das schwer, und für mich waren die Treffen, die alle 6-8 Wochen in der Klinik stattfanden, eine große Hilfe dabei.

Auch das Partnergespräch mit den Therapeutinnen, zu dem mein Bruder mitkam, mit dem ich derzeit zusammenlebe und damals große Schwierigkeiten hatte, zeigte mir, daß mein Bedürfnis, Andere zu verändern bzw. sie für mein schlechtes Befinden verantwortlich zu machen, mir im Grunde gar nichts bringt.

Durch die Arbeit in der Selbsthilfegruppe für Frauen mit Eßstörungen, die ich ins Leben rief, lernte ich mit Gleichbetroffenen über unsere Problematik zu reden und meinen Körper langsam so zu akzeptieren, wie er ist.

Und manchmal bin ich meinem Schicksal richtig dankbar, ich mußte erst so tief unten sein, damit ich anfange, was zu ändern, meinem Leben neuen Sinn zu geben.

Selbst auf die Gefahr hin, daß ich nie fertig damit werde, mich zu erkennen und zu begreifen, empfinde ich mein Hiersein als viel befriedigender, glücklicher und aufregender, als ich mich je erinnern könnte.

Doch es bleibt noch vieles offen und ungeklärt – Fragen, die ich meiner Mutter, die vor 4 Jahren starb, nicht mehr stellen kann! Verspannungen, die mir Schmerzen bereiten; Ängste, Unsicherheiten …

Aber die Richtung meines Weges habe ich gewählt.

Zu Beginn des Sommers zog ich mit einigen Leuten zusammen in ein kleines Dorf nach Mecklenburg. Verwirklichen eines Kindheitstraumes; mein Verständnis von ganzheitlicher Lebensweise; ganz nahe Beziehungen zur Natur, zu Menschen, Tieren, Pflanzen; Angst vor dem Alleinsein; herausfinden wollen, wer ich bin, was ich will und kann, der Bedarf nach einer lebenslangen Gruppentherapie?

Von allem was!

Und mein Gefühl zeigt mir, das ist gut für mich.

Ich versuche, mich von meinen Fesseln zu befreien!

Nur manchmal noch ziehe ich am falschen

Ende.

 

aus ICH 5/ 92