Die „Kulturinsel Einsiedel“ – Von der Schwierigkeit, Kunst, Natur und Geldverdienen zu verbinden

Jürgen Bergmann, Holzbildhauer, Spielplatzbauer, Initiator und Leiter eines ungewöhnlichen Projektes im Gespräch mit Andreas Peglau.

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Es geht nicht östlicher in Deutschland. Wer die Kulturinsel Einsiedel finden will, muss sich immer hart an der Neiße lang bewegen. Zum Beispiel von Görlitz kommend, Richtung Rothenburg.

So bin ich vor zwei Jahren gefahren. Und plötzlich, zwischen zwei Dörfern, tauchten ungewöhnliche aber sehr einladende Bauten aus viel Holz und Glas und Steinen am Straßenrand auf. Ein Parkplatz war in der Nähe. Ein paar Minuten später saß ich an einem offenen Kamin, trank einen Kaffee und blickte auf eine Ausstellung mit Keramik, Schmuck und Gemälden. Und wunderte mich darüber, wer einen solchen Ort in diese abgelegene Gegend gezaubert hatte. Außerdem schien dieser Jemand viele Kinder zu haben: Sämtliche Gebäude waren nahezu umzingelt von Holz-Spielgeräten. Oder waren es gar keine? Zwar ließ sich eindeutig auf diesen Phantasiegestalten (Drachen? Schnecken? Saurier?) herumklettern. Aber andererseits schienen diese Wesen viel kunstvoller, als ich es von Spielgeräten kannte. Und manche weitere Konstruktion diente anscheinend noch ganz anderen Zwecken: Bühnen, Türme, eine umgebaute Scheune – und ein Baumhaus.

Ein erstes Gespräch mit der Frau, die mir den Kaffee verkauft hatte, ergab: Hier werden ganze Holzspielplätze hergestellt, jeder ein bißchen (oder auch total) anders als der andere. Aber nicht nur das: Auch die Gestaltungen von Brücken, Lehrpfaden, Wanderwegen, Parks und die Inneneinrichtungen von Gaststätten oder Reisebüros wurden hier schon konzipiert und umgesetzt – immer verbunden mit einem eindeutigen künstlerischen Anspruch. (In einem Informationsblatt las sich das dann so: „Mit viel Idealismus entstehen Unikate zum Be-Sitzen, Be-Spielen und Be-Greifen, von der Skulptur über kühne Dachkonstruktionen bis zur kompletten Spielanlage.“) Mit der Zeit war so ein Platz zum Spielen, Essen, Trinken, Ausstellen und Verkaufen entstanden. Konzerte und Theateraufführungen kamen dazu, zum Beispiel das allherbstliche Weltmusik-Festival „Folklorum“. Alles in allem, sagte die Kaffee-Verkäuferin, würde die Einsiedelei, in der zwischen 15 und 20 Menschen arbeiten und teilweise wohnen, ganz gut besucht.

Eine solche Ballung von Kultur, fast am Ende der (westlichen) Welt? Erstaunlich.

Nach eingehendem Studium der Schautafel mit der Projekt-Chronik wußte ich dann auch, wen ich fragen mußte, um mehr zu erfahren: Jürgen Bergmann, Jahrgang 1957, gelernter Holzfäller und Holzbildhauer, Chef der Firma „Künstlerische Holzgestaltung“. Er ist der Initiator und die treibende Kraft hinter den Kulturinsel-Aktivitäten. Ich nahm noch das anstehende „Folklorum“ mit und wir verabredeten uns zum Gespräch.

A.P.: Wenn mir irgend jemand 1990 erzählt hätte, daß im äußersten Osten Deutschlands, nahezu direkt im Wald, eine Firma gegründet wird, die vorwiegend davon leben will, daß sie Spielplätze künstlerisch gestaltet – und zwar durchweg aus Holz und nur mit Einzelanfertigungen -, dann hätte ich das für eine schöne, aber unrealistische Idee gehalten. Aber statt bankrott zu gehen, bist du recht erfolgreich geworden und ihr baut Spielplätze und einiges mehr in verschiedenen Ecken Deutschlands. Und offenbar hat die Kraft auch noch gereicht, um das Gelände um die Werkstatt und dein Wohnhaus herum auf ziemlich faszinierende Weise umzugestalten und dreimal im Jahr große Wochenend-Feste zu veranstalten, zu denen mehrere tausend Leute aus ganz Deutschland kommen. Auch solche Leute, die 1990 nicht mal gewußt haben dürften, wo die Neiße fließt. Das kommt mir nahezu märchenhaft vor. Wie geht so was?

Bergmann: Also erstmal ist es ja nicht von heute auf morgen entstanden. Eigentlich habe ich immer nur das getan, von dem ich gerade dachte, daß es notwendig ist. Im Prinzip passiert hier vor allem das, was ich mir ausdenke. Das Ganze war ja auch von Anfang an meine Idee, die ich auf meinem Grundstück mit meinem Geld verwirklicht habe. Und bis jetzt trage ich auch noch allein das finanzielle Risiko. Wobei das Grundstück notgedrungen immer größer wurde, weil ich nur durch das Dazukaufen von Land sicher sein konnte, daß uns keine Tankstelle vor die Nase gestellt wird.

Ich versuche schon, andere mit einzubeziehen. Und wenn ich Hilfe haben will, dann hole ich mir die. Aber ich lasse mir nichts von außen einreden. Zum Beispiel, nachdem ich 1990, am Tag der Währungsunion, diese Firma gegründet habe …

A.P.: Am Tag der Währungsunion? Aus symbolischen Gründen? Wolltest Du die Westmark feiern?

Bergmann: Nee. Das Datum kam nur aus irgendwelchen finanztechnischen Gründen zustande. Ich muß sowieso sagen, für mich war die schönste Zeit vor 1990, also in der DDR. Da haben wir hier wie in Kanada gelebt. Jeden Morgen bin ich mit dem Pferd nach Zentendorf auf die Post geritten, um die Briefe abzuholen oder zu telefonieren. Im Garten sind wir nackig rumgesprungen und haben dort unten in der Quelle gebadet.

Ich hatte ja schon zwei Jahre vor der Wende bei der Forstwirtschaft aufgehört und mich auf die Holzbildhauerei verlegt. Wir haben natürlich auch geackert wie die Tiere, oft bis nachts um drei. Aber dafür haben wir dann auch bis Mittag geschlafen. Das hat kein Schwein interessiert. Es war ja auch nicht notwendig, soviel Geld zu haben. Wir haben dann auch ein paar kleine Sachen gemacht, Butterförmchen zum Beispiel oder Puzzle-Häuser, damit sind wir auf den Markt gefahren, haben sie verkauft – und von dem Geld konnten wir dann wieder eine Weile leben. Parallel dazu haben wir das Haus hier ausgebaut und ich bin zu Holzgestaltungs-Symposien gefahren. Zum Schluß haben wir die auch schon selber organisiert.

Verstehst du, wir haben hier getan und gelassen, was wir wollten. Das wird nie wiederkommen. Das ist zwar ein Ziel – aber ein aussichtsloses.

A.P.: Habe ich dich da vorhin richtig verstanden: Den entscheidenden Grund dafür, daß in den vergangenen sieben Jahren hier so viel passiert ist, siehst du darin, daß du die Zügel nicht aus der Hand gegeben hast? Weil du dich deshalb auch nicht in sinnlosen Auseinandersetzungen mit anderen verzetteln mußtest?

Bergmann: Ich kann hier das verwirklichen und weiterentwickeln, was mir am meisten am Herzen liegt. Das stimmt. Aber ich wollte noch dieses Beispiel erzählen. Wir waren nach der Wende bei der Firma Richter – sozusagen der Mercedes-Konzern unter den Spielgeräte-Herstellern. Der hat uns auch ein paar Rechenbeispiele gezeigt, wie man solche Serienfertigungen kalkuliert. Da habe ich mich ganz schnell davon verabschiedet, das nachmachen zu wollen. Und bloß gut so. Wenn ich versucht hätte, das zu kopieren, wäre ich baden gegangen. Das war nicht meins.

Außerdem war die Situation günstig, etwas Neues auszuprobieren, denn nach der Wende wurden die Spielplätze zu einem Politikum. Mit relativ geringen Mitteln – ungefähr 50.000 Mark – konnte man mit einem Spielplatz demonstrieren, eine neue Zeit sei angebrochen. Das haben die Politiker begriffen und die Spielplatzgestaltung gesponsort. Wobei – das Verrückte ist, daß unsere alte Spielplatzvariante zwar nicht so was fürs Auge war, aber im Prinzip einen höheren Spielwert hatte. Das DDR-typische Klettergerüst, auf dem man rumhängen konnte und was gleichzeitig Treffpunkt war, hatte für die Kinder einen größeren Gebrauchswert, als das, was am meisten aus dem Westen rübergeschwappt ist: Turm, Turm, Hängebrücke, Rutsche. Das ist absolute Scheiße. Aber es sieht natürlich nach was aus.

Und dann haben wir auch ein paar „Standortvorteile“ hier, die uns geholfen haben: Wir hatten Eichen- und Robinien-Holz hier – also Holz, das nicht imprägniert werden muß – und wir hatten den Platz, um es zu verarbeiten. Deshalb waren unsere ersten Arbeiten auch billiger als vergleichbare Angebote aus dem Katalog. Nur so konnten wir überleben. Und dieser Kampf ums wirtschaftliche Überleben ist auch nicht vorbei. Das ist jetzt noch so und wird so weitergehen. Wir sind auch heute – obwohl wir Unikate bauen, die sich nach den örtlichen und finanziellen Gegebenheiten voneinander unterscheiden – nicht teurer als die Firmen, die Spielplätze „von der Stange“ anbieten.

A.P.: Abgesehen davon, daß ihr individuell und mit Holz gestaltet – wovon laßt ihr euch bei eurer Spielplatz-Bauerei noch leiten?

Bergmann: Wir machen ja längst nicht nur Spielplätze. Aber auch dafür gilt das, was für uns eine Art Philosophie ist: Holz ist ein Stück Leben. Also entweder, du siehst noch den Baum in dem Stück Holz. Oder, wenn der ursprüngliche Baum nicht mehr zu sehen ist, müßtest du wenigstens mitbekommen, daß da eine Bearbeitung stattgefunden hat, daß der Baum verletzt worden ist. Von der Natur soll noch etwas Erkennbares übrig bleiben. Das heißt auch, wir können nicht alles herstellen, was sich jemand wünscht. Wir sind vor allem Spezialisten für das Große und Grobe.

Was die Spielplätze betrifft: Es gibt ja ganz verschiedene Kategorien davon. Zum Beispiel, was die Altersgruppen betrifft: Ist der Spielplatz an einer Schule oder an einem Kindergarten. Oder wie er genutzt wird: Der öffentliche Spielplatz an einem zentralen Platz, zu dem das einzelne Kind nur einmal im Monat kommt, ist was ganz anderes, als der hinterm Haus, auf dem über Jahre hinweg tagtäglich immer dieselben Kinder spielen. Hier hinterm Haus hat zum Beispiel eine Rutsche überhaupt keinen Sinn: Da rutscht man zehnmal runter und das war’s dann – aber die Rutsche steht trotzdem während der gesamten Kindheitsentwicklung da rum. Mit dem Geld mache ich lieber was anderes, wo die Kinder durch ihre Phantasie sich immer neue Rollenspiele einfallen lassen können.

Wir versuchen, Anlagen zu schaffen, wo die Kinder eine Art Heimatgefühl entwickeln können. Die aber außerdem möglichst eine Bereicherung für die Landschaft sein sollen, parkähnlich, so daß sich auch die Erwachsenenaugen damit identifizieren können. Was wir wollen, sind funktionierende Verbindungen zwischen Kunst, Kultur und Natur.

A.P.: Dein Ziel, Kindern Heimatgefühle zu ermöglichen, kannst du doch wohl nur verwirklichen, wenn du ziemlich genaue Vorstellungen von deiner Zielgruppe hast – von den Kindern. Woher nimmst du diese Vorstellungen?

Bergmann: Wir arbeiten mit den Kindern vor Ort zusammen, damit sie das Gefühl haben, es ist ihre Anlage. Allerdings ist das nicht so einfach: Viele Kindern wünschen sich dann immer nur das, was sie woanders schon gesehen haben. In ein paar westlichen Bundesländern gibt es zwar Vorschriften, daß so eine Gestaltung mit den Kindern erarbeitet werden muß. Und da gehen dann oft welche hin von den Behörden, die überhaupt keinen Schimmer haben, was funktioniert und wie aufwendig irgendwas ist. Und die schreiben sich dann auf, was die Kinder gesagt haben. Aber zurück im Büro stellen sie fest, daß dieses nicht erlaubt ist und jenes zu teuer – und dann stellen sie den Kindern etwas hin, was diese nie gewollt hatten. Und anschließend wundern sie sich, warum die Kinder das nicht benutzen oder warum sie es kaputtmachen.

Ich versuche, das anders zu machen, den Kindern zu zeigen , daß ich sie ernst nehme. Ich stelle mich vor, erkläre ihnen, wer ich bin und was ich für sie machen kann. Aber auch was ich nicht machen kann. Und daß wir versuchen müssen, mit möglichst wenig Mitteln etwas zu entwickeln, wovon sie möglichst viel haben. Was auch nicht so schnell langweilig wird. Dann zeige ich ihnen Dias und Modelle davon, was wir schon gemacht haben. Und dabei passiert es manchmal, daß die Kinder eigene Ideen entwickeln, die uns wiederum inspirieren. Zum Beispiel in Dessau haben sich die Kinder gewünscht, ein Labyrinth zu haben. Und das wurde dann zur Grundidee für die gesamte Spielplatzgestaltung dort.

Aber es ist unrealistisch, daß Kinder den ganzen Spielplatz selbst planen und wir das nur noch ausführen. Überhaupt – wenn jemand bis ins letzte Detail schon genau weiß, was er will, sage ich ihm sowieso: Dann such dir doch einfach einen Zimmermann, der dir das baut. Wir sind nur interessiert an solchen Aufträgen, wo wir Gestaltungsspielraum haben, wo wir unsere eigenen Ideen unterbringen können. Es muß also eine gegenseitige Beeinflussung sein, bestenfalls eine Zusammenarbeit zwischen den Auftraggebern und uns.

Denn wir haben ja auch bestimmte Vorstellungen von den Grundbedürfnissen der einzelnen Altersgruppen. Schon durch die eigenen Kinder. Aber genauso wichtig ist, wenn du sowas macht, daß du selbst noch ein Stück Kind bist. Also gerne spielst und versuchst, deiner eigenen Phantasie zu vertrauen und deine Wünsche Wirklichkeit werden zu lassen.

A.P.: Das Gefühl, daß du in diesem Gelände vielleicht endlich deine Kinderwünsche oder -träume verwirklicht hast, habe ich sowieso ziemlich intensiv.

Bergmann: Mit einer Einschränkung: „Endlich“ stimmt nicht. Ich konnte auch schon als Kind so ziemlich alles bauen, was ich wollte. In der Hinsicht hatte ich unheimliche Freiheiten. So gesehen bin ich einfach Kind geblieben und baue eben weiter.

A.P.: Hätten wir dann damit alle Geheimnisse zusammen, die den Erfolg der Kulturinsel Einsiedel erklären: berufliche Qualifikation, Einzelleitung, günstige zeitliche und örtliche Umstände sowie eine erhalten gebliebene kindliche Kreativität?

Bergmann: Da gibt’s noch viel mehr. Unser Erfolg hängt auch damit zusammen, daß wir ganz langsam gewachsen sind. Und zwar nicht, weil wir wachsen wollten, sondern weil es sich immer so ergeben hat. Es gab am Anfang überhaupt nicht sowas wie ein Gesamtkonzept, wo es mal hingehen soll. Nur meine feste Absicht, mich auf mein Gefühl und meine Intuition zu verlassen. Klar war: Alleine konnte ich es nicht schaffen, mit so großen und schweren Holzteilen zu arbeiten. Also brauchte ich Mitarbeiter. Dann merkst du sehr schnell, daß du ohne eine bestimmte Technik für die Bearbeitung und den Transport nicht auskommst: Die nächste Erweiterung wird fällig. Und nun hast du das alles – und bekommst deinen ersten großen Auftrag. Für uns war das im Stadtpark Görlitz. Und als wir dadurch zum ersten Mal ein bißchen mehr Geld zusammen hatten, sind wir auf die Idee gekommen, hier eine Kunst-Galerie zu bauen. Weil: Fast alle Galerien hierzulande sind nach der Wende eingegangen. Also haben wir die Galerie gebaut – und gemerkt: Es kommen zu wenig Leute. Nur wegen einer Ausstellungseröffnung macht sich kaum einer auf den weiten Weg. Beispielsweise wollen sie dann auch was essen und trinken und Musik hören. Also haben wir weitergebaut – das Café – und angefangen, Konzerte zu veranstalten. Dafür brauchst du dann wieder eine Bühne. Und einen größeren Parkplatz. Und so weiter.

Aber irgendwann haben wir mitbekommen: Verflucht, der Kreis derjenigen, die zu uns kommen – wegen der Spielplätze und wegen der Veranstaltungen – der ist immer derselbe. Wir kommen aus der Region hier nicht raus. Aber die Region ist nun bald abgedeckt mit Spielplätzen. Wir hatten kaum noch Arbeit. Aber wie können wir denn darüber hinaus bekannt werden, auch ohne das ganze Land mit bunten Katalogen zu überschwemmen? Also haben wir uns gesagt: Wenigstens einmal im Jahr muß die Kultur, die wir machen, überregional interessant sein. Damals waren gerade die Übergriffe auf Ausländer in Hoyerswerda. Und da haben wir uns gesagt: Wir hier direkt an der deutsch-polnischen Grenze, wir sollten auch was tun in Richtung auf „eine Welt“. Wir hatten auch schon das internationale Folklore-Festival in Rudolstadt besucht. Das wollten wir zwar nicht kopieren, aber es hat uns gefallen. Unser Konzept war dann, aus möglichst vielen Regionen der Erde jeweils eine Gruppe ranzuholen, Spielzeug, Keramik, Schmiedearbeiten, Obst, Käse und möglichst viele andere Produkte aus der Region zum Verkauf anzubieten, Spiele für Kinder und für Erwachsene zu organisieren. Und das Ganze hieß dann eben „Folklorum – Festival der Kulturen“. Dazu kam dann noch ein „Spielum“ und ein „Theatrum“ und einiges mehr.

A.P.: Zu eurem letzten Folklorum sind immerhin knapp 30 Gruppen und über 5.000 Besucher gekommen. Die Parkplätze waren zum Bersten voll. Viele Gäste haben sogar hier auf dem Zeltplatz übernachtet, um alle drei Tage komplett miterleben zu können. Diese Resonanz war für mich ziemlich beeindruckend. Hat sich dieses Fest in den letzten Jahren so sehr in der Folk-Szene rumgesprochen?

Bergmann: Ich glaube gar nicht, daß das vorwiegend „Szene“-Publikum ist. Auch unser allererstes Folklorum war schon sehr gut besucht mit über 2.000 Leuten. Ich denke, die meisten kommen tatsächlich hier aus der Ecke, aus der Lausitz, aus Sachsen. Aber trotzdem: Um die bis hierher zu kriegen, mußt du ihnen schon ziemlich attraktive Angebote machen: eine Atmosphäre, die stimmig ist, viele Gruppen – die auch bei schlechtem Wetter auftreten können. Also mußten mehrere überdachte Bühnen her, mehr gastronomische Angebote und sanitäre auch.

Das wird dann natürlich langsam ganz schön teuer. Und du kannst nicht einfach die Eintrittspreise so lange erhöhen, bis das wieder abgefangen ist. Also brauchst du Fördergelder. Und um da ranzukommen, brauchst du einen Verein. Deswegen haben wir 1992 den Verein „Kulturinsel Einsiedel“ gegründet – zum Teil also aus ganz schlichten materiellen Erwägungen.

Aber natürlich hängt das alles auch damit zusammen, daß wir selber hier an Kultur außerhalb – in Dresden oder in Görlitz – kaum noch teilnehmen können: Alles zu weit weg oder zu anstrengend, wenn du irgendwann abends aufhörst zu arbeiten. Also haben wir uns gedacht, wir machen unsere eigene Kultur. Für uns und auch für diese Region hier. Ich hatte nach der Wende das Problem, daß ich keinen Platz mehr für mich gesehen habe, keine Orientierung. Kein Kommunismus mehr als erstrebenswertes Fernziel. Mich kotzt das an, daß dieselben Leute, die früher ganz andere Ideale hatten, heute nur noch einen Sinn sehen: Geld! Daß die für Geld heute alles verkaufen würden.

Irgendwann habe ich dann jedenfalls begriffen, daß es am besten ist, ein gutes Beispiel zu sein – da hast du dann deine Aufgabe. Und ich habe auch ein paar Freunde gefunden, die das ähnlich sehen und hier mitmachen.

A.P.: Aber die sich hier – obwohl sie deine Freunde sind – dir letztendlich unterordnen. Denn wenn ich das richtig mitbekommen habe, behältst du dir ja nicht nur in der Holzbearbeitung, sondern auch in der Kulturarbeit die letzten Entscheidungen vor. Das mag zwar effektiv sein und den Vorteil haben, daß alles, was hier entsteht, ein Gesicht hat – nämlich deins – aber führt das nicht auch dazu, sich zu isolieren? Kommst du dir nicht manchmal vor, wie ein einsamer Patriarch mitten im Wald?

Bergmann: Nee. Vielleicht habe ich das auch bisher ein bißchen übertrieben formuliert. Ich suche auch die Meinung der Anderen. Und ich will ja auch, daß wir Freunde bleiben. Deshalb kann ich nicht einfach drauflos befehlen – was sicher erstmal unkomplizierter wäre. Statt dessen gibt es immer wieder neue Konflikte zu klären und auszudiskutieren. Aber freundschaftliches Zusammenarbeiten ist ohne solche Konflikte eben nicht zu haben.

A.P.: Außerdem läßt sich doch wahrscheinlich von künstlerischen Mitarbeitern, die sich vorwiegend als Befehlsempfänger verstehen, nicht besonders viel Kreativität erwarten.

Bergmann: Oder den intensiven Einsatz, den ich oft von ihnen verlangen muß, damit Aufträge pünktlich fertig werden. Ich überlege zur Zeit auch, ob ich aus meiner Firma eine GmbH machen sollte. Das hätte nicht nur steuerrechtliche Vorteile, sondern meine jetzigen Mitarbeiter könnten sich auch mehr als Teilhaber fühlen. Aber ich habe auch Angst vor einem solchen Schritt, weil ich weiß, daß ich damit meine eigenen Machtbefugnisse beschneide. Jetzt kann ich noch alles selber steuern, dann nicht mehr.

A.P.: Du hast vorhin davon gesprochen, daß deine Firma – notwendigerweise – immer größer wurde, mehr Arbeiter und Technik brauchte, den kulturellen Bereich mit einbezogen hat. Wenn das so weitergeht, ist dann nicht sowieso irgendwann der Punkt erreicht, an dem du den Überblick verlierst? Zwingt sich dir als „Unternehmer“ nicht die jetzt übliche Logik auf: Um mehr zu verdienen, mußt du mehr investieren, was du dann mehr verdienst, mußt du anschließend wieder investieren, um konkurrenzfähig zu bleiben – und so weiter. Bis aus einem kleinen Betrieb, in dem sich alle kannten, eine große entfremdete Firma geworden ist. Und dann ist es auch nicht mehr deins.

Bergmann: Das ist das Riesenproblem. Die Gefahr ist tatsächlich, daß dir diese Spirale aus der Hand gleitet. Aber andererseits: Stehenbleiben ist auch der erste Schritt zum Untergang. Mein Vater, der ist jetzt Ende sechzig, der hat nach der Wende begonnen, sein Haus auszubauen wie verrückt. Ich hab ihm gesagt: Warum machst du nicht lieber Urlaub, ruhst dich aus? Da hat er gesagt: Wenn ich keine Pläne mehr hätte, könnte ich mich gleich begraben lassen. Und jetzt hat er angefangen, Englisch zu lernen.

Daran ist doch auch der Sozialismus gescheitert, an seiner Stagnation. Und deswegen habe ich wahrscheinlich auch im vergangenen Jahr meine Partnerin verloren, weil ich mich an einem bestimmten Punkt nicht weiterentwickelt habe, sie aber. Und wupp: Weg war sie.

A.P.: Und gibt’s für dich soetwas wie eine persönliche „Grenze des Wachstums“? Wie weit willst du noch „expandieren“, wie sieht deine Firma in deinen Idealvorstellungen in zehn Jahren aus?

Bergmann: Einen Schlußstrich gibt es nicht. Aber „expandieren“ will ich auch nicht. Ja, was dann? Also können wir nur versuchen, die Qualität unserer Arbeit zu verbessern. Sowohl, was unsere Produkte betrifft als auch den Spaß, den wir dabei haben, beim Arbeiten. Wir machen das ja nicht, um mit dem Geld, was wir dabei verdienen, ein schönes Leben zu erkaufen, sondern das Herstellen selbst soll schon schönes Leben sein. Und da ist es ja ein absoluter Vorteil, daß wir keine Serienfertigung machen: Wir müssen uns ständig was Neues einfallen lassen – das zwingt uns, uns weiterzuentwickeln.

Und was die Gestaltung der Kulturinsel betrifft: Ich hab zum Beispiel schon lange geplant, die Hügel, die hier stehen, durch Brücken zu verbinden, so daß – zusammen mit den schon vorhandenen Tunneln und Wegen – ein Labyrinth auf verschiedenen Ebenen entsteht. Also das läßt sich ewig weiterentwickeln. Ich hab soviel Pläne …

 

 

Frühere Veröffentlichungen finden sich in ICH – Zeitschrift für neue Lebenskultur, Herbst 1997 sowie in „Weltall, Erde …ICH“ bzw. www.weltall-erde-ich.de.