Reif für die Matte. Therapiebericht

von Sabine Krell

Im November 90 war ich reif für eine Therapie.

Der Grund war, daß sich mein Mann von mir und den Kindern trennte. Das war ein ziemlich harter Schlag für mich.

In unserer Beziehung lag einiges im Argen, aber wir hatten uns vorgenommen – wenn auch ich nach Berlin gezogen bin – beide eine Psychotherapie zu beginnen und zu gegebener Zeit zu entscheiden, ob und wie unsere Beziehung weitergehen soll.

Mein Mann arbeitete schon ein Jahr in Berlin, und ich zog nun mit den Kindern im September 90 nach. Ja, und nun kam nicht meine Chance, sondern das „Aus“. Wie ich vermutete, zeigten sich schon bald körperliche Symptome: hoher Gewichtsverlust in kurzer Zeit, Lungenentzündungen und starke Kreislaufprobleme. Durch die immer wiederkehrenden Seh- und Konzentrationsschwierigkeiten dachte ich manchmal: So muß der beginnende Wahnsinn sein. Ich brauchte zum Beispiel Minuten, um die Uhrzeit auf einem großen Wecker zu erkennen, konnte in solchen Momenten keine vernünftigen Sätze bilden, und mir fielen die einfachsten Worte nicht ein.

Verschärfend wirkte sicherlich, daß ich weder Freunde noch Arbeit in Berlin hatte.

Heute denke ich, daß es vielleicht gut so war. Ich konnte auf diese Weise nichts verdrängen, mußte die „Scheißsituation“ durchstehen, mußte die Trauerarbeit leisten.

Es war schon ein fürchterliche Erkenntnis, wieder einmal nicht geliebt worden zu sein. Von meinen Eltern wußte ich, daß ich ein unerwünschtes Kind war, daß alles versucht worden war, um mich gar nicht erst das Licht der Welt erblicken zu lassen – was allerdings (wie man sieht) mißlang. Aber das ist noch ein Therapiekapitel für sich.

Ja, also das war die Situation, in der ich mich befand, als ich mich bei Volker Knapp-Diederichs um ein Vorgespräch für eine eventuelle Atmungs- und Bewegungstherapie bemühte. (Nach allem, was ich speziell über Wilhelm Reich gelesen hatte, schien mir dies die „erfolg“versprechenste Therapiemethode zu sein.)

Schon kurze Zeit danach lag ich das erste Mal auf der „Matte“ (In der Körpertherapie gibt es keine Couch, sondern eine Matte, auf der man sich in alle Richtungen und hemmungslos bewegen kann.).

Es begann alles mit tiefer Atmung in den Unterbauch. Da ich mich so elend fühlte und meine derzeitigen Gefühle sowieso an der Oberfläche lagen, war nach kurzer Zeit das erste Kribbeln in Gesicht, Händen und Füßen zu spüren. Danach kam auch schon der Schmerz hoch und mein sehnsuchtsvolles Schluchzen hielt bis zum Ende der Therapiestunde an. Obwohl der Schmerz meiner jämmerlichen Situation damit keinesfalls beseitigt war, fühlte ich mich nach dieser Stunde doch etwas ruhiger; allerdings auch sehr erschöpft. Ich konnte immerhin mit etwas mehr Appetit essen und meinen Kindern mal ein wenig verständnisvoller begegnen.

Stunde um Stunde kamen nun heftige Emotionen nach oben. Sie wechselten oft auch in einer Sitzung von Schmerz zu Angst und Wut. Ich hätte nie vermutet, daß ich je fähig gewesen wäre, in einem Wutausbruch minutenlang mit einem Tennisschläger bereitliegende Kissen zu attackieren. Es hat mir „Befriedigung“ verschafft, und ich habe mich danach „sauwohl“ gefühlt. Allerdings war ich auch erstaunt und sogar entsetzt darüber, den das ließ mich vermuten, daß da noch allerhand Unbewußtes ins Bewußtsein befördert werden muß. Und das macht mir oft Angst. Werde ich verkraften zu erfahren, wer ich bin unter der mehr oder weniger gut gelernten Rolle, die ich spiele?

Ich habe aber keinesfalls nur schmerzliche Erfahrungen in den Sitzungen gemacht. Zum Beispiel das Kämpfen mit Volker ist schon ein tolles Gefühl. All diese Handlungen wie Kämpfen, Schreien, allein tanzen, singen waren bei mir schon seit Jahren tabu. Erst jetzt merkte ich, wie ich unter unserer Beziehung auch gelitten habe, nur noch für ihn gelebt, auf ihn gewartet, mich nach ihm gerichtet habe.

Jetzt, nach einem Jahr Trennung und Therapie fühle ich mich freier. Ich habe gelernt, meine Autonomie zu wahren, wieder zu leben und das vor allem für mich und nicht für andere. Trotzdem ist mir völlig klar, daß ich erst am Anfang meiner Selbsterkennung stehe, und ich weiß, daß das Leben damit nicht leichter wird, ich „nur“ mit meinen Gefühlen (gleich ob schmerzliche oder lustvolle) besser umzugehen lerne. Eines ist jedoch jetzt schon erkennbar: Ich komme wesentlich besser mit meinen Kindern klar (und sie mit mir). Wir haben ein freundschaftliches Verhältnis, und ich versuche, alles ohne Zwang zu bewältigen.

Ich komme langsam aus meiner Erstarrung heraus.

 

aus ICH 3/ 92