Psychische Ursachen der ökologischen Krise. Statements von Hans-Joachim Maaz, Bernd Senf, Rudolf Bahro

Am 26.4.1992 veranstaltete der ich-e.V im Gymnasium „Carl von Ossietzky“, Berlin-Pankow unter dem oben genannten Titel eine Podiumsdiskussion, die mit den folgenden drei Beiträgen eingeleitet wurde.

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Hans-Joachim Maaz: Umweltzerstörung als Folge zerstörter Innenorientierung

Ich will am Anfang sagen, was mein Interesse ist. Es sind im wesentlichen zwei Dinge. Ich möchte mit den beiden anderen, die hier sind – für mich wichtige Praktiker und Denker – ins Gespräch kommen. Ich denke, wir kennen so annäherungsweise unsere Positionen, aber wir sind noch nie in ein Gespräch gekommen. Vielleicht gelingt das.
Sehr vieles, von dem, was wir sagen werden, könnte den meisten schon bekannt sein, wenn sie sich dafür interessieren. Das viel größere Problem ist nicht das mangelnde Wissen, sondern: Wie kann man das, was wir wissen, in die Tat umsetzen? Was kann man also an Praktischem tun und wie sehr sind wir bereit oder fähig dazu? Ich denke, das ist das zweite Thema, was wir gemeinsam bewegen könnten.

Die Umwelt-Verschmutzung und -Zerstörung ist ein Abbild unserer Innenwelt-Verschmutzung, -Verstörung, -Fehlentwicklung oder -Zerstörung. Das ist hier in diesem Kreis schon fast ein Allgemeinplatz geworden, auch dass diese beiden Dinge in einer Wechselbeziehung stehen, dass soziale oder Umweltbedingungen immer wieder dazu beitragen, dass Menschen sich einseitig fehlentwickeln und entsprechend fehlentwickelte Menschen – wenn sie als Masse auftreten – wieder dafür sorgen, dass die problematischen, gestörten bis zerstörerischen Verhältnisse bleiben und fortgetragen werden, also sich nicht wirklich auflösen.

Das ist in meiner Arbeit und meinem Verständnis von Psychotherapie eine zentrale Stelle, danach zu forschen: Weshalb ist das eigentlich so, dass Menschen, denen es schlecht geht oder die mit ihrem Leben nicht zufrieden sind und etwas verändern wollen, selbst wenn sie sagen: „Ich will mich und mein Leben verändern“ immer auch etwa in der gleichen Energie Widerstand dagegen haben. Also wenn sie sagen: „Ich will mich verändern“, muss man immer dazu hören: „Und ich will mich nicht verändern“. Dieses Gegenstück – ich will mich nicht verändern – ist in der Regel unbewusst und lässt Menschen eben in diesem Sinne agieren, wider ihr bewusstes Engagement oder ihren bewussten Willen. Jeder, der mal irgendwas Harmloses in seinem Leben verändern will – und wenn es nur ist, mit dem Rauchen aufzuhören oder weniger zu essen – der weiß, wovon ich spreche. Das kann man sich …zigmal vornehmen und wird immer wieder daran scheitern, weil sozusagen die Hintergründe nicht aufgelöst sind.

Nach meinem Psychotherapieverständnis liegen diese Hintergründe in den frühen Erfahrungen, die Menschen machen. Oder machen müssen. Das hat also etwas mit Erziehung zu tun. Und wenn ich Erziehung sage, meine ich immer autoritäre Erziehung.

Ich setze gerne gegen den Begriff Erziehung den Begriff Begleitung. Begleitung wäre die Fähigkeit und Bereitschaft von erwachsenen Menschen, sich in die Bedürfniswelt und in die Gefühlswelt ihrer Kinder so hineinzuversetzen, dass sie in der Lage sind zu erspüren, was Kinder brauchen und das möglichst optimal erfüllen können. Aber das ist nie vollständig möglich. Das heißt, es gibt immer diese Begrenztheit unserer Möglichkeiten, in Beziehung zu treten oder Bedürfnisse von Kindern zu befriedigen. An dieser Stelle geht es darum, dass wir in der Lage sind, bereit und mutig sind, unsere Begrenztheit einzugestehen. Das heißt, dass Eltern ihren Kindern glaubhaft, authentisch, ehrlich klarmachen können, weshalb sie im Moment weder bereit noch in der Lage sind, wesentliche Bedürfnisse der Kinder zu befriedigen.

Auf diese notwendige oder unvermeidbare Frustration, das unvermeidliche Leiden, das immer existiert – es ist keine Welt für mich denkbar, die das Leiden ausschließt – gibt es für uns Menschen eine hervorragende Möglichkeit, zu reagieren und dadurch dann dennoch weitestgehend stabil zu bleiben. Nämlich: mit Gefühlen. Auf die unterschiedlichen Arten von Versagen oder Frustration kann man mit Empörung, mit Zorn, mit Wut, mit Schmerz oder mit Trauer reagieren, je nachdem, um welche Art der Versagung es sich handelt. Wenn man unterdrückt wird, wird es in erster Linie Zorn sein, wenn man ungenügend befriedigt wird, wird es Schmerz sein und wenn man Verlust an Lebensmöglichkeiten oder Beziehungsmöglichkeiten hat, wird es vor allen Dingen Trauer sein. Wenn Menschen auf das unvermeidbare Leiden gefühlsmäßig in dieser Art und Weise reagieren können, dann bleiben sie in einem großen Umfang dennoch gesund und müssen keine Fehlentwicklung erleiden.

Fehlentwicklung kommt zustande, wenn mangelhafte Befriedigung, mangelhafte Einfühlung, mangelhafte Annahme vorhanden ist und die darauffolgenden berechtigten Gefühle nicht ausgelebt – besser gesagt – nicht ausgedrückt werden dürfen, wenn sie unterdrückt werden müssen. Mit diesen Verhältnissen, die ich mit dem Begriff des Mangelsyndroms und des Gefühlsstaus versuche zu beschreiben, geschieht etwas ganz Verhängnisvolles, nämlich dass Menschen im Laufe ihrer frühen Geschichte allmählich den Kontakt zu ihrer Innenwelt verlieren. Sie erleiden also einen Verlust. Sie können sich nicht mehr auf das verlassen, was sie innerlich wollen, was sie spüren und wahrnehmen. Sie müssen fürchten, dass das nicht angenommen wird oder dass ihre Gefühle nicht akzeptiert werden, sondern dass ihnen eingeredet wird, das sei nicht in Ordnung, man dürfe nicht wütend sein, man dürfe nicht traurig sein, man müsse sich beherrschen, die Zähne zusammenbeißen und so weiter. Diese Tatsache führt dazu, dass der Mensch allmählich den Kontakt zu sich verliert und in diesem Prozess zunehmend abhängig wird davon, was von außen an ihn herangetragen wird.

Das ist der Wechsel von einer Innenorientierung zu einer Außenorientierung. Der Mensch wird abhängig von den Vorstellungen, Normen, Geboten und vor allem von den Erwartungen, die Andere an ihn herantragen. Das hören wir in unserer Arbeit immer wieder, dass Menschen sagen, ich weiß gar nicht, was ich will, oder ich bin gar nicht gewohnt, auf mich zu achten, ich bin statt dessen sehr darauf eingestellt und sehr geübt, immer genau herauszufühlen und zu spüren, was andere von mir wollen, um das möglichst zu erfüllen.

Dieser Wechsel von der Innenorientierung zur Außenorientierung ist für mich der Hintergrund, oder der Untergrund dessen, wie Menschen entfremdet werden von sich selbst und zu Abhängigen werden – letztlich zu Untertanen, weil sie abhängig bleiben von äußeren Normen, Erwartungen, Anforderungen und Geboten. Sie können nicht mehr sagen, was sie selbst sind und wollen. Und das öffnet allen Experten, Machtpolitikern, Religionsfanatikern Tür und Tor.

Derart zugerichtete Menschen sind dann natürlich anfällig für jede Form von Verführung. Das ist eines der schwierigsten Themen für mich, weil auf diese Weise auch die edelsten Werte, also sagen wir mal die Werte menschlicher Beziehungen, Gefühlsoffenheit, menschlicher Nähe, Solidarität, Herzlichkeit – letztlich die Werte von Liebe, die Werte von Frieden usw.- , „entehrt“ oder ideologisiert werden können. Sie geraten in den Dienst dieser äußerlich angebotenen Werte, denen man nachfolgen will, weil man sie in sich nicht mehr findet. Das ist in jeder Religion ein Riesenproblem. Da brauchen wir nur das Christentum zu nehmen, wo Liebe gepredigt wird, wo aber von der menschlichen Liebe überhaupt nichts mehr da ist. Es ist eine Ideologie geworden. Oder gucken wir uns unsere deutsche Situation an. Zunehmend werden für meine Begriffe die Werte Demokratie, Freiheit – also wenn man aus dem Osten kommt, weiß man, das sind höchste Werte – zu Ideologien. Wenn zum Beispiel in einer Talk-Show aus einem Westpolitiker herausbricht: Ja, was wollt ihr denn, ihr habt doch jetzt die Freiheit gewonnen! – und er überhaupt nicht mehr verstehen kann, dass diese Art von Freiheitsbegriff uns nichts mehr bedeutet oder nichts mehr sagt, weil diese äußere Freiheit längst entleert ist und nicht mehr von einer inneren Freiheit getragen ist. Das ist die Ideologisierung auch der edelsten Werte, die übrigens auch in Psychosekten eine Rolle spielen kann. Immer, wenn man etwas, was man gelesen oder gehört hat und für richtig befindet, nachahmen will, ist die Gefahr groß, dass es auf diese Weise irgendwie entwertet wird.

Ich will vielleicht noch drei Stichworte dazu sagen.
Das erste war der Verlust der Innenorientierung und damit die Abhängigkeit von äußeren Angeboten.

Das zweite ist für mich in dem Zusammenhang der Begriff Sucht. Die eigenen inneren Bedürfnisse und Gefühle sind nämlich in ihrem Charakter sowohl zyklisch als auch rhythmisch. Sie zwingen die Menschen nicht in eine Steigerungshaltung. Aber jede Außenorientierung – also Normen, Konsum oder Macht – muss ständig gesteigert werden, weil der Mensch nicht mehr zu einer wirklichen Entspannung kommt durch die Ablenkung auf Ersatzbedürfnisse. Die bleibende Restspannung muss ständig mit den Kompensations- oder Beruhigungs- oder Ersatzmitteln gesteigert befriedigt werden. Die Steigerung ist unvermeidbar, so dass immer mehr konsumiert werden muss, immer mehr Macht angehäuft werden muss, immer mehr verbraucht werden muss und so weiter, weil sozusagen der natürliche Rhythmus verloren geht.

Also Außenorientierung heißt immer auch: Sucht. Es gibt eben nicht nur Alkoholsucht oder Drogensucht. Es gibt die viel gefährlicheren, weil sie sozial und gesellschaftlich bestätigt werden, also die Arbeitssucht, die Leistungssucht, die Darstellungssucht und so weiter. Viele dieser Süchte, bestimmen im Grunde genommen das Leben der Industriegesellschaft als Ausdruck der notwendigen äußeren Steigerung.

Ein dritter Begriff, der dazu gehört, denke ich, ist die latente Aggressivität. In dem Moment, wo dieser Wandel nach außen geschieht, bleibt der Mensch auf einem berechtigten Zorn sitzen, den er nicht ausdrücken kann. Dieser berechtigte Zorn muss sich Ersatzwege oder Ventile suchen. Entweder muss er ständig gedämpft werden, und dazu werden chemische Mittel eingesetzt, oder Alkohol, oder Essen oder
so etwas – oder er muss sozial ausagiert werden, zum Beispiel in Arbeitswut, Leistungssucht, Leistungssport oder dergleichen. Es müssen also ständig irgendwelche Formen gefunden werden, um den Überdruck abzureagieren. Zugespitzt ist die Zerstörung, die ökologische Zerstörung, die wir ja voll betreiben, alle zusammen, auch ein Ausdruck dieser latenten Aggressivität.

Da die Mutter-Kind-Beziehung für mich immer eine sehr wichtige Rolle spielt, habe ich keine Schwierigkeiten, die Metapher herzustellen, dass wir auf dieser Weise „Mutter Erde“, unser Zuhause, unsere Heimat zerstören, weil wir in einem umfassenden Sinne einen Mutterkonflikt in uns tragen, der etwas mit man-gelnder Liebe, mangelnder Annahme zu tun hat. In der Regel können wir das mit unseren leiblichen Müttern nicht austragen oder wagen nicht, es auszutragen oder machen es uns nicht mal bewusst. Denn, wenn ich in mir die Erfahrung trage, ich bin von meiner Mutter nicht wirklich vollständig angenommen und geliebt, ist das nicht nur eine sehr schmerzliche Erfahrung, sondern auch, wie ich glaube, eine lebensbedrohliche Erfahrung. Und auch wenn wir uns als Erwachsene dieser Erkenntnis wieder nähern, löst das Todesängste aus. Und das ist der Grund weshalb wir, denke ich, uns diesen Gefühlen nicht zu nähern wagen und statt dessen lieber ausagieren, zum Beispiel auch, indem wir bereit sind, Mutter Erde zu zerstören.

Zum Abschluss die Frage: Was von diesem Wissen kann man real umsetzen, was kann man tun, damit das keine Utopie bleibt? An dieser Stelle habe ich die meisten Schwierigkeiten. Es ist klar, es kann nur um ei-nen Prozess gehen, um das, was wir Trauerarbeit nennen: dass wir Raum und Zeit und Gelegenheit und Verständnis finden und uns nehmen und organisieren, die Gefühle, die wir in uns tragen – aufgestaut auf Grund der unterdrückenden Erziehungsverhältnisse, der einengenden oder entfremdenden Erziehungsver-hältnisse – diese Gefühle wirklich auszudrücken. Denn wenn wir das nicht tun, leiden wir unter einem Gefühlsdruck und sind immer wieder genötigt, Dämpfungsmittel zu nehmen, oder dies sozial in irgend einer Weise ventilartig auszuagieren. Und sind dann immer anfällig für die Angebote der modernen Gesellschaft, vor allem Anstrengung, Leistung, Erfolg, Konsum usw. Da sehe ich den unmittelbaren Zusammenhang von unserer Innenwelt zu dem was wir äußerlich geboten bekommen, akzeptieren und selbst fortführen.

 

Bernd Senf: Das Lebensenergiekonzept von Wilhelm Reich – ein Ausgangspunkt für ökologisches Denken und Fühlen

Ich möchte vor allem einen Gedanken und Gesichtspunkt hier einbringen, nämlich den lebensenergetischen Aspekt. Und da sind schon ganz viele Berührungspunkte und Anknüpfungspunkte zu dem, was Hans-Joachim Maaz gerade stichpunktartig entwickelt hat. Und gleichzeitig gehen diese lebenenergetischen Aspekte, denke ich, in gewisser Weise noch darüber hinaus, weil sie zeigen, dass sie unseren Gefühlen tatsächliche Energien zu Grunde liegen.

Ich beziehe mich da vor allem auf die Forschung von Wilhelm Reich, der diese Energien, die unseren Gefühlen zu Grunde liegen oder die wir als Gefühle wahrnehmen, als tatsächliche Energie, als Lebens-energie, später als Orgon-Energie benannt hat.

Reich hat nachgewiesen, dass diese Energieprozesse tatsächlich Naturprozesse sind. Wenn wir sagen, wir fühlen uns innerlich bewegt, dann ist das die subjektive Wahrnehmung eines Strömens, eines Fließens dieser Energie durch unseren Organismus, in unserem Organismus. Als Begleiterscheinung dieses Energiefließens, wird auch das Plasma in jeder einzelnen Zelle bewegt. Diese Beweglichkeit scheint eine Grundlage zu sein für das Wahrnehmen von Gefühlen und auch für die Fähigkeit, Gefühle auszudrücken. Aber genau das ist in unserer Kultur eben durch vielfältige Einflüsse mehr oder weniger abhanden gekommen und unterdrückt worden, zum Beispiel durch die autoritäre Erziehung, die körper- und lustfeindliche Erziehung, die damit ja einher geht, auch vom Christentum und anderen patriarchalisch geprägten Religionen her. Das scheint mir der gemeinsame Nenner zu sein: eine prinzipielle Lust- und Körperfeindlichkeit, die dann etwas herausbildet, was Reich seinerzeit Charakterpanzer genannt hatte, also eine emotionale Starrheit oder Blockiertheit. Die findet auch immer ihre Entsprechung in einer körperlichen Panzerung, was Reich Körperpanzer genannt hat: Wenn ein Mensch – und zwar von Beginn seines Lebens an und dann durch Kindheit, Jugend bis ins Erwachsenenalter hinein – solchen Einflüssen unterlegen ist, die es ihm oder ihr nicht ermöglicht haben, Gefühle wahrzunehmen, auszudrücken, auszutauschen, sondern wo diese Gefühle mit Schuld, Strafe und was auch immer belegt wurden, nicht in Austausch treten konnten, ins Leere gegangen sind – da hat dieser Mensch sich hart gemacht.

Diese Blockierung, diese Panzerung hat ja ursprünglich in den einzelnen Konfliktsituationen durchaus einen Sinn gehabt, es war ein Schutzmechanismus. Nur, er ist dann chronisch geworden und der erwachsene Mensch kann sich daraus nicht einfach lösen, selbst wenn er möchte, sondern ist in diesem Panzer, in dieser tendenziellen Erstarrung mehr oder weniger gefangen. Das ist ja auch mit anderen Worten, was Hans-Joachim Maaz den Kontaktverlust gegenüber dem Inneren genannt hat. Es ist sozusagen der Verlust des Kontaktes zu dieser inneren Energiequelle, die bei einer gesunden emotionalen Entwicklung eben ungehemmt, unblockiert, spontan fließen könnte – auch zusammenfließen könnte mit den Energien anderer Menschen. Ein Zusammenströmen, das dann als wechselseitige Erregung, ja als Lust, als Liebe empfunden werden könnte.

Aber in dem Maß, wie sich ein Mensch starr gemacht hat, hat er den Kontakt zu dieser inneren lebendigen Quelle verloren, mehr oder weniger zugeschüttet. Das ist so tief verschüttet in unserer Kultur, dass es erst umfangreicher Forschungen bedurfte, um diese verschüttete Quelle überhaupt wieder aufzudecken und zu sehen, dass selbst bei Menschen, die später charakterlich und körperlich stark gepanzert sind, ein Prozess der Veränderung möglich ist. Reich ist, denke ich, einer derjenigen, der diese verschüttete Quelle mit am gründlichsten wieder freigelegt haben, der gezeigt hat: Es ist im Grunde in uns Menschen etwas ganz Wunderbares, diese innere Quelle von Lebensenergie, mit der jedes Kind, jedes Neugeborene in die Welt hineinkommt. Und wenn diese innere Quelle wieder ungehemmt sprudeln kann, dann bauen sich oft auf ganz erstaunliche Art und Weise Krankheitssymptome ab – auch körperliche Krankheitssymptome -, die aus diesem aufgestauten und blockierten Gefühlen und Energien hervorgegangen waren. Und dann treten zuweilen Heilungen auf, wo die Schulmedizin sagt, das kann nicht sein.

Aber Reichs Forschung ging ja dann noch über die Erforschung von derartigen Prozessen in Menschen hinaus in den allgemeinen Bereich der Erforschung des Lebendigen. Er hat herausgefunden, dass die kleinsten Einheiten des Lebendigen, also die Einzeller, eben nicht nur verstanden werden können als stoffliche Ansammlung von Zellplasma, Zellwand, Zellkern und so weiter, sondern dass das auch ein lebensenergetisches System bildet, durchströmt von dieser Lebensenergie und umstrahlt von einem Strahlungs-feld dieser Energie. Schon das primitivste lebende Gebilde, der Einzeller, ist über dieses lebensenergetische Strahlungsfeld verbunden mit anderen Einzellern. Die brauchen sich körperlich nicht zu berühren, die brauchen keinen stofflichen Kontakt zu haben. Die brauchen keine Art von Informationsverbind-ung zu haben, die wir sonst zugrunde legen, sondern allein dieses Verschmelzen, dieses Berühren, dieses Durchdringen lebensenergetischer Strahlungsfelder stellt zwischen lebenden Organismen eine Art Kom-munikation her.
Das wurde erst später, nach den Reich’schen Forschungen, die weitestgehend ignoriert worden sind, auf ganz unabhängigem Wege entdeckt. Da sprach man von Biokommunikation. Man hat die Strahlungsfelder von anderen, komplexeren Lebewesen, etwa Pflanzen, sichtbar machen können, jedenfalls indirekt – zum Beispiel durch die Kirlian-Fotographie. Man kann auch die Strahlungsfelder bei Menschen mit dieser Methode sichtbar machen, etwa von Fingerkuppen. Man kann auch sichtbar machen, wie Strahlungsfelder zweier Menschen miteinander sozusagen verschmelzen, wenn sich diese Menschen in diesem Moment sympathisch sind, Liebesgefühle haben oder wie diese Strahlungsfelder sich voneinander zurückziehen, wenn die betreffenden Personen in dem Moment feindselige Gefühle haben. Das heißt, dem, was emotionaler Kontakt genannt wird, liegen tatsächliche energetische Naturprozesse, lebensenergetische Natur-prozesse zugrunde. Wenn wir sagen, viele haben den Kontakt zum Inneren verloren, dann heißt das: Diese chronische Kontraktion, das Starr-Werden, das Bewegungslos-Werden des Plasmas verhindert, dass sich zwischen den Zellen, zwischen den einzelnen Organen im Organismus, aber auch zwischen Menschen diese Strahlungsfelder aufbauen.

Reich hat herausgefunden, dass dieses Abschneiden von Teilen des Organismus von diesem Energiefluss teilweise schwerste Krankheiten hervorbringen kann. Er hat den Oberbegriff Biopathie geprägt, also bio-energetische Erkrankung. Er hat sogar Krebs als Ausdruck und zugespitzte Entwicklung einer solchen bio-energetischen emotionalen Erkrankung interpretiert und erforscht. Das heißt, der Organismus zerfällt so-zusagen in seiner ganzheitlichen Funktion, wenn Teile abgeschnitten sind von diesem einheitlichen, ganzheitlichen Fliessprozess.

Was kann uns diese Erkenntnis beitragen zum Verständnis der ökologischen Krise? Auch da beziehe ich mich auf spätere Forschungen von Reich, der dann auch entdeckt hat, dass die Erde – Hans-Joachim Maaz hat von „Mutter Erde“ geredet, das war ja zunächst erst einmal bildlich gemeint – dass die Erde tatsächlich verstanden werden kann als ein lebendiger Organismus. Und zwar in dem Sinne, dass die Prozesse, die sich auf diesem Planeten vollziehen, die Naturprozesse, wiederum auch nicht nur von ihrer stofflichen Seite verstanden werden können. Sondern dass diese Erde umströmt, vermutlich auch durchströmt ist von einem lebensenergetischen Feld. Was im übrigen Reich – zu einer Zeit, als es noch keine Satellitenauf-nahmen gab – bereits als ein blaues energetisches Strahlungsfeld beschrieben hat. Das heißt vermutlich: Die Erde als „blauer Planet“ – dem liegt ein energetisches Strahlungsfeld der Erde zu Grunde. Und sogar großräumige klimatische Prozesse, Wetterveränderungen dürften durch die Fliessbewegung dieser Le-bensenergie in der Atmosphäre reguliert werden. Die Bewegung der Luftmassen und Wasserdampfmassen wären dann nur sekundär, Folgen der zugrundeliegenden Energiebewegung.

Und wie Reich herausgefunden hatte, dass ein Mensch zutiefst krank werden kann, an der Blockierung seiner an sich natürlich sich bewegenden und fließenden Lebensenergie, hat er später auch herausgefunden, dass der Organismus Erde krank werden kann und zu seiner Zeit auch schon krank geworden ist: an der Blockierung dieser natürlichen Fliessbewegungen der Lebensenergie in der Atmosphäre.

Und dort, das ist das Erstaunliche, vollzieht sich dann – obwohl es ganz andere Größendimensionen sind, ganz andere stoffliche Strukturen, verglichen mit dem menschlichen Organismus – vollzieht sich etwas, was Reich „funktionell identisch“ genannt hat. Das heißt, bei allen Unterschieden zwischen Organismus Erde und Organismus Mensch lassen sich gemeinsame Funktionsprinzipien finden – zum Beispiel in den Gebieten des Organismus Erde, wo dieser Energieprozess zum Stocken kommt, erstarrt ist – aus Gründen, die verschiedene sein können. Reich hat unter anderem damals schon den Einfluss der technologischen Radioaktivität aufgezeigt: Das stört fundamental diese lebensenergetischen Prozesse.

In den Gebieten, wo diese Fließprozesse erstarren, bricht die natürliche Selbstregulierung zusammen. Das äußert sich unter anderem darin, dass nicht mehr diese Pulsation von Wolken-Bildung und Wolken-Abregnen eintritt, sondern Dürreperioden, über Jahre, Jahrzehnte, vielleicht Jahrhunderte – so dass sich dann die Wüste breit macht. Also ganz ähnlich wie ein Teil im menschlichen Organismus, der von dem Energiefluss abgeschnitten ist, dann einen Tumor ausbildet. So könnte man die Wüstenbildung auf der Erde begreifen als „funktionell identisch“ dem Krebsprozess im menschlichen Organismus. Und wir wissen, dass in den letzten Jahrzehnten diese Wüsten – oder wenn man so will, der Hautkrebs der Erde – in dramatischer Weise im Begriff sind, sich auszudehnen.

Dass die Erde derart krank wird, ist – so hat Reich formuliert – nicht zu trennen von dieser inneren Verödung. Er hat sogar das Wort gebraucht: die äußere Wüste findet Entsprechung in der inneren emotionalen Wüste. Das heißt also: Menschen, die den Kontakt zu ihrer inneren Lebensenergie verloren haben, spüren auch nicht mehr intuitiv, dass im Grunde sie nur ein Teil eines größeren lebendigen Ganzen sind. Dass sie auch Teil eines ökologischen Systems sind, wo andere biologische Arten von der gleichen Lebensenergie durchströmt, umgeben sind. Das sind Dinge, die haben frühere Menschen in früheren Kulturen vermutlich gespürt, die haben diese Energien wahrgenommen, sich inspirieren lassen von der übergeordneten ener-getischen Natur, wenn man so will: vom Energiefeld der Erde, vom Geist der Mutter Erde. So ist es ja immer mal wieder genannt worden. Sie haben das in sich einströmen lassen und daraus Intuition gewonnen, wie sie sich verhalten im Einklang mit der übrigen Natur. Also nicht in dem Verständnis „über der Natur zu sein“, die Natur beherrschen zu wollen, „die Krone der Schöpfung sein“ – sondern im Einklang mit der übrigen Natur. Und das ist uns abhandengekommen, dieses Gefühl davon.

Es ist also nicht nur der Verlust des Kontaktes zur Innenwelt, sondern damit einher geht, untrennbar und unvermeidlich, der Verlust des Kontaktes zur lebendigen Natur. Also zunächst mal zum großen Organismus Erde mit all seinen lebendigen Teilen.

Aber man kann das ja alles noch ausweiten. Man kann den Kosmos entgegen dem „naturwissenschaftlichen“, mechanistischen Weltbild, wie es sich durchgesetzt hat, als einen großen lebendigen Organismus verstehen, der sozusagen auf verschiedenen Ebenen die Teile immer wieder in einen lebendigen Zusam-menhang bringt und eine Selbstregulierung hervorbringt – aber eben nur dann und insoweit, wie die Teile sich dem Fliessprozess des jeweils übergeordneten Systems hingeben und öffnen. Und die zivilisierte Menschheit – auf jeden Fall die seit etwa 6000 Jahren im Wesentlichen ins Patriarchat umgekippte Menschheit -, hat diesen Kontakt zu den inneren Energien verloren, damit den Kontakt zu den lebendigen Energien der ganzen Natur, des ganzen Kosmos verloren, ist sozusagen „blind“ geworden – und hat dann Lebensweisen, Technologien, Denkweisen, Religionssysteme, Institutionen, Gesetze, Erziehung und was nicht alles entwickelt, die alle an dieser grundlegenden Einheit mit der Natur vorbei gehen.

Und auch dafür hat Reich ein tiefes Verständnis entwickelt, vor allem in seinem Buch „Der Christusmord“: Wenn Menschen erstmal in solche Situationen geraten sind, dass sie das Lebendige in sich derart verschüttet haben, dann ist das Wiedererinnert-Werden an dieses Verschütten eine entsetzliche Erfahrung. Selbst Menschen, die in die Therapie gehen und diese Gefühle endlich mal wieder haben möchten – also auch die verschütteten sexuellen Gefühle -, geraten, wenn der Prozess zu schnell vonstatten geht, in absolute Panik. Das hat Reich auch immer wieder beschrieben, er hat es dann auch – bezogen auf die genitale Sexualität – genannt: Orgasmusangst. Wenn es dann beginnt, dass diese wiederströmenden Energien in den Bereich des Beckens einströmen – wo woher alles getan wurde, um das niederzuhalten -, kommt Panik hoch. Und das bedeutet, anstatt sich zu konfrontieren oder konfrontiert zu werden mit diesen tiefen Ängsten, die aus der Verschüttung des Lebendigen hervorgegangen sind, wählen viele Menschen – ja ganze soziale Bewegungen oder politische und gesellschaftliche Strukturen – den anderen Weg: Wo ihnen das Lebendige, das Spontane begegnet, bekämpfen sie es mit blindem Hass und versuchen, es mit allen möglichen, oft brutalsten Mitteln niederzuhalten.

Reich hat gesagt, Christus war vermutlich eine Verkörperung von Lebensenergie. Und der Christusmord seinerzeit, dass ist nicht nur einmal in der Geschichte geschehen, sondern das geschah im Grunde schon ein paar tausend Jahre vorher und geschieht seither tagtäglich millionenfach – nämlich in der immer wieder stattfindenden Zerstörung lebendiger, spontaner Impulse, auch in den neu Heranwachsenden, also in den Babys und kleinen Kindern. Und solange dieser Prozess sich wiederholt, wird immer wieder der Kon-taktverlust nach innen eintreten – der Kontaktverlust zur Umwelt, zu Mutter Erde, wenn man so will – und werden daher derartige selbstzerstörerische und nach außen zerstörerische Impulse entstehen, die dann unter anderem eben auch ihren Ausdruck finden in der ökologischen Krise und Katastrophe, in der wie uns ja mittendrin befinden.

 

Rudolf Bahro: Wiederbelebung der Seele ist eine Arbeit im Vorfeld

In der DDR habe ich zwei Erfahrungen mit der Psychoanalyse gemacht. Es gab in den 50-ziger Jahren an der Humboldt-Universität den Parteisekretär Werner Tschoppe, der dann, weil er nicht konsequent gegen Robert Havemann gekämpft hat, gestürzt ist. Wir kamen einander irgendwie nah in der Zeit – und der hat mir heftig Wilhelm Reich zugesteckt. Den jungen Wilhelm Reich, also den, der die Themen der Sexualunterdrückung, der Charakteranalyse behandelt hat. Und für mich „privatbiographisch“ ist nichts von der Psychoanalyse unmittelbar wichtiger gewesen, als diese Begegnung.

Also erstmal habe ich daraus entnommen, dass bestimmte, zum Beispiel erotische Regungen, die über die Kleinfamilie hinaus gehen, nicht unbedingt gegen die Parteivernunft verstoßen müssten. Und vor allem – was eigentlich wichtiger war -, dass also allein schon die intellektuelle Kenntnisnahme irgendwie den Gesamtorganismus etwas mehr in Fluss bringt, als das so normalerweise üblich ist. Und als ich dann nach den zwei Jahren Stasi-Knast – die natürlich erstmal bedeuten: Man zieht sich zusammen, man hat es ja mit einem Feind zu tun – als ich dann „rüber“ kam in den Westen, war mir völlig klar, dass ich mir bioenergetisch einiges leisten muss.

Und meine ganze, den Massen natürlich unliebsam bekannt gemachte Begegnung mit Bhagwan hat damit zu tun. Der Bhagwan ging diesen körperfreundlichen Weg. Und die vier Wochen, die ich in Rajneesh-Poona war – in der später gescheiterten Stadt in Oregon, die da um ihn entstand – da bestand das im Wesentlichen darin, dass ich drei mal fünf Tage körperorientierte Workshops mitgemacht habe. Und dass dann noch diese bestimmte Version von Spiritualität im Raume stand, hat mich nicht im geringsten gestört, zumal ja nicht alles falsch war, was der Bhagwan da gesagt hat. Das meiste vielmehr ist wahr, auch wenn es mir in mancher Hinsicht nicht genügte.

Der erste Workshop war einfach 5 Tage Breathing, Atmen, und der das geleitet hat, das war ein sehr guter amerikanischer Psychotherapeut. Also fünf Tage lang durch die verschiedensten Techniken mit dem eigenen Atem gehen. Und der nächste von den Workshops hieß Dau – das bezieht sich auf das Dau De Dschin. Und das bedeutete in diesem Falle: Die Frau die das geleitet hat, hielt jeden, der da irgendwie Thema wurde, daran fest: „Was fühlst du jetzt im Augenblick, diskutier die Sache nicht, sonder spiel mal den Säugling der sich damals wahrscheinlich so geärgert hat!“ Es musste gar nicht stimmen, das war nicht die Behauptung, sondern: „Zeig da mal was!“ Und der dritte Workshop hieß „Awareness (also so etwas wie Aufmerksamkeit für das, was im Augenblick ist) and Expression“: „Drücke es jetzt mal aus!“ Ich kann jedenfalls an meinen Fotos von damals und an meinen Fotos von heute sehen, dass da irgendwas passiert ist, dass da einiges an Futteral abgefallen ist.

Theoretisch, muss ich sagen, ist für mich Fromm wichtiger gewesen als Reich. Theoretisch – weil in den selben Zeiten und auch etwas später, Fromm die gesellschaftliche Perspektive von Marx (und zwar undogmatisch) und die Perspektive von Freud zusammen gebracht hat – ohne diese Einengung, die bei Psychologie leicht droht. An den Vorwurf „Psychologismus“ – der größere Teil dieses Vorwurfs ist immer Abwehrmechanismus – ist auch manchmal was Wahres dran: Man denkt, an diesen bestimmten inner-psychischen Prozess alles aufhängen zu können. Da sei Fromm vor, sozusagen! Auch das hat sicher seine Grenzen, aber ich glaube, dass Fromm vor allem für Leute, die weiß ich wie viele Jahrzehnte mit historischem Materialismus (in welcher Vulgarisierung auch immer) groß geworden sind, dass Fromm da ein guter Zugang ist, um sich an diese psychoanalytische Sache heranzutasten – bis hin zu der Frage, was ist eigentlich Spiritualität.

Fromm hat sich verabschiedet mit dem Satz: „Die Kranken sind die Gesündesten“. Wenn nämlich die Gesamtgesellschaft falsch und krank funktioniert, dass Leute, die da psychotisch reagieren, unter Umständen dichter an der Wirklichkeit sind, als diejenigen, die immer alles wegerklären können, immer erklären können, warum das alles immer nicht anders sein kann.

Und noch wichtiger ist für mich im Theoretischen dann C. G. Jung geworden. Ich vermute, wegen dessen Begriff des „Selbst“, das nämlich objektiv klüger sein soll als das „Ich“. Das ist nicht einfach unsere Biologie, sondern bei Jung ist daran gedacht, dass unsere Biologie natürlich die intelligente Evolution des Kosmos durch die Jahrmillionen enthält. Und wenn das aufgedeckt wird, das ist intelligenter als das technische Genie natürlich. Nur äußerste Genialität – oder was die Spirituellen dann Erleuchtung nennen -, das könnte dann das selbe, was dieses Selbst in uns weiß. Bloß dieses Selbst in uns, das ist keine Privatfakultät, das bin wiederum auch nicht nur ich.

„Ossi“ gegen „Wessi“ zum Beispiel, das sind bloß zwei Wahnsysteme. Das ist nicht der Mensch.

Der Bhagwan hat das mal wunderbar geschildert in einem Gleichnis, einem Gedankenexperiment: Es sei im Lande Israel ein Kind ausgesetzt worden und eine Palästinenserin hebt das auf. Und dann, zwanzig Jahre sind vergangen, dann kann man sich vorstellen, in welchen Graben, in welcher Kampfform, in welcher Psychologie (Islam uund so weiter) das lebt. Es kann aber auch sein, eine Jüdin hätte es aufgehoben. Dann weiß man auch, was in Israel los ist, dann ist es auch in einer bestimmten Psychologie. Es sind also zwei Wahnsysteme, was da Palästinenser und was Israeli heißt. Und Ossi und Wessi kann da eigentlich nichts anderes sein. Der Mensch ist beidemal noch nicht bezeichnet, überhaupt nicht bezeichnet, sondern zugedeckt worden, mit lauter sehr kurzfristiger Sozialisation.

Also das als Zugang. Ich glaube, da ist jetzt schon klar geworden, wenn ich im folgenden – sagen wir mal, eher indirekt – ein bisschen von dem in Frage stelle, was Hans-Joachim und Bernd hier gesagt haben, dass das nicht bedeutet, irgendeinen der Tatbestände, auf die sie sich beziehen, in Frage zu stellen. Sondern ich denke, dass wir versuchen müssen, den Seelenbegriff, oder den Psychebegriff und den Geistbegriff über das vielleicht noch zu Individuelle hinauszuführen. Das ist eigentlich der Punkt, auf den ich hinaus will für unser Gespräch.

Ich will vorher aber noch was sagen zu diesem Kopplungsproblem mit der Ökologie, weil das als Vorbau ganz wichtig ist und sehr eng damit zu tun hat.

Ich habe schon dem Hans-Joachim kurz so eine Erfahrung mitgeteilt: Wir haben da in der Kommune in Niederstadtfeld, in der ich ein Teil meiner Zeit auch jetzt noch verbringe, eine ganze Weile mal solche indianischen Workshops gemacht. Einfach vor dem Hintergrund, dass die Stämme, die übrigens das Mutterrecht noch gar nicht lange hinter sich haben, natürlich noch ganz andere Naturverhältnisse hatten. Nun findet das natürlich bei uns statt, und auch die Schamanen haben vielleicht sich Indianernamen zugelegt – aber sie sind Weiße. Und man denkt dann, in einem Schnellkurs, der darauf hinausläuft: „Nimm mal Kontakt mit den Bäumen auf!“, dass da irgend jemand Indianer wird oder so: Wenn du den Baum richtig gefühlt hast, der Herr wird es wohl machen oder der große Geist oder weiß ich was. Und das sind natürlich äußerste Kurzschlüsse.

Ich glaube, dass die Dinge, die du besonders hervorgehoben hast, Bernd – in welchem Grade uns die Kultur fühlunfähig gemacht hat für die Natur, dieses Resonanzphänomen, das nicht mehr stattfindet – daraus folgt noch nicht, dass der kürzeste Weg zur Lösung wäre, die Leute in die Natur zu führen: „Fass mal das Blatt an und wenn du dann mal wieder fühlst, dann geht das“. Ich will nicht sagen, dass das nicht dazu gehört. Sondern nur: Ich halte es für einen Kurzschluss, wenn man das für die Haupttür hält.

Also in dieser westlichen New-Age-Bewegung ist es zum Beispiel üblich, zu erklären: „We are all part of the trees“, wir sind alle Teil der Bäume. Und das ist natürlich völlig wahr, soweit erstmal. Worüber Bernd hier gesprochen hat, das ist Naturtatsache, erstmal. Aber wenn heute, selbst in Indien jemand Jogi sein muss, um das Erdbeben zu spüren – während die Tiere das drei Tage vorher wissen -, dann hängt das damit zusammen, dass selbst die der Natur so nahen Inder schon tief in der Kultur stehen. Und das ist wohl sozusagen kein gesellschaftskritisch behandelbares Thema, wie das so gekommen ist. Da muss der Geist – das ist noch was anders als Psyche, das ist eine spezielle Fakultät – der muss da was mit uns gemacht haben, ich sag es jetzt mal blöd theologisch: was Gott gewollt hat. Egal wie man das nennen will. Spinoza sagt, Gott ist gleich der Natur. Wir sind alle Teil voneinander, klar, in der Liebesbegegnung merkt man das, und das ist die tiefere Wahrheit. Und doch, ich hab denen damals gesagt: Wir sind alle zuerst Teil der Megamaschine. Und der Menschen ist des Menschen Wolf. Und zwar nicht bloß, wenn wir zufällig wirklich mal Kapitalisten sind, die den größten Teil für sich haben wollen, sondern das ist verdammt eingelassen. Also ein Assistent an der Uni konkurriert mit dem anderen in genau demselben Geiste – und das ist schon lange nichts Subjektives mehr. Und das hat auch nicht die DDR verursacht oder die Bundesrepublik gerade mal gestern, oder 1951, sondern das steckt seit den Griechen bei uns drin. Oder seit dem Patriarchat besonders, das sind vier- bis sechstausend Jahre.

Also man muss sich darüber klar sein, dass die Wiederbelebung der Seele, der Psyche, mit der sich Hans-Joachim und Bernd ganz besonders befassen, dass das eine Arbeit im Vorfeld ist, eine Arbeit der Voraussetzung. Also wenn ich mich da nicht ein bisschen reingestürzt hätte – wenn man so zusammengeduckt aus der Vernehmung kommt, man sieht da mehr Feinde, als es gibt auf der Welt – und alles was man theoretisiert, wird falsch. Die ganzen Bilder vom Klassenfeind – und nicht sehen, dass wir alle als Kapitalisten hier sitzen! Wer hat denn nicht den Gebrauchtwagen gekauft, jetzt?

Das ist also die Bedingung irgendwie, dass man sich da lockert. Aber wenn wir ran wollen an die Frage, wie diese ökologische Krise lösbar ist, dann denke ich, muss man den Ort dieses psychoanalytischen Zugangs in dem Thema Psyche allgemein finden. Und für mich sieht das Grundproblem so aus, dass ich erstmal feststelle, die ökologische Krise heißt ihrem Wesen nach: Der Menschengeist sprengt, soweit er überhaupt reicht, die natürlichen Gleichgewichte. Wobei natürlich der psychologische Untergrund eine große Rolle spielt, aber als ein historisches Produkt , das nicht von den Eltern und Großeltern ist. Die haben es natürlich übermittelt, aber das ist eine sehr lange Geschichte. Wilhelm Reich kam ja auch nicht zufällig zu Patriarchatsstudien. Aber da ist noch mehr im Gange. Es kann das Patriarchat kein Zufall sein. Und auch nicht bloß geographisch bedingt – so gute Gründe es dafür gibt, dass da Verwüstungsprozesse zum Krieg getrieben haben. Diese Flusstalkulturen in Mesopotamien, in Ägypten waren am Anfang mutterrechtlich. Und diese Bewässerungsprozesse dort haben in einem langen Prozess von etwa fünfzehnhundert Jahren die Versalzung dieser Böden bewirkt. Und wenn das dann dicht besiedelt ist, und das ist versalzen und das gibt nicht mehr genug her – was ist da näherliegend als Krieg? Das gibt also auch innere Gründe dann in solchen Gesellschaften, dass man sich einen Häuptling sucht und aufeinander losgeht. Das hat in Mesopotamien zur selben Zeit begonnen wie dann auch die nomadischen Einfälle kamen von außen. Also es ist ein überaus komplexes Ding, das lange Wurzeln hat.

Wenn man näher an den Punkt ran geht: Es ist der menschliche Geist, der da den Naturzusammenhang, die Naturgleichgewichte sprengt. Zu unserem Nutzen haben wir uns sozusagen einen Naturzusammenhang herausgenommen, zum Beispiel Feuer. Und man muss wirklich kein spätpatriarchaler Macho aus dem heutigen Westen sein, um die Erde zu verbrennen. Da haben die in der Altsteinzeit die Steppe angezündet und den Wind berechnet und geguckt , dass die Pferdeherde den richtigen Felsabhang runterfällt. Und dann haben sie geerntet da unten.

Und jetzt ist natürlich die Frage, die durch die Psychoanalyse und besonders durch Reich, durch die Bioenergetik aufgeworfen ist: Wie also diese Naturanlage dahin kommt, dass sie sich in uns selber gegen den größeren Teil von Natur in uns stellt, dass sich das so verselbstständigt. Und das scheint mit dem Thema „Ich“ zusammenzuhängen. Man braucht ja nicht viel, um Feuer zu machen, nur zwei Klamotten in der Steppe, damit das also diesen Grad an kultureller Explosion bewirkt. Und das ist an dem Übergang zum Patriarchat besonders ablesbar, weil das ein Sprung war: das Ich – und zwar das männliche Ich – in Konkurrenz mit den anderen. Ein Napoleon gegen den anderen, das ist das, was da passiert. Also in diesem Augenblick, in dem das Ich aufkommt, da geht es in Wirklichkeit gar nicht mehr um das, was der Vulgärmaterialismus immer in den Mittelpunkt gestellt hat: dass der Mensch ja essen muss. Dazu braucht man diese technischen Großveranstaltungen, die wir hier machen, alle nicht. Im Gegenteil: Die behindern für die überwältigende Mehrheit der Menschen heute, dass sie essen können und für die Tiere und Pflanzen, dass sie leben können. Wir bringen uns um.

Also, das hängt damit zusammen: Dieses Ich muss im Grunde genommen, wenn’s geht, die ganze Welt um sich ansammeln. Das heißt, das ist ein Machtprojekt, das sich über den Durchgang durch die materielle Welt umsetzt, durch das Sachen-Machen, durch das Waffen-Machen in erster Linie. Und da sind mehr Sachen Waffen, als denen anzusehen ist. Die Wissenschaft zum Beispiel, das ist ein einziges Waffensystem. Das ist Ich-geschaffen. Und das hat damit zu tun, dass das menschliche Ich zwar die größte besondere Ursache ist – aber sterben muss. Dass es eigentlich mit zunehmender Zivilisation nur gelernt hat, stärker den Tod zu verbergen, nicht anzunehmen, nicht sagen zu können: Ich habe in irgendeiner Hinsicht genug. Der ganze Überlebenskampf ist keiner ums physische Überleben, sondern ist die Frage: Was bin ich, wenn ich nicht mehr „Diplomphysiker“ schreiben kann in meiner Heiratsanzeige? Und dieser Zusammenhang steckt eigentlich dahinter, dass wir uns diese Höllenmaschine gebaut haben.

Und deswegen denke ich, dass es eigentlich um folgendes geht: dass wir über diese verschiedenen bioenergetischen, psychoanalytischen und spirituellen Techniken, sozusagen die Befreiung von dieser Obsession, von dieser Ich-Besessenheit organisieren. Dass wir die Zeit, die wir nur immer gesellschaftlich dafür freimachen können, dafür benutzen, Gelassenheit in dieser Hinsicht zu erlernen.

Es scheint mir so, dass die Spitze der durchschnittlichen Bewusstseinsverfassung bisher dieses angstvolle Ich ist, das sich machtkämpferisch durchsetzt. Und die Schwächeren, die spielen nur von der Opferseite das selbe Spiel. Dieses machtkämpferische Ich, dass muss nicht mal bekämpft werden, sondern man muss sehen, ob das nicht wegfallen kann. Und ob dann nicht aus unserer Naturanlage Kräfte sich bemerkbar machen, die bisher zumindest noch niemals institutionalisiert worden sind. So eine kleine Gruppe um Jesus, falls da was war – oder bei Buddha, da weiß man es. Oder um Lao-tse. Also um einzelne solche Leute, wenn es da Gruppen gab, die waren dann auf einem höherem Niveau, das war dann keine patriarchale Großgesellschaft mit Staat und so. Aber es ist bisher nie gelungen, so etwas gesellschaftlich zu konstituieren. Das ist vielmals versucht worden aber nicht gelungen.

Dort liegt die Richtung, wenn wir aus dieser Kulturkatastrophe, die das jetzt geworden ist, einen Ausweg finden wollen. Und wahrscheinlich ist es so, dass der Mensch von seinen Anlagen nicht umhin konnte, bis an den Punkt zu gehen, wo das ganze Häuschen Erde zu klein ist. Er musste sich diese Erfahrung erst verschaffen: „Das geht nicht mehr“. Ich bin wirklich gespannt, was passiert, wenn diese Gesellschaftsordnung Kapitalismus – die ohne Expansion nicht sein kann, was sie ist -, wenn deren Expansion nun endgü-tig beschränkt ist. Was wir hier im Osten gemacht haben, war ja nur: mit hechelnder Zunge hinterherlaufen: Ob man den Trabbi nicht in einen Mercedes verwandeln kann? Das ist nicht die Katastrophe, die hier passiert ist.

Und ich will mal schließen mit einer kleinen Spitze zu dir, Hans-Joachim. Ich glaube, dass, wenn man diese beiden Pole der Perspektiven nimmt, das dann auch die Bewertung dessen, was hier in der DDR war, noch in ein sozusagen „objektiveres Licht“ getaucht wird. Weißt du, ich glaub zum Beispiel, dass die Psychodynamik, die nach Stalingrad geführt hat, für das, was hier geschah, tausend mal wichtiger war als irgendwas, was dem Mielke oder Honecker in der Jugend passiert sind. Das ist untergeordnet, Teil des selben Prozesses, dass die einen auf der einen Seite und die anderen auf der anderen vor Stalingrad waren. Aber da waren Sachen im Gange – also Wilhelm Reich hat das ja beschrieben in der „Massenpsychologie des Faschismus“ -, also da muss man schon aus der Gesamtperspektive Goethe zitieren: „Ihr lasst den Armen schuldig werden, dann übergebt ihr ihn der Pein“. Der Honecker, der war nicht dafür geboren, dass ihm der Königsmantel auf die Schulter fällt, der war überfordert letzten Endes. Und mit Verbrechertum ist das nicht zu erklären, was hier vor sich gegangen ist. Das war ein Stück Weltgeschichte. Und die Weltgeschichte ist das Weltgericht, hat Hegel gesagt. Aus dieser größeren Perspektive, glaub ich, dass wir gerechter und gelöster mit den Hämmern umgehen können, die wirklich in uns drinnen sitzen, und die eigentlich die Ursache sind und nicht irgendwer, der besonders schlimm ist.

Ich hab noch was vergessen: Ich hatte gesagt: zwei psychoanalytische Erfahrungen in der DDR. Die zweite hab ich beim Erzählen vergessen. Aber das gehört noch irgendwie dazu. Mein Psychoanalytiker war mein Vernehmer in dem Dreivierteljahr hier im Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen. Es war ein intelligenter Mann. Wir hätten die Plätze tauschen können, was das Spiel der Argumente betrifft. Und was ich da sozusagen lernen konnte, das war auf der einen Ebene: alles abwehren, was der da entlarvt an mir! Denn die wussten so viel, die wussten jede Eitelkeit, die ich mir geleistet hatte, wo ich schwadroniert hatte, was nicht wahr war und die fanden tausend solche Sachen. Es war irgendwie so, dass ich außerdem das noch registrieren konnte und das ich sehen konnte: Aha du Arsch, das bist du auch gewesen! Es war also nicht nur Verschließung, es war auch ein Stück Öffnung, was da passiert ist. Und wenn ich den nochmal treffen würde, dem könnte ich nur raten, nun den Beruf zu wechseln.

 

aus Ich 2; 3; 4/1993

(alle 3 Statements bearbeitet und gekürzt von A. Peglau 2005/2015)