von Sabine Lichtenfels
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Ein neuer Liebesgedanke
”Eifersucht ist die zelebrierte und zur Gesundheit erklärte Krankheit, die zum Tode führt. Sie muß überwunden werden, sonst gibt es kein dauerhaftes Lieben und Überleben. An dieser Wahrheit kann sich niemand vorbeidrücken, sie ist die Grundlage für ein dauerhaftes, gewaltfreies Zusammenleben.” (Aus meinem Buch: Der Hunger hinter dem Schweigen)
Eifersucht gehört nicht zur Liebe. Denn im Zustand der Eifersucht wird man fordernd und böse. Sie ist alles andere als ein liebender Zustand. Wenn man sich darauf wenigstens einigen könnte: Wenn ich im Zustand der Eifersucht bin, dann bin ich nicht im Zustand der Liebe. Wenn das mal klar ist, dann kann man auch über einen möglichen Zustand der Heilung nachdenken. Aber in der Regel hält der Eifersüchtige seine Krankheit für seine Gesundheit und für sein gutes Recht. Und das wird ihm von überall her bestätigt.
Ob Menschen die Intelligenz und die Bereitschaft entwickeln, neue Antworten auf die drängenden Fragen in der Liebe zu entwickeln, davon hängt so vieles ab. Dieses Thema ist aber nicht allein auf einer persönlichen Ebene lösbar. Es ist zentral und entscheidend eine politische Frage, ob es gelingt, neue gesellschaftliche Lösungsmodelle zu entwickeln, in denen Liebe lebbar wird, ohne die bekannten Begleiterscheinungen von Verlustangst, Eifersucht und Haß. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf das Buch von Dieter Duhm hinweisen: ”Der unerlöste Eros”. In diesem Buch sind die kulturgeschichtlichen und die persönlichen Zusammenhänge der Eifersucht so treffend dargestellt, daß man sich kaum noch entziehen kann:
”Eifersucht ist zwar eine persönliche Erfahrung, aber sie ist auch mehr als das. Fast könnte man sagen: Sie ist ein tief eingefleischter Gedanke. Sie gehört zu einem alten mythologischen Bild der Liebe ebenso wie die Ehe und der Begriff der ehelichen Treue. ”
Deshalb nutzen auch kaum persönliche Therapien, um aus der Sackgasse auszusteigen. Der Stachel der Eifersucht nagt, solange Liebende dem alten Liebesmythos folgen, und er wird innerhalb dieses Mythos erst zum Schweigen kommen, sobald sie auch aufgehört haben, sich erotisch zu lieben. Es braucht grundsätzlich ein neues Bild der Liebe und neue Formen des Zusammenlebens, um kulturgeschichtlich die Mythologie der Eifersucht durch eine andere und zeitgemäßere Mythologie der Seele zu ersetzen. Hier müssen wir Menschen unseren Erfindungsgeist einsetzen. Und hier liegt eine geschichtliche Aufgabe, wenn wir etwas zur Beseitigung des allgemeinen Elends beitragen wollen.
Sexueller Kontakt zu anderen Frauen oder Männern ist keine Einengung in der Beziehung, sondern eine Bereicherung, wenn wir ihn erlauben. Sexueller Kontakt zu einer oder einem Dritten ist kein Grund, sich zu verlassen, sondern das Gegenteil, wenn wir es erlauben. Mit Sicherheit werden sich Liebespartner allmählich langweilig, wenn sie nur aufeinander angewiesen sind. Und mit Sicherheit stirbt eine freie Energie in ihnen ab, wenn sie das ganze Potential, das sie in sich tragen, ständig nur aufeinander beziehen müssen. Wie soll ein einziger Mensch die ganze universelle Liebessehnsucht, die ein anderer hat, erfüllen können? Jeder weiß um die immanente Logik, die in dieser falschen Hoffnung angelegt ist, die zwingend zur Raserei führt, zu Leidenschaft, Wut und Enttäuschung. Und doch handeln fast alle danach. Nur weil wir seit der Mythologie von Zeus und der eifersüchtigen Hera nichts anderes gelernt haben?
Und warum setzt die Eifersucht ausgerechnet dann ein, wenn es um Sexualität geht mit ihrer ganzen Vehemenz? Wer zwingt uns zu diesen zellulären Reaktionen? Ist das auch nur so, weil die alten Griechen uns gelehrt haben, daß eine Frau einem Mann zu gehören hat?
Wirkliche Treue macht sich an anderen Dingen fest als an der Sexualität. Und es gab bereits Kulturen, z.B. die minoische auf Kreta, in denen man viel mehr darüber wußte. Hier muß irgendwann die erkennende Liebe einsetzen, wenn man der Liebe eine Chance geben will. Hier bedarf es einer kulturgeschichtlichen Revolution im Liebesbild. Natürlicherweise wünschen sich Liebende, daß die Sexualität in ihrer Liebesbeziehung lebendig bleibt, und sie sollten auch alles dafür tun, daß es möglich wird. Nur ist in der Regel die Methode, einen Menschen sexuell ganz und ausschließlich nur für sich haben zu wollen, am ungeeignetsten dafür. Eifersucht tötet auf die Dauer den Eros, das sollten wir doch langsam wahrnehmen und begreifen. Wir reden von Nächstenliebe, und wenn mein Freund sexuell liebend zu einer anderen geht, dann reden wir von Betrug. Warum folgen wir als freie Erdenbürger immer noch diesem blödsinnigen kleinen Katechismus in der Liebe?
Wir glauben in der Regel viel zu schnell an unsere Eifersucht. Wenn ich dann genauer hinschaue, dann stelle ich fest, daß eigentlich eine ganz andere Ursache im Zentrum des Unbehagens steht. Zum Beispiel, daß ich seit langem der weiblichen Struktur gefolgt bin, meine eigenen Interessen zurückzustellen und die Macht an den anderen abzugeben. Wenn ”Er” sich dann anderen zuwendet, dann ist ja klar, daß Verlustangst und Eifersucht sich melden wie ein bedingter Reflex. Oder, wenn ich seit langem geschwiegen und nicht mehr ausgesprochen habe, was schon lange zwischen uns gärt, dann bricht beim ersten Anlaß, wenn er sich einer anderen zuwendet, alles das heraus, was solange zurückgehalten wurde. Oder wenn ich außer ”Ihm” keine anderen Freunde mehr habe und alles an ihn abgegeben habe, dann ist ja klar, daß ich durchdrehe, wenn er zu einer anderen geht. Ob man in die Lage kommt, eine ersehnte Freundschaft und Partnerschaft aufzubauen, das hängt sehr stark davon ab, wieweit man bereit ist, in die eigene Entwicklung zu investieren. Es hängt davon ab, wie stabil ich sonst noch im Leben verankert bin und wieviele Interessen ich überhaupt im Leben habe.
Wir toben vor Eifersucht, solange wir dem Glauben folgen, daß wir ein Recht darauf haben, einen anderen Menschen in Besitz zu nehmen. Wir finden Freundschaft, Sex und Liebe, wenn wir unabhängig von anderen bereit sind, uns selbst zu entwickeln und zu einem schöpferischen inneren Wachstum zu bringen. Frauen wollen das oft nicht glauben. Sie sagen dann zu mir: ”Ja. Du hast gut reden. Du hast ja den Joscha als Mann an deiner Seite.” Sie wollen nicht sehen, was ich an Energie und Ausdauer investiere in meine eigene Entwicklung, um an der Seite eines solchen Mannes überhaupt bestehen zu können und das zu finden, was ich suche. Wir müssen die Kräfte des Vertrauens schon in uns selbst aufbauen, bevor wir einen anderen Menschen wirklich lieben können. Es kommt nicht so sehr auf die Frage an, wieviele Fehler wir machen, es kommt mehr auf die Beantwortung der Frage an, ob wir bereit sind, unsere Eifersucht als Kulturkrankheit anzuerkennen, die echter Heilung bedarf. Dann erst kann der Weg der Heilung und der Liebe wirklich beginnen. Diese Wahrheit ist so einfach, und genau diese Wahrheit wird immer wieder mit Vehemenz verachtet, wenn es um die Zweierliebe geht. Menschen wollen es nicht glauben, und sie versuchen es immer und immer wieder auf dem alten Weg, bevor sie bereit sind, ihren Wahnsinn einzusehen. Das Zeitalter der Partnerschaft und Geschlechterliebe wird aber erst beginnen können, wenn Menschen bereit sind, diesen Wahnsinn zu verlassen. Viele von ihnen gehen lieber aus sogenannter Liebe in den Tod, weil sie als Liebe bezeichnen, was keine Liebe ist. Schon so lang.
Ob ich einem Menschen treu bin oder nicht, das entscheidet sich nicht an der Sexualität, sondern an der Wahrhaftigkeit in der Beziehung.
Mal ehrlich. Der Kuß von einem fremden Mann, der einem gefällt, ein kurzer Abstecher in das Bett eines Lovers, hat das nicht etwas Verlockendes? Würde man nicht ab und zu gerne solch einem Abenteuer folgen, wenn man nicht soviel damit aufs Spiel setzen würde?
Wenn man schon mit 18 seinen ersten Freund gefunden hat, den man sehr liebt und mit dem man eigentlich gerne zusammenbleiben möchte, soll das jetzt heißen, daß man auf ewig nur mit diesem einen geht? Sind jetzt alle anderen Erfahrungen schon gelaufen, jetzt schon out, bevor es überhaupt angefangen hat? Oder soll man es ab und zu heimlich tun? Und wenn sich bei ihm was regt, wenn er die Blonde von nebenan in der Disco auffordert, ist das ein Beweis seiner Untreue? Folgen wir immer noch den Regeln des kleinen Katechismus: ”Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib”???
Soll ich, als seine Geliebte, jetzt ewig Wache schieben, damit sowas möglichst nicht vorkommt? Oder soll ich dem Schicksal einfach mal seinen Lauf lassen? Mit einem anderen Menschen ins Bett zu gehen, tut der Liebe zwischen zwei Menschen keinen Abbruch, wenn man es gelernt hat, sich darüber zu verständigen. Leicht wird es, wenn sich ein neuer Liebesgedanke herumspricht, wenn sich herumgesprochen hat, daß es auch anders gehen kann. Wenn das selbstverständlich geworden ist, so wie es heute selbstverständlich ist, daß Eifersucht zur Liebe gehört, dann geht es plötzlich ganz leicht. Es ist eine Frage der inneren Ausrichtung auf ein neues Konzept der Liebe, welches weit wahrhaftiger, realistischer und leichter ist als das alte.
Dreizehn Wahrheiten zum Thema Treue und Partnerschaft
”Bist du mir auch treu?” Diese Kernfrage stellen sich Millionen von Liebespaaren täglich immer wieder neu. Mit dieser Grundfrage im Herzen werden die Brüste der anderen abgeschätzt, wird jede und jeder, der den Raum betritt, sofort taxiert. Unausgesprochen natürlich. Und vor diesem Maßstab wird oft die beste Freundin plötzlich zur Gefahr und damit zur Feindin.
”Wir lieben denselben Mann.” Eigentlich sollte das eine Selbstverständlichkeit sein, denn es ist doch im Grunde normal, daß ich liebenswerte Menschen liebe, deshalb ist auch klar, daß sie auch von anderen geliebt werden. Aber genau das, was so selbstverständlich erscheint, ist die große Gefahrenquelle für die große Liebe. Darin sind sich alle einig. Und da man Gefahren meistens meidet, meidet man mögliche gute Freunde und Freundinnen und mögliche heiße Themen.
In anderen Bereichen ist Grenzgängerei in. Im Bereich der Liebe ist Grenzgängerei out. Nach wie vor. Man schottet sich ab und isoliert sich in dem Nest zu zweit. Daß dann von einer anderen Seite eine neue große Gefahr droht, nämlich die gähnende, alles zerfressende Langeweile, das hat man leider nicht früh genug bedacht. Und so befindet man sich als Liebende, ehe man sich versieht, in der elenden Falle. Noch bevor man die Chance hatte, sich überhaupt kennenzulernen, muß man sich gegen lauter drohende Gefahren schützen, und das große Manöver der ewigen Tarnung voreinander hat bereits begonnen.
Es ist egal, ob ein Paar heterosexuell ist oder homosexuell, wo Liebe im Spiel ist, wo zwei beginnen, sich als ein Paar zu sehen und zu verstehen, da beginnt dieser Eiertanz der Gefühle in der Liebe. Es ist ein ewiges Pokerspiel um die Frage, wer die besseren Karten hat. Bei einer statistischen Umfrage hat sich herausgestellt, daß die Frage nach der Treue die Frage Nr. 1 ist, die die Jugendlichen heute bewegt. Und in den Kirchen wird nach wie vor das Ja-Wort auf ewige Treue von den jungen heiratenden Paaren erwartet. Amtspflicht. Eine kleine bürgerliche Schwindelei, die ja schließlich jeder stillschweigend duldet. Daß es Schwindelei ist, das weiß in- zwischen jeder. Wieviel Leiden, wieviel Angst, Haß, Mord und Totschlag auf das Konto dieser Schwindelei gehen, das gesteht sich niemand mehr ein. Weil Heirat doch so schön ist. Oder den Eltern zuliebe. Oder weil es hilft, zusammenzuhalten. Oder, oder, oder …
In keiner Institution wird das alte System der Liebe in Frage gestellt, das doch nachweisbar immer wieder neu ins gleiche Desaster führt. So wird ursprüngliches Glück und Vertrauen weiterhin systematisch in Angst und Mißtrauen verwandelt; in den leidenschaftlichen Fällen sogar in Mord und Totschlag. Und stillschweigend einigt man sich immer noch auf ”Liebe”, auch da, wo sie sich längst in ihr Gegenteil verwandelt hat.
Die Schlagzeilen leben von den Szenen einer Ehe und dem Spiel mit dem Verbotenen, aber wehe, jemand möchte ernsthaft etwas an diesem bestehenden System ändern. Liebe ist schließlich Privatsache. Er brachte sie um, ”aus Liebe”. Er sperrte sie ein, ”aus Liebe”. ”Wenn er fremd geht, bringe ich ihn um.” Solche Aussagen gehören immer noch zum guten Ton eines modernen Menschen. Niemand zweifelt daran, daß das normal ist. Das ist das Glaubenssystem, dem sich jeder fügt. Ein unausgesprochenes Gesetz, auch da, wo es zu Mord und Totschlag führt. In diesem vorgegebenen System der Zweierliebe bei der Wahrheit zu bleiben, ward nur Unsterblichen gegeben. Und dennoch scheinen Zweierliebe und Ehe nicht nur von konservativen Menschen bevorzugt zu werden, sondern im Gegenteil, auch bei der Jugend feiern sie ihr großes come back. High-Tech im Krieg, Neandertal in der Liebe.
Kein Wunder, denn alle Versuche, aus dem alten System auszu- brechen, sind ja wohl im wesentlichen gescheitert.
Was hat ein erwachsener Mensch heute der Jugend zu bieten, außer auf das alte System unserer Eltern zurückzugreifen? Oder soll er vom Single-Dasein anfangen zu schwärmen? Oder vom Glück einer alleinstehenden Mutter? Wir müssen es leider zugeben, die bisherigen Befreiungsversuche sind bis jetzt auf halbem Wege steckengeblieben.
Presse und Medien berichten, wenn überhaupt, nur von gescheiterten Experimenten. Etwas anderes kam einer breiten Öffentlichkeit nie zu Ohren. Nie hat man von einem Kulturexperiment gehört, das im Ansatz geklappt hätte. Die Jugend steht vor dem Trümmerhaufen einer Gesellschaft, die immer noch die Treue predigt, obwohl inzwischen der größte Teil aller Ehen scheitert. Die Jugend hat keine Vorbilder, geschweige denn eine Idee, wie man es anders machen könnte. Denn überall wird ihr vorgeführt, wie hilflos die Erwachsenen vor ihren gescheiterten Beziehungen stehen. Kinder müssen täglich mit ansehen, wie Liebe umschlägt in Haß, Anklage und Racheaktionen. Viele sehen ihre Eltern gemeinsam nur noch vor dem Richter. Und fast alle Kinoschinken leben von dem leidenschaftlichen Chaos in der Liebe.
Wer ist der Initiator dieser immer gleichen Szenerie, in der Erwachsene wie Marionetten hängen und sich verheizen lassen? Warum fliegen die Motten immer wieder ins Licht und verbrennen darin? Warum rennen Menschen seit Jahrtausenden immer wieder neu ins gleiche Elend der Liebe? Beides ist gleichermaßen schleierhaft. Entweder sind wir vergleichbar mit der Gattung der Lemminge und hängen ausweglos am Faden eines rätselhaften Schicksals, oder wir benutzen einmal unsere angeblich vorhandene Intelligenz zur Entwicklung eines Grundgedankens in der Liebe, der auch funktioniert und an das gewünschte Ziel führt.
Grundparadigmen der freien Liebe
Man möge die folgenden Grundparadigmen eines Geistes, der aus der freien Liebe kommt, einmal lesen, ohne gleich zu urteilen, ohne gleich zu sagen, das geht ja sowieso nicht, und ohne sich gleich zu fragen, kann ich das oder kann ich das nicht. Man möge die Sätze einmal prüfen, ob sie nicht ganz einfach wahr sind.
1. Du kannst nur treu sein, wenn du auch andere lieben darfst. Denn Liebe öffnet die Herzen, sie macht schön. Und da, wo du schön bist, da wirst du automatisch geliebt und du liebst zurück. Der Zustand der Liebe zu einem Menschen bringt mich in ein Glück, in dem ich am liebsten die Welt umarmen möchte. Wenn mir das verboten wird, dann ist meine Liebe gleich kastriert.
2. Liebe fordert nicht. Sie bläht sich nicht auf. Sie nimmt teil an der Welt. Sie findet überall da von selbst Dauer, wo zwei teilnehmen an der Welt und sich darin gegenseitig entdecken. Gemeinsame Liebe und Treue entscheidet sich an der gemeinsamen Anteilnahme an etwas Drittem.
3. Ich wiederhole es hier in aller Direktheit noch einmal, denn es kann nicht oft genug gesagt werden: Eifersucht gehört nicht zur Liebe. Denn im Zustand der Eifersucht wird man fordernd und böse. Wenn ich im Zustand der Eifersucht bin, dann bin ich nicht im Zustand der Liebe. Wenn das einmal klar ist, dann kann man auch gemeinsam über eine mögliche Heilung nachdenken. Aber in der Regel hält der Eifersüchtige seine Krankheit für seine Gesundheit und für sein gutes Recht. Und das ist die Geisteskrankheit, die seine Liebe zerstören wird, so sicher wie das Amen in der Kirche.
4. Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Dieser Satz ist zwar durch unsere christliche Vergangenheit sehr moralisch belegt und falsch interpretiert worden, aber ich halte ihn für absolut wahr. Die Betonung liegt auf: wie dich selbst. Du kannst einen anderen nur in dem Maße lieben, wie du dich selbst liebst. Wer eine große Aufmerksamkeit auf seine eigene Entwicklung legt, der kann sie auch auf die Entwicklung eines anderen legen. Wer sich selbst gegenüber wahrhaftig ist, der kann es auch bei anderen sein. Diese Grundregeln sind so einfach, und doch handelt kaum jemand danach.
5. Verlustangst gehört nicht zur Liebe. Die Verlustangst beginnt immer da, wo man sich selbst nicht liebt. Natürlich habe ich Angst, verlassen zu werden, wenn es lauter dunkle Stellen gibt, die ich an mir nicht lieben kann. Wie sollte sie dann ein anderer lieben? Den Maßstab, den ich mir selbst gegenüber wähle, den unterstelle ich ja automatisch auch anderen. Wenn ich selbst dauernd Versteck spiele, dann vermute ich dasselbe auch bei anderen. Wenn ich andere dauernd mißtrauisch beäuge, dann vermute ich es auch von anderen mir gegenüber. Verlustangst ist meistens die Folge von dem, was ich selber tue und denke.
6. Liebe basiert auf der Grundlage, innerlich tatsächlich frei für die Wahrnehmung eines anderen zu sein. Meistens verwechseln wir den Zustand der Liebe mit der Forderung, von anderen geliebt zu werden. Wenn ich zu einer tiefen Selbstliebe und Akzeptanz gefunden habe, dann kann ich einen anderen wirklich erkennen und lieben. Dann bin ich frei für ihn, weil ich nicht dauernd besetzt bin von mir selbst. Diese Selbstliebe hat nichts zu tun mit Eitelkeit, sie ist das Gegenteil davon. Sie ist ein positiver Daseinszustand und ermöglicht die ruhige und liebende Wahrnehmungsfähigkeit für andere.
7. Freie Liebe und Partnerschaft schließen sich nicht aus, sie bedingen einander. Freie Liebe bedeutet ja nicht, daß man von einem zum nächsten wechselt. Solange Liebe nicht den Weg zu wirklicher Freundschaft findet, rennen die einzelnen bedürftig von einem zum nächsten. Was du beim einen nicht kriegst, das suchst du beim anderen. Du wirst es aber nie finden, wenn du immer an den gleichen Stellen abhaust. Und je mehr Menschen du auf deinem Weg verläßt, desto mehr steigt die Angst, verlassen zu werden. Die kritischen Stellen werden sich, egal mit wem, solange wiederholen, bis du sie gelöst hast. Beziehungen klären und klar halten, ist eine Grundvoraussetzung für die freie Liebe, denn sonst ist sie nur ein guter Nährboden für Angst, Haß und Neid. Natürlich wünscht man sich Intimität, Partnerschaft, Treue in der Liebe. ”Bis an mein Lebensende” Dieser Satz soll ja endlich wahr werden können, und zwar nicht durch Moral und strenge Gesetze, sondern weil es spannend bleibt miteinander, sinnlich und geistig.
8. Du selbst kannst entscheiden, ob du treu bist oder nicht, unabhängig von dem, was der andere tut. Es ist eine Entdeckung, zu sehen, daß man selbst es ist, der entscheidet, ob man verlassen wird oder nicht. Statt in den ewigen Erpressungsschrei der Liebe mit einzustimmen: ”Verlaß mich nicht”, trifft man die Entscheidung: Ich verlasse nicht mehr. Ich lasse niemanden mehr im Ungewissen. Ich spiele das falsche Spiel nicht mehr mit. Auf mich soll man sich verlassen können. Aber nicht durch Verzicht, sondern durch Wahrheit in der Liebe. Ob man verlassen wird oder verläßt, beides ist gleichermaßen schmerzhaft. Für mich war die Entscheidung, selbst zu gehen, noch viel schwieriger, als die Tatsache, verlassen zu werden. Denn ich mußte mich jetzt mit der Tatsache zurecht finden, daß ich selbst die Täterin war, und fühlte mich somit für das ganze Leid des anderen verantwortlich. Ich mußte erst unendlich viele Gründe vor meinem inneren Richter ansammeln, bevor ich das vor mir verantworten konnte.
9. Es entsteht ein falsches Spiel der Liebe, wenn man sich auf die Verlustangst beruft. Es gibt Menschen, die aus lauter Angst, verlassen zu werden, immer schon gehen, bevor die wirkliche Auseinandersetzung überhaupt begonnen hat. Ihr Selbstwertgefühl ist so labil, daß sie vor den Augen der Welt einfach nicht zulassen können, als eine verlassene Person angesehen zu werden. Der Bessere ist immer der, der geht, denn er hat es nicht nötig, vor den Augen der anderen um Liebe zu buhlen. Vor diesem Hintergrund werden oft unbewußt die Liebespartner ausgewählt, um eine innere Rechnung zu begleichen. Ein ganz subtiles Spiel beginnt. Noch bevor man überhaupt unterscheiden kann, mit wem man es eigentlich zu tun hat, ist man längst im gegenseitigen Projektionsspiel verfangen. Bis man in diesem ganzen Gestrüpp der Projektion und Emotion plötzlich zu der großen Erkenntnis kommt: Ich selbst kann entscheiden. Ich selbst kann zu der Entscheidung kommen: Da, wo ich liebe, da verlasse ich nicht mehr. Das heißt auch, ich lasse mich zu keinen scheinheiligen Kompromissen zwingen. Je eher ich damit anfange, desto größer ist die Chance unserer Liebe auf Dauer.
10. Treue entsteht durch Wahrheit in der Liebe und durch gemeinsame Interessen. Wenn ich dieser inneren Regel treu bleibe, dann finden sich meine natürlichen Liebespartner ganz von selbst. Sie finden sich durch unsere gemeinsame Fähigkeit zur Wahrheit in der Liebe, durch unser gemeinsames Interesse und dadurch, daß wir eben spannend bleiben füreinander, da unser eigenes Leben spannend ist. Da wir Welt und Menschen in unsere Beziehung einströmen lassen, haben wir auch dauernd etwas Interessantes, das uns verbindet. Ein interessanter Mensch findet immer interessante Liebespartner. Warum rasten wir denn so wahnsinnig aus, wenn unser Liebespartner uns scheinbar betrügt? Wenn wir uns nicht betrügen lassen, wenn wir keine falschen Spiele mit uns spielen lassen, dann wird er auch keine Chance haben, dieses Spiel lange mit uns zu betreiben. Wenn dieses Spiel keine Chance mehr hat und wir ihn aber immer noch lieben, dann hat unsere Liebe sicher auch eine Chance, auf einer neuen Grundlage zu gedeihen. Das klingt nicht nur so einfach, das ist auch so einfach, wenn unsere Gesellschaft uns nicht tausend Wenn’s und Aber’s anbieten würde, an die wir eben allzu gerne glauben.
11. Liebe ist keine Privatangelegenheit. Liebe ist universell. Je mehr Welt in eine Beziehung einströmen kann, desto mehr Chance hat sie auf Dauer. Deshalb braucht die Liebe, um sich ausbreiten zu können, ein ganz anderes soziales Umfeld, als unsere bestehende Gesellschaft es bietet. Die Liebe zweier Partner braucht die Gemeinschaft, in die sie hineinwachsen kann. Die beste Voraussetzung für die Liebe zu einem Menschen ist das Gefühl, beheimatet zu sein in der Welt. Denn wer sich schützen muß vor der Welt, für den wird der Partner zur Schutz- und Trutzburg. Sich dieses Gefühl der Heimat in der Welt wieder anzueignen, das ist eine spirituelle Aufgabe und ein Thema menschlicher Gemeinschaft.
12. Die richtige Beziehung lebt vom richtigen Abstand. Alles lebt in Beziehung miteinander und lebt von der richtigen Nähe und Distanz. Beziehungen scheitern oft daran, daß sich die Liebenden aus lauter Begeisterung viel zu schnell viel zu nahe kommen. Sie scheitern daran, daß sie plötzlich alles, was sie tun, aufeinander beziehen. Nach einiger Zeit wird es ganz elementar so, als hätte man keine Luft zum Atmen mehr. Die Kunst des Alleinseins zu kennen und zu pflegen als wichtige Kraftquelle, die Kunst der Intimität an die richtige Stelle zu rücken, die Kunst, sich über intime Partnerschaften hinaus ein menschliches Freundschaftsnetz mit sinnvollen Aufgaben aufzubauen, das alles gehört zur Erlernung der Kunst der Liebe. Letztlich ist das Beziehungs- und Liebesnetzwerk der Menschen genauso universell und präzise, wie es das kosmische Beziehungssystem der Sterne ist. Ob es funktioniert oder nicht, hängt vom Aufbau der richtigen Distanz und Nähe zueinander ab, in der man sich wirklich sehen und lieben kann.
13. Da ich die Spielerei mit Zahlen liebe, hänge ich jetzt noch einen 13. und ganz wichtigen Punkt an. Das 13. Zeichen ist im I-Ging ”Die Gemeinschaft mit Menschen”. Ob die Liebe wachsen kann oder nicht, hängt zentral von der Frage ab, ob es gelingen wird, funktionierende Gemeinschaften aufzubauen, oder nicht. Die Gemeinschaft ist die organische und natürliche Zelle in einer Gesellschaft. Wenn die gesund ist, dann wird auch das Gesellschaftssystem gesund sein. Wenn sie krank ist, dann wird auch das Gesellschaftssystem krank bleiben, denn es fehlt ein wichtiges Glied. Die Familie, als ein intimer Baustein der Gesellschaft, braucht eine natürliche Einbettung in einen größeren Organismus. Eine funktionierende Partnerschaft braucht die natürliche Einbettung in eine Gemeinschaft. Wo das gelingt, da werden Keimzellen für neue Modelle in der Liebe angelegt, in denen Liebe wachsen kann. Es ist unsere Aufgabe, Vertrauen zu schaffen, wenn der Satz, den Gorbatschow formuliert hat, wirklich ernst gemeint ist: ”Die Angst muß von der Erde verschwinden.” Ein wesentlicher Beitrag wird darin liegen, daß wir Gemeinschaften aufbauen, in denen man sich mit vollem Herzen beheimaten kann. Und ein wesentlicher Entwicklungsbeschleuniger wird darin liegen, daß diese Aufgabe von den öffentlichen Trägern einer Gesellschaft gesehen und unterstützt wird.
Wir übernahmen diesen Beitrag mit freundlicher Genehmigung der Autorin aus dem Buch „Weiche Macht. Perspektiven eines neuen Frauenbewußtseins und einer neuen Liebe zu den Männern“ von Sabine Lichtenfels, 1996 erschienen im Verlag „Berghoff and friends“, Belzig.
aus ICH/ Frühling 97