Die Zukunft der Arbeit

von Jeremy Rifkin

„Wir werden bald mehr freie Zeit zur Verfügung haben, fragt sich nur, ob in Form von Arbeitslosigkeit oder als Freizeit“, hat ein US-Gewerkschaftsführer die ökonomische Situation auf den Punkt gebracht.(1) Die Computerisierung macht´s möglich: Um weltweit die gleiche Menge an Gütern und Dienstleistungen wie heute bereit zu stellen, dazu werden bald nur noch ein Fünftel an Arbeitskräften benötigt. Das könnte der Anfang vom Paradies für alle sein. Innerhalb der gegenwärtigen wirtschaftlichen und politischen Strukturen aber mehr das Tor zur Hölle für die übergroße Zahl der Menschen. Eine unabdingbareVoraussetzung, um daran etwas zu verändern, wäre die Verkürzung der Arbeitszeit – ein Vorschlag, der seit langem diskutiert wird. Aber das allein reicht bei weitem nicht aus, meint der amerikanische Wirtschaftsjournalist Jeremy Rifkin.    

***

Ein neuer Gesellschaftsvertrag 

Die High-Tech-Weltwirtschaft wird bald ohne massenhafte Erwerbsarbeit auskommen. Während Unternehmer, Manager, Techniker und andere hochqualifizierte Angehörige der neuen Eliten die Wirtschaft am Laufen halten, werden weniger und weniger Mitarbeiter für die Erstellung von Gütern und Dienstleistungen gebraucht. Der Marktwert der menschlichen Arbeit sinkt und wird weiter sinken. Jahrhundertelang wurde der Mensch nach seiner „Produktivität“ bemessen, jetzt, da überall Maschinen die menschliche Arbeitskraft ersetzen, sieht sich die Arbeitnehmerschaft ihrer gesellschaftlichen Funktion und ihres Selbstverständnisses beraubt.

Im selben Maße wie die menschliche Arbeit verliert auch die staatliche Politik an Bedeutung. Multinationale Unternehmen eignen sich die Macht der einzelnen Länder an. Sie übernehmen in steigendem Maße die traditionelle Funktion des Staates und kontrollieren globale Ressourcen, Absatz- und Arbeitsmärkte. Die Vermögenswerte der größten Weltunternehmen übersteigen das Bruttosozialprodukt so manchen Landes.

Der Niedergang der Massenbeschäftigung wie der staatlichen Einflußnahme auf das Wirtschaftsleben erfordert eine grundsätzliche Neubestimmung der Grundlagen unserer Gesellschaft. Denken wir nur daran, daß während des gesamten Industriezeitalters die formalen Marktbeziehungen die Oberhand über die traditionellen sozialen Beziehungen behielten und daß sich der Wert eines Menschen fast nur nach seinem Marktwert bemaß. Da es nun nur noch wenig einbringt, seine Arbeitszeit zu verkaufen, droht das ganze Gerüst ökonomischer Beziehungen einzustürzen, das auf dieser Struktur ruht. In ähnlicher Weise verlieren mit dem Rückzug des Staates aus dem Wirtschaftsleben Teile des Regierungsapparates ihre Grundlage und müssen ihre Aufgaben neu bestimmen. Die Orientierung des Staates auf den Markt durch eine andere Perspektive zu ersetzen, dies wird zur vordringlichen Aufgabe aller Nationen.

Den meisten Menschen dürfte es schwerfallen, sich eine Gesellschaft vorzustellen, in der nicht mehr der Markt und der Staat das Alltagsleben bestimmen. Diese beiden Institutionen dominieren unser Leben in allen seinen Aspekten, und niemand weiß mehr, daß sie noch vor hundert Jahren eine wesentlich geringere Rolle in unserer Gesellschaft spielten. Wirtschaftsunternehmen und Nationalstaaten sind Geschöpfe des Industriezeitalters. Im Verlauf dieses Jahrhunderts haben sie mehr und mehr Aufgaben an sich gezogen, die zuvor von Tausenden lokaler Gemeinschaften erfüllt wurden. Jetzt aber, da Wirtschaft und Staat nicht mehr in der Lage sind, die wichtigsten Bedürfnisse der Bevölkerung zu erfüllen, müssen die Menschen sich notgedrungen wieder selbst umtun und neue lebensfähige Gemeinschaften bilden – als Puffer gegen die unpersönlichen Kräfte des Weltmarkts und gegen das Unvermögen des Regierungsapparates.

In zweifacher Weise wird sich die schwindende Bedeutung von Markt und Staat in den kommenden Jahrzehnten auf das Leben der arbeitenden Menschen auswirken. Wer seinen Arbeitsplatz behält, wird wahrscheinlich weniger Stunden arbeiten müssen und mehr Freizeit haben. Die Marktkräfte werden ihn oder sie dazu drängen, sich mehr der Massenunterhaltung und dem Konsum zu widmen. Die wachsende Zahl der Arbeitslosen und Unterbeschäftigten wird dagegen unweigerlich und auf Dauer in die Unterschicht abrutschen. In ihrer Verzweiflung werden viele dieser Menschen ihre Rettung in der Schattenwirtschaft suchen. Manche werden Gelegenheitsarbeiten annehmen, um ihre Miete und das Nötigste bezahlen zu können, andere werden zu Kleinkriminellen werden. Drogenhandel und Prostitution werden weiter zunehmen, wenn Millionen arbeitsfähiger Menschen von einer Gesellschaft, die ihrer Arbeitskraft nicht mehr bedarf, auf die Seite geschoben werden und sich ihren Unterhalt auf anderen Wegen sichern müssen. Ihre Hilferufe werden ungehört verhallen. Der Staat wird seine wenigen Mittel nicht für die Wohlfahrt und für Arbeitsbeschaffungsprogramme, sondern für die Aufrüstung der Polizei und für neue ausgeben.

Dies ist der Weg, den viele Industriestaaten eingeschlagen haben. Aber es gibt noch einen anderen gangbaren Weg, der vielleicht die zunehmend verheerender werdenden Auswirkungen der Dritten Industriellen Revolution abmildern könnte. Wenn die noch arbeitende Bevölkerung mehr freie Zeit zur Verfügung hat als früher und die Arbeitslosen gezwungenermaßen dem Müßiggang frönen, dann könnte man diese brachliegende Arbeitskraft ja genauso in sinnvoller Weise für gemeinnützige Aufgaben einsetzen. Vielleicht könnte daraus ein Bereich entstehen, der unabhängig von Markt und Staat funktioniert.

Der Dritte Sektor 

In den USA existieren die Grundlagen für einen dritten gesellschaftlichen Bereich schon seit langem. Neben dem privaten und dem öffentlichen Sektor, auf die sich in der Moderne stets die ganze Aufmerksamkeit gerichtet hat, gibt es hier einen Bereich, der als Geburtshelfer der Nation von besonderer historischer Bedeutung war und der heute zur Grundlage eines neuen Gesellschaftsvertrages

für das 21. Jahrhundert werden könnte. In diesem „Dritten Sektor“, der auch als unabhängiger oder freiwilliger Sektor bezeichnet wird, herrschen nicht treuhänderische Strukturen, sondern gemeinschaftliche Bindungen vor. Man widmet seinen Mitmenschen Zeit, statt künstliche Marktbeziehungen mit ihnen einzugehen und sich und seine Dienste zu verkaufen.

Zu den gemeinnützigen Tätigkeiten gehören in den USA nicht nur Arbeiten und Leistungen im Bereich der Sozialarbeit und im Gesundheitswesen, sondern auch im schulischen, im wissenschaftlichen und im künstlerischen Bereich, in der Kirche und im Rechtswesen. Soziale Organisationen helfen Alten und Behinderten, psychisch Kranken, unterprivilegierten Jugendlichen, Obdachlosen und Armen. Freiwillige renovieren heruntergekommene Wohnungen und errichten neue Häuser für Mieter mit geringem Einkommen. Zehntausende Amerikaner betreuen freiwillig Patienten, auch AIDS-Kranke, in öffentlichen Krankenhäusern und Kliniken. Tausende haben Pflegekinder aufgenommen oder betreuen Waisen. Einige arbeiten in Beratungsstellen für Kinder und Jugendliche, die von zu Hause weg gelaufen sind oder sonst in Schwierigkeiten stecken. Wieder andere beteiligen sich als Lehrkräfte an der Kampagne gegen den Analphabetismus. Viele US-Amerikaner helfen in Kindertagesstätten oder sie versorgen die Armen mit Mahlzeiten. Immer mehr engagieren sich in Einrichtungen für vergewaltigte oder mißhandelte Frauen und Kinder. Tausende arbeiten ehrenamtlich in öffentlichen Unterkünften und geben Kleidung an Bedürftige aus. Viele beteiligen sich an Selbsthilfegruppen wie den Anonymen Alkoholikern oder helfen beim Drogenentzug. Zahlreiche hochqualifizierte Leute – Rechtsanwälte, Steuerberater, Ärzte oder Verwaltungsfachleute – beraten Freiwilligenorganisationen. Millionen von US-Amerikanern engagieren sich beim Umwelt- und Tierschutz. Andere arbeiten für Rechtshilfeorganisationen, die auch auf die öffentliche Meinung und auf die Gesetzgebung Einfluß zu nehmen versuchen. Hunderttausende widmen ihre Zeit der Kunst – in Theatergruppen, Chören und Orchestern. In vielen Gemeinden gibt es freiwillige Katastrophenhilfsdienste, Feuer- und Bürgerwehren.

Während der privatwirtschaftliche Bereich 80 % aller ökonomischen Aktivitäten in den USA auf sich vereinigt und der öffentliche Sektor weitere 14 % des Bruttosozialprodukts beisteuert, trägt der Dritte Sektor gegenwärtig mehr als sechs Prozent der wirtschaftlichen Leistungen bei und beschäftigt neun Prozent aller Arbeitnehmer. In den Organisationen dieses Bereichs sind mehr Leute angestellt als etwa im Baugewerbe, in der Elektronikindustrie, im Transportwesen oder in der Textilindustrie.

Einer umfassenden Gallup-Untersuchung zufolge widmeten 1991 über 94 Millionen US-Amerikaner, d.h. 51 % der Bevölkerung, einen Teil ihrer Zeit – durchschnittlich 4,2 Stunden pro Woche gemeinnützigen Anliegen und Organisationen. Insgesamt kamen auf diese Weise mehr als 20,5 Milliarden Stunden zusammen, davon mehr als 15,7 Milliarden Stunden in Form regelmäßiger Mitarbeit bei einer Freiwilligenorganisation oder -vereinigung. Diese Zahl entspricht den Arbeitsstunden von neun Millionen Vollzeitangestellten und wäre in Geld ausgedrückt 176 Milliarden Dollar wert.

Die Aktiva des Nonprofit-Sektors belaufen sich auf insgesamt mehr als 500 Milliarden Dollar. Finanziert wird er zum Teil durch private Stiftungen und Spenden, zum Teil durch Gebühren und öffentliche Gelder. Im Schnitt spendete 1991 jeder US-amerikanische Haushalt 649 Dollar oder 1,7 % seines Einkommens an Freiwilligenorganisationen. Mehr als 69 Millionen Haushalte gaben an, 1991 eine solche Spende getätigt zu haben. Neun Prozent aller Haushalte spendeten mehr als fünf Prozent ihres Einkommens.

Gemeinnützige Tätigkeiten sind eine grundsätzliche Alternative zu traditionellen Arbeitsverhältnissen. Anders als Sklavenarbeit, Leibeigenschaft oder Lohnarbeit sind sie weder erzwungen, noch auf eine treuhänderische Beziehung reduziert. Eine gemeinnützige Tätigkeit ist eine Hilfeleistung, eine ausgestreckte Hand. Sie ist ein willentlicher Akt, für den man meist keine Belohnung erwartet. In diesem Sinne gleicht sie dem archaischen Gabentausch. Gemeinnützige Leistungen resultieren aus dem Wissen, daß im Leben alles mit allem zusammenhängt, und sie sind durch das sehr persönliche Gefühl einer Verpflichtung motiviert. In erster Linie geht es um einen sozialen Austausch, auch wenn er oft ökonomische Konsequenzen für den Wohltäter wie für den Nutznießer hat. In dieser Hinsicht unterscheidet sich eine gemeinnützige Tätigkeit grundlegend von einer privatwirtschaftlichen, bei der es stets um einen materiellen und finanziellen Austausch geht und bei der die sozialen Folgen weniger wichtig sind als die Gewinne und Verluste.

In Großbritannien beträgt die Zahl entsprechender Organisationen 350.000, und sie verfügen über mehr als 17 Milliarden britische Pfund oder vier Prozent des Bruttosozialproduktes, mehr als 39 % der Bevölkerung beteiligten sich 1990 an freiwilligen gemeinnützigen Arbeiten. Auch in Frankreich gewinnt der Dritte Sektor an Bedeutung. Er stellt jetzt mehr als sechs Prozent aller Arbeitsplätze, genauso viele, wie die gesamte Konsumgüterindustrie. In Deutschland wächst der Dritte Sektor schneller als der private oder der öffentliche. Gegen Ende der 80er Jahre gab es hier mehr als 300.000 Freiwilligenorganisationen, 1987 arbeiteten immerhin 4,3 % aller Erwerbstätigen im Nonprofit-Bereich – das waren mehr als in der Landwirtschaft. Schätzungen zufolge widmen mehr als 15% der erwachsenen Italiener einen Teil ihrer Zeit freiwilligen gemeinnützigen Arbeiten. Mittlerweile kümmern sich in Japan Zehntausende von Nonprofit-Organisationen um die kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Bedürfnisse der Bevölkerung. Vor allem in den Staaten des ehemaligen Ostblocks macht sich der Einfluß des Dritten Sektors bemerkbar. 1988 gab es in der Sowjetunion mehr als 40.000 illegale, nichtstaatliche Institutionen. Mehr als 35.000 Freiwilligenorganisationen gibt es in den Entwicklungsländern.

Im Dezember 1993 wurde die internationale Organisation Civicus gegründet, die sich zum Ziel gesetzt hat, „den freiwilligen Dienst an der Gemeinschaft zu fördern“. Der erste geschäftsführende Direktor der Organisation und frühere Bürgermeister von Budapest, Miklos Marschall, konstatiert: „Vor unseren Augen vollzieht sich eine wahre Revolution, an der überall auf der Welt Tausende von Verbänden, Vereinen und nichtstaatlichen Gruppen teilhaben.“ Marschall glaubt, daß „die 90er Jahre das Jahrzehnt des Dritten Sektors werden, denn überall auf der Welt sind die Menschen enttäuscht von den traditionellen Institutionen wie den Gewerkschaften, den Parteien und den Kirchen.“ Dieses Vakuum werde in Dutzenden von Ländern von nichtstaatlichen Organisationen, den sogenannten NGO´s (Non-Governmental Organizations), gefüllt. Marschall zufolge soll Civicus „zu einem Forum für diese Vereinigungen“ werden: „Sie soll ihre Anliegen auf der internationalen Bühne vertreten und auch als eine Art moralisches Weltgericht fungieren.“

Geld für gemeinnützige Arbeit: Steuererleichterungen und Sozialeinkommen 

Wenn der Dritte Sektor zur Stütze des postmarktwirtschaftlichen Zeitalters werden soll, muß der Staat ihn während des Übergangs unterstützen. In den USA liegen Millionen Arbeitsstunden brach, die für den Wiederaufbau lokaler Infrastrukturen und für die Stärkung des Dritten Sektors genutzt werden könnten. Um dies zu erreichen, muß sich der Staat vor allem an zwei Bevölkerungsgruppen wenden: Erstens müssen diejenigen, die noch einen Arbeitsplatz haben, durch geeignete Maßnahmen dazu veranlaßt werden, einen Teil ihrer vermehrten Freizeit der ehrenamtlichen Arbeit zu widmen. Zweitens müssen durch geeignete Gesetze Millionen von Langzeitarbeitslosen mit sinnvoller Arbeit im Dritten Sektor versorgt werden.

Der Staat könnte ein stärkeres Engagement im Dritten Sektor fördern, indem er für jede freiwillige Arbeitsstunde, die bei einer als gemeinnützig anerkannten Organisation abgeleistet wird, eine Steuerminderung zuläßt. Als Nachweis über die tatsächliche Stundenzahl müßten die Organisationen am Ende jeden Jahres die bei ihnen abgeleisteten Zeiten an die Steuerbehörden melden und ihren freiwilligen Helfern eine entsprechende Bescheinigung ausstellen. Ein derartiges, nicht auf dem privaten Markt erzieltes „Schatteneinkommen“ würde Millionen von Menschen dazu ermuntern, einen größeren Teil ihrer Freizeit der freiwilligen Arbeit im dritten Bereich zu widmen. Die Idee als solche ist ja nicht neu, gibt es doch schon die Möglichkeit, Spenden an gemeinnützige Organisationen von der Steuer abzusetzen. Wenn der Staat es für förderungswürdig hält, daß die Bürger ihr Geld von sich aus an den Dritten Sektor weitergeben, warum sollte dann nicht auch die freiwillige Arbeit in diesem Bereich durch Steuererleichterungen unterstützt werden?

Der Verlust an Steuereinnahmen würde sicherlich mehr als aufgewogen werden dadurch, daß der Staat keine teuren Sozialprogramme mehr auflegen müßte. Bestimmte Aufgaben würden ihm von den gemeinnützigen Organisationen abgenommen. Durch die Förderung von freiwilligen Arbeiten direkt vor Ort würde der Staat die Ausgaben für ganze Behörden sparen, die für die Verwaltung örtlicher Programme nötig wären. Außerdem würden verbesserte Lebensbedingungen für Millionen Menschen auch auf die Wirtschaft in Form von mehr Beschäftigungsmöglichkeiten und verstärkter Kaufkraft zurückwirken, was wiederum das Steueraufkommen erhöhen würde.

Nun könnte man einwenden, die Förderung freiwilliger Arbeiten durch Steuererleichterungen würde jene ihres karitativen Charakters berauben. Allerdings hat die Steuerabzugsfähigkeit von Spenden für gemeinnützige Organisationen die Hilfsbereitschaft der Menschen auch eher beflügelt, und ein Schatteneinkommen für freiwillige Arbeit könnte die Menschen dazu bewegen, ihre Zeit in den sozialen Bereich zu investieren, statt noch einen zusätzlichen Job anzunehmen oder ihre Abende vor dem Fernseher zu verbringen.

Damit die Gesellschaft nicht in tausende örtlicher Gruppen ohne einheitliche Zielsetzung zerfällt, könnte der Staat dem sozialen Bereich durch geeignete Anreize eine Richtung vorgeben. Die Steuervergünstigungen könnten gestaffelt und diejenigen Initiativen könnten begünstigt werden, deren Ziele die Öffentlichkeit und die Politiker für vorrangig halten. Ebenso könnte auch die steuerliche Abzugsfähigkeit von Spenden an karitative Organisationen je nach der Dringlichkeit ihrer Aktivitäten gestaffelt werden. Die gesetzliche Regelung derartiger Steuervergünstigungen wird in Zukunft als wichtiges Steuerungsmittel für die Gemeinwirtschaft dienen, so wie bisher die Steuerpolitik zur Regulierung des marktwirtschaftlichen Sektors eingesetzt wurde.

Steuervergünstigungen sind gewiß ein geeignetes Mittel, um diejenigen, die noch eine Anstellung und ein festes Einkommen haben, zu freiwilliger gemeinnütziger Arbeit zu ermuntern. Aber der Staat sollte auch an diejenigen Arbeitslosen denken, die willens sind, sich umschulen zu lassen und eine Arbeit im Dritten Sektor anzunehmen. Man könnte diesen Menschen statt Sozialhilfe ein Einkommen für gemeinnützige Tätigkeiten, eine Art „Sozialeinkommen“ zahlen und außerdem den Organisationen, in denen sie angestellt und ausgebildet werden, entsprechende Mittel zur Verfügung stellen.

Den Armen und Arbeitslosen ein Sozialeinkommen zu zahlen, würde nicht nur ihnen helfen, sondern auch den Gemeinden. In den USA, wo die lokalen Strukturen wiederaufgebaut und die Grundlagen einer fürsorglicheren Gesellschaft gelegt werden müssen, müssen die Menschen wieder gegenseitiges Vertrauen entwickeln und lernen, Anteil zu nehmen am Wohlergehen der anderen und der Gemeinschaft, in der sie leben. Ein angemessenes Sozialeinkommen würde Millionen von arbeitslosen US-Amerikanern die Möglichkeit geben, in Nachbarschaftsorganisationen mitzuarbeiten und damit sich selbst zu helfen.

Auch ein Sozialeinkommen für gelernte Arbeiter und höherqualifizierte Angestellte, die im marktwirtschaftlichen Sektor nicht mehr gebraucht werden, sollte ernsthaft in Betracht gezogen werden. Um den Dritten Sektor zum Funktionieren zu bringen, werden nicht nur anzulernende Beschäftigte gebraucht, sondern auch Leute, die Führungsaufgaben übernehmen können. Die Organisationen des Dritten Sektors sollten eine ähnliche Abstufung von Berufen, Qualifikationen und Einkommen einführen, wie es sie in der Wirtschaft gibt. Sie könnten sich dann aus dem Heer der Arbeitslosen die richtige Mischung von ungelernten, gelernten und höherqualifizierten Arbeitskräften zusammenstellen, die sie für eine erfolgreiche Tätigkeit brauchen.

In den USA wurde die Idee eines Sozialeinkommens zum ersten Mal 1963 von einem „Ad Hoc Committee on the Triple Revolution“ in die Öffentlichkeit gebracht. Gedacht war es als Absicherung gegen die Folgen der technologischen Arbeitslosigkeit einerseits und der wachsenden Armut andererseits. Allerdings wollte man damals ein solches Einkommen noch nicht mit der Verpflichtung zu gemeinnütziger Arbeit verbinden. Zu den Befürwortern eines Sozialeinkommens, das auch als „garantiertes Jahresmindesteinkommen“ bezeichnet wurde, gehörten W. H. Ferry vom Center for the Study of Democratic Institutions, sozial orientierte Ökonomen wie Robert Theobald und Robert Heilbroner sowie der Direktor des Institute for Advanced Studies in Princeton, Robert Oppenheimer. Sie alle glaubten im Gegensatz zur orthodoxen Wirtschaftswissenschaft nicht daran, daß technischer Fortschritt und steigende Produktivität automatisch zu Vollbeschäftigung führen würden. Die Computerrevolution, so meinten sie, würde zwar die Produktivität steigern, aber zugleich mehr und mehr menschliche Arbeitskräfte durch Maschinen ersetzen. Millionen Menschen wären dann unterbeschäftigt oder ganz ohne Arbeit, und ihre Kaufkraft würde nicht mehr genügen, um den Absatz der durch die neuen automatisierten Anlagen vervielfachten Güterproduktion zu garantieren. Es würde auch wenig nutzen, den Konsum durch raffinierte Werbe- und Marketingstrategien, durch niedrige Zinsen, Steuersenkungen oder großzügigere Kreditbedingungen anheizen zu wollen: Die zusätzliche Nachfrage würde nicht zu erhöhter Beschäftigung führen. Eher würden noch mehr Arbeitnehmer durch Maschinen ersetzt, da diese effizienter und billiger wären und den Investoren höhere Gewinne brachten.

Robert Theobald vertrat den Standpunkt, daß die traditionelle Verknüpfung von Einkommen und Arbeit aufgelöst werden müsse. Da immer mehr Arbeit von Maschinen erledigt werde, müsse den Menschen ein von der Erwerbsarbeit unabhängiges Einkommen garantiert werden. Nur so könne man ihnen ihren Lebensunterhalt und der Wirtschaft genug Kaufkraft sichern. Theobald und andere sahen mit dem garantierten Mindesteinkommen einen Wendepunkt in der Wirtschaftsgeschichte gekommen. Sie hofften, daß die Verbreitung dieser Idee das zentrale Konzept des marktwirtschaftlichen Denkens, das Konzept des Mangels, außer Kraft setzen und durch das neue Ideal des Überflusses ersetzen könnte. Theobald schrieb: „Für mich ist daher das garantierte Mindesteinkommen die Umsetzung einer immer wieder in der Geschichte auftauchenden philosophischen Grundidee, daß nämlich jedes Individuum ein Anrecht auf einen Anteil an den Gütern einer Gesellschaft hat. Bisher mangelte es der Menschheit aber immer am Notwendigsten, so daß diese Forderung bis heute nie verwirklicht wurde. Der Überfluß in den reichen Ländern gibt uns nun die Möglichkeit, allen Menschen einen minimalen Lebensstandard zu garantieren.“

Die Forderung nach einem garantierten Mindesteinkommen erhielt politische Unterstützung von unerwarteter Seite, als der führende neokonservative Wirtschaftswissenschaftler und spätere Berater der Präsidenten Nixon und Reagan, Milton Friedman, seine eigene Version in Form einer negativen Einkommensteuer vorschlug. Er teilte keineswegs die Ansicht der Liberalen, daß die Automation zu einer stetigen Vernichtung von Arbeitsplätzen und damit zu Massenarbeitslosigkeit führen müsse und daß daher für die Millionen vom Wirtschaftskreislauf ausgeschlossenen Menschen das Einkommen von der Erwerbsarbeit getrennt werden müsse. Friedman hält vielmehr das staatliche Wohlfahrtssystem für eine Fehlentwicklung. Seiner Meinung nach wäre es viel besser gewesen, den Armen ein bestimmtes jährliches Einkommen zu garantieren, als weiterhin eine Unmenge teurer Wohlfahrtsprogramme und -bürokratien zu finanzieren, die oft genug kontraproduktiv waren und die Armut eher verlängerten als erleichterten. Friedman schlug vor, der Staat solle allen seinen Bürgern ein Mindesteinkommen garantieren und sie zugleich durch eine Reihe von Anreizen dazu ermuntern, die staatliche Unterstützung durch eigenes Einkommen zu ergänzen. Mit steigenden Einnahmen sollte sich der staatliche Zuschuß verringern, zunächst relativ schnell, dann langsamer, „um den Anreiz, sich weitere Arbeit zu suchen, zu erhalten“. Friedman hielt seinen Vorschlag für nichts grundlegend Neues, da die bisher praktizierten Fürsorge- und Wohlfahrtsmaßnahmen sich „der Sache, aber nicht dem Namen nach, bereits zu einem staatlich garantierten Mindesteinkommen“ addierten. Er wies darauf hin, daß bei der gängigen Praxis jegliches Einkommen den Verlust staatlicher Unterstützung bedeutete und so kein Anreiz für die Empfänger bestand, sich Arbeit zu suchen: „Wenn jemand, der von staatlicher Unterstützung lebt, einen Dollar verdient und sich dem Gesetz entsprechend verhält, dann vermindert sich die staatliche Unterstützung um eben diesen Dollar – auf diese Weise wird bestraft, wer fleißig oder ehrlich ist. Solche Maßnahmen produzieren Armut und eine Unterschicht, die einzig von der Wohlfahrt lebt.“

Auch wenn linksliberale und konservative Ökonomen jeweils andere Gründe hatten, die Idee eines garantierten Mindesteinkommens zu unterstützen, so war doch das öffentliche Interesse geweckt, und Präsident Johnson richtete 1967 eine Kommission zu dem Thema ein. Nach zweijährigen Anhörungen und Untersuchungen veröffentlichte die aus Unternehmern, Gewerkschaftern und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens bestehende Kommission ihren Bericht, in dem sie sich einhellig für ein garantiertes Mindesteinkommen aussprach: „Arbeitslosigkeit oder Unterbeschäftigung der ärmeren Schichten sind oft auf Umstände zurückzuführen, auf die die Menschen selbst keinen Einfluß haben. Viele wollen arbeiten, finden aber keinen Arbeitsplatz. […] Selbst wenn die bereits existierenden Wohlfahrtsprogramme noch aufgestockt würden, könnten sie nicht allen Amerikanern ein angemessenes Einkommen garantieren. Wir empfehlen daher die Einrichtung einer Einkommensbeihilfe für alle Bedürftigen.“

Der Bericht fand kaum Resonanz. Bürger und Politiker konnten sich mit der Vorstellung nicht anfreunden, allen Menschen ein bestimmtes Einkommen zu garantieren. Trotz der Empfehlung der Kommission, mit gewissen Anreizen die Empfänger zu zusätzlicher Arbeit anzuregen, glaubten viele Politiker, daß allein die Idee eines garantierten Einkommens den Arbeitswillen einer ganzen Generation von US-Amerikanern unterminieren würde. Die Empfehlungen der Kommission setzten bereits Staub an, da rief die US-Regierung doch noch eine Reihe von Pilotprojekten ins Leben, um die praktischen Auswirkungen einer Einkommensgarantie zu testen. Zu ihrer eigenen Überraschung stellte sich heraus, daß der Antrieb, sich eine Arbeit zu suchen, bei den Empfängern nicht nennenswert schwächer wurde.

Heute flammt die Diskussion um das garantierte Mindesteinkommen wieder auf. Wissenschaftler, Politiker, Gewerkschafter und Bürgerrechtler sehen darin eine Möglichkeit, der technologischen Langzeitarbeitslosigkeit und der wachsenden Armut entgegenzutreten. Aber im Gegensatz zu den früheren Vorschlägen, die von den Empfängern keine oder fast keine Gegenleistung verlangten, bindet man heute das Sozialeinkommen an gemeinnützige Arbeiten im Dritten Sektor.

In einer Reihe westeuropäischer Länder wurden in den letzten 25 Jahren – mit unterschiedlichem Erfolg – gesetzlich garantierte Mindesteinkommen eingeführt. Von besonderem Interesse ist das französische Vorhaben. Es sieht eine Regelung vor, nach der das Mindesteinkommen an eine sozial oder kulturell nützliche Arbeit oder an den Besuch von Fortbildungs- oder Wiedereingliederungskursen gekoppelt ist. Wenn die immer stärker automatisierte Wirtschaft immer weniger Arbeitsplätze bietet, werden wohl auch andere Länder die französischen Pläne aufgreifen und sich Gedanken darüber machen, wie sie ihren Bürgern jenseits der Erwerbsarbeit zu Einkommen und sinnvoller Arbeit verhelfen können.

In der Auseinandersetzung darüber, wie die Produktivitätszuwächse der Computerrevolution am besten zu verteilen seien, stellt sich jedem Land die entscheidende Frage nach der wirtschaftlichen Gerechtigkeit: Hat ein jedes Mitglied der Gesellschaft, auch das ärmste, ein Anrecht auf einen Anteil an diesen Zuwächsen? Wenn man diese Frage bejaht, müssen auch die Menschen, deren Arbeitskraft in der automatisierten High-Tech-Welt des 21. Jahrhunderts nicht mehr gebraucht wird, in irgendeiner Form eine Entschädigung erhalten. Da der Wirtschaftssektor aufgrund des technischen Fortschritts immer weniger Menschen beschäftigen wird, können die freigesetzten Arbeitnehmer nur über den Weg eines wie auch immer gearteten staatlich garantierten Mindesteinkommen zu ihrem Anteil an den Produktivitätszuwächsen kommen. Dieses Einkommen an eine gemeinnützige Arbeit zu koppeln, würde zu einer Weiterentwicklung der Gemeinwirtschaft beitragen und langfristig den Übergang zu einer gemeinschafts- und dienstleistungsorientierten Gesellschaft erleichtern.

 

 

Wir entnahmen den obigen Beitrag stark gekürzt dem Buch von Jeremy Rifkin „Das Ende der Arbeit und ihre Zukunft“, das 1995 im Campus Verlag, Frankfurt am Main erschienen ist. Wir bedanken uns für die freundliche Abdruckgenehmigung.

 

aus ICH Herbst 97