„… warum wir doch nicht ganz verzweifeln.“ Aus Briefen

Ich wünsche mir, daß mal sehr ausführlich und begründet über Hoffnung, Verantwortung etwas zu lesen sein wird – in dem Sinne, daß wir mal darüber lesen, schreiben, sprechen sollten, warum wir bei der ganzen schrecklichen Kathastrophenpolitik, die unsere Gesellschaften hervorbringen, und die unsere ganze Welt kaputtzumachen im Begriff sind, warum wir bei allem doch nicht ganz verzweifeln und irgendwie weitermachen. Das Thema bewegt mich häufig: Trotz meiner Machtlosigkeit bin ich nicht machtlos, trotz meiner buchstäblichen Unwichtigkeit im Universum habe ich Verantwortung für das Ganze. Mein Leben und Leben überhaupt erfahre ich immer mehr als Ausgespanntsein zwischen zwei Polen, als eine Gratwanderung zwischen zwei Extremen.

Andreas Jost, Weimar

 

… die Psychozeitung finde ich immer wieder sehr gut und anregend. Vielleicht könnte aber etwas mehr Raum für Versöhnliches sein. Wir brauchen auch in der Richtung Nahrung. Thich Nhat Hanh – ein gewaltloser Friedens- und Widerstandskämpfer aus Vietnam, Poet und Zenmeister – versteht es in seinen Büchern, die reale, oft grausame Welt gleichzeitig in ihrer möglichen Größe lebendig werden zu lassen. An westlichen Therapien bemängelt er, daß sie zuviel Aufmerksamkeit auf das richten, was nicht geht, was nicht stimmt – anstatt die zarten Pflanzen, die gut sind, zu pflegen. Und das ist, denke ich, auch sehr „deutsch“.

Nach meinem Urlaub im Ausland ist mir so deutlich wie nie zuvor die Grießgrämigkeit in unseren U-Bahnen aufgefallen: Das soll die glückliche Wohlstandsgesellschaft sein? In Indien habe ich gelernt, im Zusammenleben mit Bettlern, daß Zufriedenheit wohl noch etwas anderes sein muß als Abwesenheit von Not. Damit meine ich keinesfalls: arm aber glücklich! Spätestens seit dem traurigen Experiment mit Säuglingen, bei denen nur die überlebten, die zusätzlich zur Ernährung noch körperliche und emotionale Zuwendung erhielten, wissen wir, was Kinder und Erwachsene brauchen.

Mich ärgern sogenannte wissenschaftliche Untersuchungen aller möglicher angeblich noch offener Fragen. Wir wissen doch schon längst, wo es langgeht.

Martha Meutes, Gossenberg

 

aus ICH 2/ 96