Die kosmische Überlagerung. Wilhelm Reichs „Funktion des Orgasmus“

von Volker Knapp-Diederichs 

,,Ich habe in Wirklichkeit nur eine einzige Entdeckung gemacht: Die Funktion der orgastischen Plasmazuckung“ – Wilhelm Reich, 1949 (1) Nach 40 Jahren intensiver Beschäftigung mit der Sexualität des Menschen, insbesondere der ,,Funktion des Orgasmus“, kam Reich zu der Schlußfolgerung, daß die Natur der geschlechtlichen Umarmung von Mann und Frau, die ihre Erfüllung im Orgasmus findet, denselben Gesetzen unterliegt wie die Entstehung von Materie, von Galaxien, von Leben überhaupt. In allem wirkt das Prinzip der „kosmischen Überlagerung“. Wie er zu dieser seltsam klingenden These gelangte, wird im folgenden Beitrag skizziert.

*** 

Über ein paar Mißverständnisse… 

Wenn man über Wilhelm Reich schreibt, so bleibt es nicht aus, zunächst ein paar Mißverständnisse klären zu müssen, die sich um sein Werk gerankt haben. Denn Reich ist eine bis heute umstrittene Forscherpersönlichkeit. Es gab und gibt vielfältige Gerüchte über seinen angeblichen Wahnsinn, seine wundersamen Apparaturen, seine eigenartigen Forschungsinteressen. Reich selbst mußte sich viele Jahre gegen Unterstellungen, Mutmaßungen, Meinungen wehren, die nur den Effekt hatten, sein Werk zu diffamieren; gleichzeitig wurden damit seine großartigen Einsichten in das Wesen der menschlichen Natur und der Natur überhaupt ausgegrenzt, ins Lächerliche gezogen oder totgeschwiegen. Am Ende unterlag er der ,,emotionellen Pest“ (2), als er 1957 in den USA im Gefängnis starb, sein Werk verbannt und seine Bücher in staatlichem Auftrag verbrannt worden waren. Bis zum heutigen Tag geschah nichts, um ihn zu rehabilitieren.

Tatsache ist, daß Reich wie kein anderer in seinen Forschungen zu den Wurzeln der menschlichen Natur und der Natur überhaupt vorzustoßen versuchte. Die menschliche Sexualität war Ausgangs- und Endpunkt dieser Forschungen. Reich war also kein Sexualwissenschaftler im üblichen Sinne. Ihn interessierte nicht die Auflistung technischer Störungen der menschlichen Sexualität, sondern die biologischen Grundgesetze, die ihr zugrunde lagen. Er war ein genialer Naturforscher in der Tradition von Mesmer (3) und Goethe, dem es in erster Linie darum ging, die menschliche Natur im Zusammenhang mit der Natur im allgemeinen, einschließlich des Mikro- und Makro-Kosmos, zu erforschen.

Warum gerade er solche haßerfüllten Reaktionen seiner Umwelt auf sich zog, darüber gibt es verschiedene Lesarten. Eines aber ist gewiß: Sein Leben lang beschäftigte sich Reich mit der Sexualität des Menschen in einer Weise, die kompromißlos beim Namen nannte, was immer noch besetzt ist von Tabus, tiefen Ängsten und bedrohlichen Gefühlen. Wir wollen exemplarisch erörtern, welche Abwehrmechanismen die Annäherung an seine ,,Funktion des Orgasmus“ auslösen kann.

Ein häufiges Mißverständnis besteht darin, sich auf Wilhelm Reich zu beziehen und Promiskuität und Pornografie zu meinen. Reich verstand sexuelle Freiheit nie als gefühl- und kontaktloses ,,Rumficken“. Der ,,Ficker“ war das schlimmste Schimpfwort für ihn, in dem Sinne, daß er sowohl das zwanghafte, mechanische und lieblose ,,Ficken“ als auch das promiskuitive ,,Herumficken“ als in höchstem Maße gestört begriff. Zwar kämpfte er sein Leben lang gegen die sexuelle Zwangsmoral, die insbesondere die Sexualität der Kinder und Jugendlichen unterdrückt und so die Grundlagen des psychischen und physischen Elends bildet, aber er war nie ein Propagandist von Morallosigkeit. Seine Ethik in diesen Dingen war geprägt von der Prämisse einer ,,natürlichen Moralität“, wie sie der Ethnologe Malinowski bei bestimmten Naturvölkern gefunden hatte.(4) Dort existierten offensive Bejahung der kindlichen Sexualität und der jugendlichen Partnersuche, die in einer erwachsenen Monogamie auf Zeit auf der Grundlage von Liebe und Freiheit einmündeten. Bei diesen halb-matriarchalischen Gesellschaften existieren weder Neurosen noch sexuelle Perversionen irgendwelcher Art. Diese natürliche Moralität und psychosexuelle Gesundheit sah Reich in jedem Kind als Möglichkeit neu reproduziert, und so war es folgerichtig, daß er sich für eine kindliche Entwicklung in Freiheit einsetzte – auch hier nicht als antiautoritäre Verantwortungslosigkeit, sondern im Sinne von Freiheit in Verantwortung. Das, was die Natur gegeben hat, zu schützen, war stets das zentrale Anliegen von Reich. Und wenn uns die Natur eine kindliche Sexualität gegeben hat, so ist es unsere Aufgabe, diese zu unterstützen und nicht zu verleugnen, zu unterdrücken, totzuschweigen oder zu lädieren.

Natürlich ist all dies Wissen nicht unproblematisch. Wenn Reich an anderer Stelle sagt: ,,Kein einziger Neurotiker hat diese Fähigkeit (der ,,orgastischen Potenz“, s. u.), und die überwiegende Mehrzahl der Menschen ist charakterneurotisch krank“(5) – dann betrifft das jede(n) von uns mehr oder weniger. Es ist nur zu natürlich, daß wir uns narzißtisch gekränkt fühlen, wenn uns jemand als ,,gestört“ oder ,,krank“ bezeichnet. Das innere Selbstbild, das wir in uns tragen, wird durch Reichs Behauptungen empfindlich irritiert. Dazu kommt, daß die Sexualität gleichzeitig der emotionell empfindsamste Bereich ist, wo narzißtische Kränkungen die tiefsten Wunden hinterlassen. Das weiß jeder, der einmal einen bösen Streit darüber mit seinem Partner hatte. Sexuell ,,nicht richtig“ zu funktionieren, das ist die absolute Katastrophe für jeden Menschen. Was liegt da näher, als all diese Erkenntnisse abzuwehren, abzuwerten, wegzupacken unter ,,unnützes Zeug“.

Reich ist andererseits oft dahingehend interpretiert worden, daß es ihm darum ginge, Sexualverhalten zu normieren. Natürlich hat er Wertungen aufgestellt, allerdings nicht als abstrakte Kategorien, sondern seine Ausgangsfrage war immer: Was ist das gesunde, d.h. von der Natur eingerichtete, naturbeschaffene Funktionieren? Und was sind die – gesellschaftlich, historisch usw. bedingten – Modifikationen dieser menschlichen Natur? Reich war empirischer Naturforscher, kein Philosoph, kein intellektueller Meinungsmacher. Es ging ihm nicht um Sexualphilosophie oder Naturphilosophie oder um Meinungen überhaupt. Er wollte erforschen, was die treibenden Kräfte und Funktionen unserer Natur und der Natur um uns herum sind. 

Der Orgasmus hat eine Funktion … wenn er funktioniert

Wenden wir uns nun dem zu, was Reich bei seinen Forschungen fand, soweit es unser Thema hier berührt. Ausgangspunkt für ihn war die Psychoanalyse Freuds, vor allem in ihrer ursprünglichen Version der Trieb- oder Libidotheorie. Reich begann als junger, hochtalentierter Psychoanalytiker in Wien den Zusammenhang von psychischer Erkrankung und sexueller Störung zu erforschen. Zunächst wurde er darin von Freud sehr ermuntert und unterstützt. Seit etwa Mitte der 20er Jahre jedoch begann sich Freud und die zeitgenössische Psychoanalyse in kleinen, jedoch markanten Schritten von dem ursprünglichen libidotheoretischen Modell der Psychoanalyse zu lösen. Sie bewegte sich in Richtung einer Ich-Psychologie, die das Augenmerk von den sexuellen Triebkräften im Menschen auf die Strukturen und Prozesse seines psychischen Apparates richtete. Reichs Interesse hingegen galt weiterhin der ursprünglichen Triebtheorie, denn er beobachtete in allen seinen klinischen Fällen,

  1. daß die Schwere einer psychischen Störung im Zusammenhang mit der qualitativen Einschränkung der sexuellen Empfindungsfähigkeit stand und
  2. daß die Prognose der Heilung wesentlich dadurch beeinflußt wurde, welche Möglichkeiten der Patient hatte, seine ,,volle genitale Befriedigungsfähigkeit“ zu erreichen.

Natürlich war es für ein derartiges Verständnis der neurotischen Erkrankung notwendig, eine genaue Definition dessen zu finden, was die ,,volle genitale Befriedigungsfähigkeit“, die nicht-gestörte, gesunde Sexualität ausmacht. Für diesen Zweck studierte Reich die ,,Funktion des Orgasmus“.(6)

Eine scheinbar ganz banale Frage mag sich spätestens an dieser Stelle stellen: Wie studierte er den Orgasmus, bzw. wie kam er auf diese Zusammenhänge, die sich auf die Wechselbeziehung von Neurose und Sexualität bezogen? Nun, zunächst unterschied sich Reich offenbar darin von seinen Psychoanalytiker-Kollegen, daß er da weitermachte, wo diese aufhörten, wenn es um Fragen nach dem sexuellen Erleben der Patienten ging. Reich gab sich z. B. nicht damit zufrieden, die männliche Ejakulation mit Orgasmus gleichzusetzen. Auf diesem Weg stieß er auf enorme Unterschiede in der Qualität der orgastischen Erlebnisfähigkeit. Um bei unserem Beispiel des männlichen Höhepunkts zu bleiben: Er fand heraus, daß viele Männer beim Samenerguß keine Lust oder sogar Ekel empfanden, begleitet z.B. von sadistischen Phantasien der Gewalttätigkeit, des Durchbohrens usw. Reich fand bei seinen neurotischen Patienten, daß bei ,,keinem dieser Fälle es auch nur eine Spur von Unwillkürlichkeit oder Verlust der Aufmerksamkeit im Akt“(7) gab. Entsprechendes galt mehr oder weniger für alle Störungen der sexuellen Erlebnisfähigkeit, die Reich im Begriff der ,,orgastischen Impotenz“ zusammenfaßte.

Eine andere Quelle seiner Erkenntnisse über den menschlichen Orgasmus war autobiographisch. Erst vor wenigen Wochen wurde in einer amerikanischen Reich-Zeitschrift (8) ein bis dahin unveröffentlichtes autobiografisches Dokument von Reich veröffentlicht, in welchem er eindrucksvoll seine prägenden sexuellen Erfahrungen und seine eigene sexuelle Erlebnisfähigkeit in Beziehung setzte mit seinem lebenslangen Forschungsinteresse über die Funktion des Orgasmus.

Eine dritte Quelle seines Wissens über die menschliche Sexualität waren seine empirischen naturwissenschaftlichen Experimente, die später hinzutraten, als er sich von der Psychoanalyse mehr und mehr löste und der Naturforschung zuwendete. In seiner ,,bio-elektrischen Untersuchung von Sexualität und Angst“ (1937) untersuchte er z. B. die unterschiedlichen Potentiale der Haut in verschiedenen emotionalen Zuständen. Er fand bei lustvoller Erregung deutlich höhere bio-elektrische Potentiale vor als in Zuständen angstvoller Kontraktion, ebenso im Bereich erogener Zonen in Relation zum übrigen Körper. Daraus leitete er das biologische Gegensatzpaar Lust und Angst ab. Was hier noch als bio-elektrisches Phänomen interpretiert wurde, verstand er später, nachdem er das Orgon (die Lebensenergie, siehe u. a. Bernd Senf „Der Orgon-Akkumulator“, in diesem Buch, – A.P.) in den Zellen und in der Atmosphäre entdeckt hatte, als bioenergetisches Phänomen.

Aus all diesen vielfältigen Erfahrungen und Erkenntnissen entwickelte Reich schließlich eine genaue Formulierung von psychosexueller Gesundheit. Diese gesunde sexuelle Empfindungsfähigkeit definierte er als ,,orgastische Potenz“:

,,Sie ist die Fähigkeit zur Hingabe an das Strömen der biologischen Energie ohne jede Hemmung, die Fähigkeit zur Entladung der hochgestauten sexuellen Erregung durch unwillkürliche lustvolle Körperzuckung.“

Wichtig in diesem Zusammenhang erscheint mir Reichs Differenzierung der prägenitalen (10) und genitalen Sexualität. Bei ,,orgastischer Potenz“ werden die prägenitalen Bestrebungen stets dem Primat der Genitalität untergeordnet (11), bei der ,,orgastischen Impotenz“ hingegen übertreffen umgekehrt die prägenitalen Bestrebungen die genitalen an Bedeutung.

Was Reich von aller bisherigen Sexualwissenschaft unterschied, war seine Frage nach der biologischen Grundfunktion, die der menschlichen Sexualität und insbesondere dem Orgasmus zugrunde liegt. Was er fand und was in dem eingangs angeführten Zitat bereits angedeutet ist, war die bioenergetische und vegetative Funktion des Orgasmus. Im vollständigen Orgasmus ereignet sich die lustvolle Entladung der Energiepotentiale des gesamten Organismus. Auf der vegetativen Ebene finden sich u. a. Strömungsempfindungen, ein Anstieg unwillkürlicher Muskelkontraktionen, eine vorübergehende Eintrübung des Bewußtseins, die schließlich in lebhafte Zuckungen der gesamten Körpermuskulatur und einen wellenartigen Bewegungsablauf der Längsachse des Körpers münden, den Reich als ,,Orgasmusreflex“ bezeichnete. ,,Die auffallendste Erscheinung am Orgasmusreflex ist die Bestrebung beider Enden des Rumpfes, des Mundendes und des genitalen Endes, sich einander zu nähern“(12), beobachtete Reich. Auf der bioenergetischen Ebene geht hiermit eine Verschmelzung und „Erstrahlung“ der beiden sich liebenden Organismen einher, subjektiv wahrgenommen als ekstatische Hingabe und vorübergehende Auflösung der Ich-Grenzen.

Damit wird der Orgasmus zu einer potentiellen spirituellen Ur-Erfahrung der Menschen. Potentiell deshalb, weil dem überwiegenden Teil der Menschheit diese Ur-Erfahrung verschlossen bleibt. Übrig bleibt eine unerfüllte und in der Regel unerfüllbare ,,kosmische Sehnsucht“, die nach Reich mit ,,orgastischer Sehnsucht“ gleichzusetzen ist. Denn eine lebensfeindliche patriarchalische Kultur zwingt seit Jahrtausenden die Organismen der Neugeborenen und Kinder, sich gegen jede innere energetische Erregung und lustvolle Expansion zu ,,panzern“. Diese ,,Panzerung“, die gleichzeitig energetisch, körperlich, charakterlich, intellektuell, ideologisch etc. erscheint, versteift den Menschen auf allen Ebenen. Der Organismus wird unbeweglich und unfähig, sich als ganz zu erleben oder sich hinzugeben. Reichs Vegeto- oder Orgontherapie, die einen Versuch bildet, diese chronische Steifheit aufzulösen, ist bekanntlich die Vorläuferin all jener körpertherapeutischen Methoden, denen eine energetische Betrachtungsweise von Körper und Seele zugrunde liegt (z. B. Bioenergetische Analyse, Radix, Biodynamik, Skan, Bio-Synthese, Core-Energetics, um nur die bekanntesten zu nennen).(13)

Wohlgemerkt, Reichs Verständnis des Orgasmus ist keines, das ihn auf die Genitalien beschränkt. Die ,,Funktion des Orgasmus“ ist ein ganzheitlicher, die körperlichen und seelischen Grenzziehungen überschreitender Erfahrungsprozeß, der gerade auch die krankmachende Trennung von Wahrnehmung, Sexualität und Liebe (repräsentiert durch Augen, Genitalien und Herz) aufheben kann, wie sie bezeichnend für unsere ,,Zivilisation“ ist. Der ,,funktionierende“ Orgasmus ist ein biologischer Prozeß, der auch die bioenergetische Harmonisierung des Organismus und damit ebenfalls das emotionale, seelische und körperliche Wohlbefinden des Menschen bestimmte. Er ermöglicht die tiefste Begegnung zwischen Mann und Frau: das wechselseitige Sich-Erkennen. (14) Vielleicht meint dieses Erkennen nichts anderes als die erleuchtende Erfahrung, die in der Verschmelzung zweier biologischer Wesenheiten miteinander und mit dem Kosmischen liegt, welche sich ansonsten als einzeln und getrennt erleben. 

Vom Orgasmus zur Lebensformel

Hier ist angedeutet, daß sich Reichs Verständnis der Funktion des Orgasmus nicht auf den Menschen beschränkt. Zwar formulierte er auf der Grundlage seiner Beobachtungen des menschlichen Organismus die Orgasmusformel: Mechanische Spannung – Energetische Ladung – Energetische Entladung – Mechanische Entspannung. Diese Formulierung entwickelte sich im Verlauf der weiteren Forschungen zu einem Schlüssel im Verständnis biologischer Prozesse im allgemeinen, nicht nur beim Menschen, sondern bei allen Lebewesen und Naturvorgängen, die nach Reich von der Lebensenergie Orgon gesteuert werden. Die Orgasmusformel wurde damit zur Lebensformel schlechthin. Reich fand sie sowohl in den Erregungs- und Bewegungsabläufen von Zellen und Einzellern, als auch im biologischen, ökologischen und atmosphärischen Geschehen auf unserem Planeten und im Kosmos wieder. Er war davon überzeugt, und versuchte immer wieder empirisch nachzuweisen, daß diese Lebensenergie, in allen Naturvorgängen wirkt und überall und primordial, d. h. vor jeder Materiebildung, existiert und wirkt. Verschiedene Potentiale dieser Energie, ihre Verdichtungen, Überlagerungen, Einwirbelungen, all ihre Gesetzmäßigkeiten wirken nach denselben Grundmustern wie im menschlichen Organismus. Der Kosmos ist nicht leer. Es gibt keine Leere, kein Nicht-Sein. Das Orgon existiert und lebt, überall und in allem. Es ist die schöpferische Lebenskraft schlechthin.

Damit wird Orgon das Eine oder ,,der Eine“, das oder der in allem wirkt, alles erschafft, alles ist. Sämtliche Erfahrungen des Eins-Seins erhalten ihre materielle Begründung. Dies Eine, das Orgon, existiert innerhalb meines Organismus genauso wie in der Gestalt der Wolke, dem Glitzern der Sterne und den Pseudopodien der Einzeller. Von diesem Einen aus betrachtet gibt es keine Trennungen zwischen mir und der Welt, zwischen meinen Gedanken und dem Kosmos. Mit seiner lebensenergetischen Betrachtungsweise der Natur, in der alles bewegt und geprägt ist von dem Einen, dem Orgon, sprengte Wilhelm Reich die herrschenden Grenzen von Subjekt und Objekt, von Energie und Materie und gelangte zu einer materialistischen Fundierung kosmischer Erfahrungen. Seine späte Kosmologie (15) findet im energetischen Überlagerungsprozess von mindestens zwei sich vereinigenden und verwirbelnden kosmischen Energieströmen den Schlüssel zur Bildung von Materie, Schwerkraft und Galaxien, analog im energetischen Überlagerungsprozess zweier sich liebender Lebewesen und im Orgasmus den Schlüssel zur Ur-Erfahrung des Lebendigen und des Lebens. Damit befreit Reich die sexuelle Liebe zwischen Mann und Frau aus dem Sumpf pornografischer und mechanistischer Verachtung und erhebt sie zur Begegnungsstätte des Kosmischen – oder mit Gott.

 

Anmerkungen

(1) Wilhelm Reich: „Äther, Gott und Teufel“. Nexus Verlag, Frankfurt/ Main, 1983, S. 3

(2) Reich bezeichnete die neurotische Kettenreaktion, bösartige Projektionen in Form von Gerüchten und Diffamierungen auszustreuen, als die ,,emotionelle Pest“ des Menschen.

(3) Franz Anton Mesmer (1734-1815) war ein zeitweilig weltberühmter Arzt, in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wirkend, der ebenso wie Reich ein umfassendes Verständnis von der Lebensenergie im Menschen und in der Natur entwickelt hatte. Mesmer bezeichnete diese Energie ,,als animalischen Magnetismus“. Ähnlich wie Reich wurde er bekämpft und ausgegrenzt. Im Gegensatz zu Reich zog sich Mesmer daraufhin aus dem öffentlichen Wirken zurück und starb vergessen, aber hochbetagt in Meersburg am Bodensee.

(4) Bronislaw Malinowski: ,,Das Geschlechtsleben der Wilden in Südwest-Melanesien“, Syndikat-Verlagsgesellschaft, Frankfurt/ Main, 1979; sowie Wilhelm Reich: ,,Einbruch der sexuellen Zwangsmoral“, Kiepenheuer & Witsch, Köln 1972.

(5) ,,Funktion des Orgasmus“, S. 81

(6) Wilhelm Reich: ,,Funktion des Orgasmus, Entdeckung des Orgon, Band 1″, Fischer Taschenbuch Verlag, Köln/ Berlin 1969. S. 77

(7) ebenda, S. 80

(8) Orgonomic Functionalism, Vol. 1, No. 1, 1990. The Wilhelm Reich Infant Trust Fund, Orgonon, Box 687, Rangeley, ME 04970, USA.

(9) Wilhelm Reich: ,,Die bio-elektrische Untersuchung von Sexualität und Angst“, Nexus Verlag, Frankfurt/Main, 1984.

(10) aus der frühkindlichen Sexualentwicklung (oral, anal) hervorgegangene und bei neurotischer Fixierung auch darüber hinaus noch im Vordergrund stehende Strebungen (siehe auch „Hindernisse für Lust und Liebe“ in diesem Buch, – A. P.)

(11) Zum Beispiel, wenn prägenitale Praktiken das Vorspiel bestimmen, dann aber im Koitus sich der genitalen Verschmelzung unterordnen.

(12) Wilhelm Reich: ,,Das lebendige Orgonom“, in: ,,Ausgewählte Schriften – Eine Einführung in die Orgonomie“, Kiepenheuer & Witsch, Köln 1976, S. 347

(13) Der ,,Ströme-Rundbrief Reichianische Körperarbeit“ ist das deutschsprachige Kommunikationsforum für diese und andere in der Traditionslinie Wilhelm Reichs stehende Körpertherapie-Verfahren. Kontaktadresse: ,,Ströme-Rundbrief“, c/o Volker Knapp-Diederichs Publikationen, Lubminer Pfad 20, 13503 Berlin.

(14) 1. Mose 4.: ,,Und Adam erkannte sein Weib Eva, und sie ward schwanger und gebar Kain.“

(15) Wilhelm Reich: ,,Cosmic Superimposition“, Farrar, Straus and Giroux, NewYork 1973, S. 225ff.; deutsche Ausgabe: „Die Kosmische Überlagerung”, Zweitausendeins Verlag, Frankfurt/M., 1998. 

 

aus ICH 2/ 91