„Der Gipfel an Gängelei und ärztlicher Überheblichkeit …“ Reaktionen auf den Artikel von Walther Prinz. Aus Briefen

Das ist eine Darlegung eines offensichtlich sehr empörten Mediziners, der auf ein Recht pocht, das ihm wohl kaum zukommt, denn Geburt ist keine Krankheit. Und es ist nun nicht Sache der Ärzte und Geburtshelfer, in den Geburtsprozeß einzugreifen, sondern eine Angelegenheit von Mutter und Kind mit zurückhaltender Begleitung durch eine Hebamme. Die Medizin hat sich diesen Bereich angeeignet – und durchaus auch zum Wohl für Mutter und Kind. Der Kaiserschnitt ist eine große Errungenschaft des 20. Jahrhunderts, was aber nicht besagt, ihn zum Ziel im Geburtsprozeß einzuplanen.

Kürzlich habe ich Michel Odent in Halle an der Saale anläßlich der Eröffnung des ersten Geburtshauses auf ehemaligem DDR-Boden zu aktuellen Problemen der Geburt gehört. Welch ein Widerspruch: in Halle ein Mediziner mit 30jähriger Geburtserfahrung, offen, welterfahren, tolerant; in München ein wüst andere beschimpfender, wie an seiner Ehre gekränkter Besserwisser. Ja, es tut mir leid, es so hart formulieren zu müssen, aber genau das ist mein Eindruck. Sehen Sie sich nur die Wortwahl, die Satzbildung, die Zeichensetzung (jede unbewiesene Behauptung steht mit einem Ausrufezeichen) von W. Prinz an.

Bereits auf Seite 1 wüste Beschimpfungen: ,,geradezu abenteuerlich“, ,,absoluter Unsinn“, ,,lebensbedrohliche Ausmaße“, ,,Unvernunft und Rücksichtslosigkeit“, ,,eine kriminelle Tat“, ,,eine Perversion“. Charakteristisch für den konservativen Forscher, der das Neue fürchtet und nun – nach dem erfolglosen Versuch der ersten Stufe, das Neue totzuschweigen – in der zweiten Stufe sich aggressiv gebärdet. Ja, Herr Prinz und mit ihm der unverändert gebliebene Teil der Medizin, sie alle fühlen sich in die Enge getrieben und arbeiten mit Verleumdungen. Kein ernsthafter Vertreter der natürlichen Geburt wird die Frau zum Stehen animieren. Das ist überhaupt keine Frage des Begleiters, sondern die Entscheidung der Frau. Mediziner aber fordern die liegende Haltung. Ich frage Sie, wer da eigentlich intolerant ist.

Als Mitglied der ISPPM – der Internationalen Studiengemeinschaft perinataler Psychologie und Medizin – finde ich, daß auch hier eine große Zahl angesehener Wissenschaftler mit in den ,,Sumpf‘ (um mich Ihrer Wortwahl zu bedienen) gezogen wird. Allein in unserem Jahrhundert rechne ich – neben vielen anderen – dazu Frauen und Männer wie Georg Groddeck, Otto Rank, Wilhelm und Eva Reich, Frederick Leboyer, Arthur Janov, Sheila Kitzinger, Alice Miller. Und diese Reihe wird fortgesetzt für mich mit Hans-Joachim Maaz in Halle und Ludwig Janus in Heidelberg. Zum Glück sind das nicht alles Mediziner, weil das System Medizin (wie jedes andere System) von sich aus nur in seltenen Ausnahmefällen von der Lehrmeinung abweichende Erkenntnisse gestatten wird.

Es lohnt nicht, auf die einzelnen Vorwürfe des Artikels einzugehen. Das ist alles einfach zu dumm und unwissenschaftlich. Bedauerlich ist nur, daß jene Ärzte, die die immer breiter werdende gesellschaftliche Kritik spüren, große Genugtuung empfinden und begeistert zustimmen werden. Und sie werden Frauen weiter verängstigen. Die Kardinalpunkte ärztlichen Vorgehens gegen Schwangere bleiben unerwähnt: die Medikalisierung unter der Geburt, der Einsatz elektronischer Geräte, grelles Licht, frühe Abnabelung etc. werden nur so gesehen, als sei der Mensch eine Art biologischer Maschine. Die Intimsphäre der Frau wird grob verletzt, der Neokortex (der ausgeschaltet sein sollte) ständig gereizt, die Bindungsqualität, die sich besonders stark in der ersten Stunde, wenn Mutter und Kind nicht gestört werden, ausbilden kann … Herr Prinz scheint davon nie gehört zu haben. Das aber ist eine wissenschaftliche Unterlassung, eine bösartige Entstellung.

Die unmittelbar nach der Geburt erfolgende Trennung hat Eva Reich schon vor vielen Jahren als einen Akt von Unmenschlichkeit verurteilt. Es geht aber nicht nur um das, was im Geburtsprozeß geschieht, diese Schmerzen wären noch vom erwachsenen Menschen hinzunehmen. Was viel schlimmer ist: Das Geburtstrauma (nach Otto Rank – 1924 bereits!) bestimmt weitgehend unser gesamtes Leben. Untersuchungen von Jacobson (Stockholm, Prästudie von 1988 und Hauptstudie im November 1990 im British Journal of Medicine veröffentlicht) belegen die eindeutige Korrelation drogenabhängiger Jugendlicher und unter der Geburt medikalisierter Mütter. Alle Welt wundert sich über die Zunahme von Drogensucht, Gewalt, Gefühlskälte und Kriminalität. Daß aber im Kreißsaal Gewalt ausgeübt wird, darüber sollte Herr Prinz nachdenken.

Michel Odent hat in seinem Pariser Krankenhaus schon vor Jahren festgestellt, daß in Paris lebende Amerikanerinnen nicht mehr normal gebären konnten. Kein Wunder: In den USA haben wir bereits die dritte Generation medikalisierter Frauen. Nun gibt es natürlich Arbeit für die Medizin, und die Kaiserschnittrate wächst von Jahr zu Jahr. Wie wollen wir aus diesem Teufelskreis herauskommen?

Dr. Heinrich Hillmann, Leipzig

 

Ich unterstelle, daß Sie sich aus Unwissen einer Entwicklung versagen, die bereits 1985 von der WHO offiziell für Europa bestätigt wurde. Bevor ich ins Detail gehen will, drei Fragen zu ihren eigenen Geburtserfahrungen:

  1. Wie sind Sie selber geboren worden, haben Sie traumatische Geburtserfahrungen machen müssen, was wissen Sie darüber? Das ist und wird Ihre einzige wirkliche Geburtserfahrung bleiben!
  2. Haben Sie Kinder, wie sind die geboren worden, denken Sie, daß sie schöne Geburten hatten, daß Ihre Partnerin sich wohl gefühlt hat, daß Sie geboren hat und nicht entbunden wurde?
  3. Wieviele sanfte Geburten konnten Sie miterleben, wie reich ist Ihr praktischer Erfahrungsschatz auf diesem Gebiet?

Es kann hier nicht meine Aufgabe sein, Ihnen eine Bibliographie an die Hand zu geben, die Ihnen intensives Literaturstudium erspart. Hätten Sie das getan, wären Ihnen nicht auch noch folgende Fehler (Hier ist kein Anspruch auf vollständige Auflistung aller Irrtümer möglich!!!) unterlaufen:

  1. Das Kindbettfieber entstand nicht durch verschmutzten Boden beim Gebären (häusliche Keime „kennt“ der Säugling durch die Abwehrstoffe von der Mutter), sondern wurde zur häufigsten Todesursache von Frauen, die geboren haben in der Zeit, nachdem die Ärzte die ,,Geburtshilfe“ übernommen hatten (Beginn 18. Jh.) und von den Kranken und Leichen zur Gebärenden kamen, ohne sich die Hände zu desinfizieren. Erst nach der Durchsetzung der Erklärung von Semmelweiß (Mitte des 19. Jh.) endete dieser Alptraum.
  2. Nicht die moderne Apparatemedizin hat die ,,überlebenden Kinder und Mütter“ erzeugt, sondern der Wohlstand, die Verhütung, die Sozialhygiene und die Hygiene allgemein (nicht die Krankenhaussterilität!). Denn alle zivilisierten Länder (Schweden mit unter 1 % Hausgeburt, Holland mit 39 % Hausgeburt) haben ähnliche Mortalitätsraten.

Geburtshaltung

Haben Sie je die entwürdigende, zu Passivität verurteilende, angeblich so entspannende liegende Haltung ausprobiert? Gebären ist ein aktiver Vorgang, wenn er natürlich ablaufen kann. Es geht der alternativen Geburtsbegleitung nicht um eine platte Übernahme aus dem Tierreich oder um ein ,,zurück zur Feldfurche“, sondern um eine Gebärposition, wie sie die Frau selbstbestimmt und laut ihrer inneren Signale einnimmt, und das ist erfahrungsgemäß eine aufrechte Position (im Hocken, Halbsitzen, gestützten Anhängen nach oben – fälschlicherweise als Stehen bezeichnet, oder im Vierfüßlerstand). Letzteres entspricht von der Beckenhaltung her der Geburtsposition der Vierfüßler, die sie für ihre Argumente mißbrauchen. Haben Sie je ein Pferd beobachtet, das sich auf den Rücken gelegt hat? Aber zurück zu uns Menschen.

Nicht das Liegen, bereit für jeden Eingriff und Dauerkontrolle, ist natürlich. ,,Aus dem natürlichen, instinktiv ausgeübten Verhalten während der Geburt ergaben sich differenzierte Körperstellungen, die sich bei den verschiedenen Völkern zur Tradition ausbildeten … Die Frauen änderten ihre Haltung während der Geburt je nach der Richtung des kindlichen Kopfes im Becken. Instinkt und Erfahrung lehrten zudem die Frauen, daß durch Wechsel der Stellung die Geburt beschleunigt werden kann. Bei der kniend kauernder Haltung mit Erfassen eines Seiles oder Pfahles war es arn besten möglich, die Körperachse zu verändern.“ (Liselotte Kuntner: Die Gebärhaltung der Frau, München 1991, S. 86) Es ist historisch belegt, daß die liegende Haltung erst seit ca. 200 Jahren in Europa bekannt ist (Anfang des 18. Jh. begann von Frankreich her die männliche, ärztliche Geburtshilfe). In der Hebammengeburtshilfe war das Liegen bis dato völlig unbekannt, und zwar weltweit. Es gibt noch eine ethnische Analogie: Bei schwieriger Geburt wird die Knieelllenbogenlage genutzt.

Über die Nachteile der Rückenlage:

Becken und Durchblutung:

  1. ,,Die Beweglichkeit des Beckens erlaubt eine Erweiterung des Beckeneinganges um 0,5 cm und des Beckenausganges um 1,5 cm. Verschiedene Stellungen aus der traditionellen Geburtshilfe bezwecken diese Weitstellung des Beckens.“ (ebenda, S. 140)
  2. ,,Bei fast einem Drittel der Schwangeren kommt es in Rückenlage zu einem Abfall des systolischen Blutdrucks“. Das ist wahrscheinlich die Folge des Druckes, den der gravide Uterus in dieser Lage auf eine der Hauptvenen (Vena cava) ausübt. ,,Gleichzeitig wird auch die Harnausscheidung durch verminderte Nierendurchblutung um 50 % reduziert.“ (ebenda, S. 149) Die Dammschnittrate liegt bei dokumentierten Hausgeburten (Bayerische Perinatal-Erhebung) zwischen 1986-88 bei unter 3 %. Bei freier Wahl der Gebärhaltung findet man nur 5 % der Frauen in der ,,Käferstellung“.

Sicherheit

Der Absicherungswahn der Mediziner ist aus einer imaginären Furcht vor den bösen Eltern legitimiert, obwohl primär die Mediziner selbst diese Angst vor einer Geburtsgerichtsbarkeit heraufbeschwören. Durch Kontrolle und Überwachung gekaufte Sicherheit ist eine Pseudosicherheit, das beweist allein schon die permanente Krise jedes totalitären Staates. Der Risikokatalog ist überdies viel zu breit. Sie haben z.B. ein größeres Risiko mit dem Auto zu verunglücken, als das Beckenendlagenkind mit der Vaginalgeburt. Meiden Sie deshalb die Straße? Verbieten Fahrzeugverkehr? Die PNMR (Perinatale Mortalitätsrate), an der allein eigentlich auch keine Lebensqualität gemessen werden kann, ist z.B. bei 713 erfaßten, geplanten Hausgeburten (o. gen. Erhebung) gleich Null, wobei 95 % der Frauen ohne Schmerzmittel auskamen, nur 2 % einen Dammschnitt bekamen und überdurchschnittlich hohe Apgarwerte (Werteskala für die Gesundheit des Babys) festgestellt wurden. Die Verlegungsquote betrug unter 5 %. Weitere Internationale Studien (Maternal and Child Health Section der WHO) belegen, daß die Frage falsch gestellt wird. Eigentlich müßte sie lauten: Ist die Krankenhausgeburt sicher?

Der Gipfel an Gängelei und ärztlicher Überheblichkeit ist der von Ihnen vorgeschlagene Fragenkatalog. Eine Frau kann alleine gebären und hat ein nie Gefühl für die aktuellen Bedürfnisse auch des Ungeborenen, wenn man sie läßt, warten kann, beobachtet, ermutigt, stützt …

Verdienst der Hebamme

Hausgeburts-Hebammen bezahlt niemand ihre 24 -Stunden-Bereitschaft. Keine Kasse zahlt die Geduld und die Mehraufwendungen an Zeit bei langwierigen Geburten, oder beim Abbruch der Hausgeburt. Es gehört heute in Deutschland viel Idealismus dazu, Hausgeburts-Hebamme zu sein.

Erfolge

Sie zitieren die alternative Geburtshilfe falsch. Es gibt kein ,,sollte“ und ,,soll“. Zulassen und Ermunterung wiegen entschieden mehr als Haltungsnoten. Erfolge, wie Sie sie in Konfrontation formulieren, kennen wir nicht, weil wir die von Ihnen formulierten geburtshilflichen Parameter anfragen.

Unterwassergeburt

Selbstverständlich wird das Kind sofort herausgehoben. Wasser erleichtert lediglich die Entspannung und den Durchtritt des Kopfes und ist gerade für schwierige Geburten (Verkrampfung, enges Becken) geeignet.

Ihr Abschlußresümee klingt fast ermutigend, offensichtlich haben selbst Sie sich noch einen Rest an Menschlichkeit bewahrt. Ach, könnten wir uns in 100 Jahren, in der Blüte des posttechnisierten Zeitalters neu auseinandersetzen. Ich bin sicher, die kurze Phase der intensiven Geburtsmedizin für alle Geburten wird überholt sein und die bewährte Hebammengeburtsbegleitung wird wieder üblich sein; ebenso wie die programmierte Geburt sich überlebt hat. Und vielleicht haben wir weniger traumatisierte Neugeborene und weniger Gewalt, die heute leider zu den ersten Erfahrungen fast aller Menschenkinder gehört.

Ines Brock, Halle (IRIS-Regenbogenzentrum)

 

 

aus ICH 4/ 93