Angst vor der Angst. Therapie-Nachbetrachtungen

von Hanka Rieschel

Als ich 1989 aus der Therapie zurück in meine Familie kam und alles Erfahrene umzusetzen begann, fing eine aufregende, schöne Zeit an.

Eine Zeit, in der ich lernte, was Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit bedeuten. Eine Zeit, in der ich Frust und Ärger zuordnen lernte, meinen und den meiner Mitmenschen.

So erfuhr ich, wie gut es war, mein Kind schreien zu lassen, nachdem ich es aus der Krippe abgeholt hatte; denn nach zehn Minuten war sie ihren Krippenstreß los und konnte gut mit mir und ihrem Bruder spielen.

Ich mußte nicht darauf einsteigen, weil ich wußte, daß der Anlaß, den sie sich suchte, nichts mit ihrem Bedürfnis etwas rauszuschreien zu tun hatte. Ich lernte, nicht mit dem Sohn zu zanken, weil Jacke und Hose völlig eingesaut waren. Gab es auch nur eine Pfütze im Kindergarten, dort hinein mußte mein Kind fallen. Naja. Ich hatte erfahren, daß der Dreck auf den Klamotten es nicht wert ist, mein Verhältnis zu meinem Kind zu untergraben. Nachdem ich das hinnehmen lernte – Kinder machen sich beim Spiel nun mal dreckig – Kinder sind nun mal beim Spiel laut – wurde es viel schöner zu Hause. Und auf einmal waren die Sachen nicht mehr so oft hoffnungslos verdreckt.

Eine Zeit brach an, in der ich mit meinem Ehemann viel sprach, auch schwierig, der Fernseher aus blieb, ich nicht den Anspruch an ihn stellte, mir meine Freude zu organisieren. Wie soll ich das erklären?…

Ich wußte es irgendwann selbst und lernte darüber zu reden. Es entstand eine gute Zweisamkeit mit scheinbar weniger Ansprüchen. Ich wußte was ich wollte, das schien weniger zu sein als früher, denn es „reduzierte“ sich auf Liebe und Zuwendung. Und ich konnte die Bedürfnisse des anderen verstehen, erahnen und akzeptieren.

Es war eine ruhige und gute Zeit, nach ersten Monaten des „Streits“, der „Beziehungsklärung“ natürlich.

Ich schreibe das alles in der Vergangenheitsform und will Dir auch sagen warum:

Diese Zeit, in der ich das Gefühl hatte, ich würde strahlen vor Glück, ich baute ein „strahlendes Schutzbild“ um mich, das bewirkte, daß mir alles zu gelingen schien, daß mir nichts passieren könnte – und es war auch so – dieses Glück, zu Hause zu sein in mir, in meiner Familie ist seit der „Wende“ in Gefahr.

Notgedrungen hab ich mich auf so viel einlassen müssen, daß mir eigentlich widerstrebte, ich mußte so hohe Schulden machen, meine soziale Sicherheit hergeben, wie wir alle aus der DDR eine Gesellschaftsform annehmen, von der ich überzeugt bin, daß diese nicht das Non plus Ultra der Menschheit sein kann.

Ich sehe was um mich passiert, sehe Ozonloch und Kriege, Konsumrausch und Rassenhaß und weiß, daß diese Gesellschaft die Ursachen dafür gar nicht aufdecken darf, weil sie sich sonst selbst das Wasser abgräbt, und erkläre mir so das Gelabere der Politiker.

Und ich kriege Angst.

Aber ich darf doch nicht so viel Angst haben, sonst geht meine Energie, mein strahlendes Schutzbild verloren und ich gehe dann kaputt.

Nicht von ungefähr legt ich neulich Herbert Grönemeyer’s Platte „Sprünge“ auf. Ich kann es nicht besser beschreiben, meine neue westdeutsche Befindlichkeit: „Angst vor der Angst“.

Es könnte so viel dazwischen kommen, das mir mein Glück zerstört, was ich nicht selbst in der Hand habe, das ich nicht beeinflussen kann, vor dem mich nur meine „Strahlung“ schützt.

Wieviel Angst verträgt der Mensch, wieviel ist gesund, wann frißt sie auf?

 

aus ICH 2/ 93