Wir fordern das Wahlrecht für Kinder! Eine Verfassungsbeschwerde der Kinderrechtsgruppe K.R.Ä.T.Z.Ä. und ihr vorläufiges Ende

IM NAMEN DES VOLKES …

wurde am 15. Januar 1996 mit billigen formalen Begründungen eine Verfassungsbeschwerde von Benjamin Kiesewetter (16 Jahre) und Rainer Kintzel (14 Jahre) abgeschmettert, auf gut juristisch „nicht zur Entscheidung angenommen“:

„Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Gründe: Ein Grund zur Annahme der Verfassungsbeschwerde im Sinne des $ 93a BVerfGG liegt schon deshalb nicht vor, weil die – auch für Verfassungsbeschwerden gegen Vorschriften des Grundgesetzes geltende (vgl. BVerfGG 17, 67 -75-) – Jahresfrist des § 93 Abs. 3 BVerfGG nicht eingehalten worden ist. Für den Beginn dieser Frist ist es aus Gründen der Rechtssicherheit unbeachtlich, wann die Rechtswirkungen dem Betroffenen gegenüber eintreten (vgl. BVerfGE 24, 252 -257- sowie BVerfGE 30, 112 -126-; jeweils m.w.N.). Diese Entscheidung ist unanfechtbar.“

Das ist die vollständige Begründung …  

Diese Beschwerde hätte die „Grundfesten“ dieses Landes erschüttern können. Wie? Indem sie erzwungen hätte, das ernst zu nehmen, was im Grundgesetz steht: ALLE MENSCHEN SIND VOR DEM GESETZ GLEICH.

Wir übernehmen den folgenden Text (gekürzt) mit freundlicher Genehmigung von KRÄTZÄ dem Faltblatt Verfassungsbeschwerde zum Wahlalter. Häufig gestellte Fragen und die Antworten der KinderRÄchTsZÄnker.

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Häufig gestellte Fragen und die Antworten der KinderRÄchTsZÄnker

Warum habt ihr euer Wahlrecht eingeklagt?

Erstens fordern wir unser Wahlrecht, weil wir meinen, daß alle ein Recht darauf haben, mitbestimmen zu können. Alle, die von Entscheidungen betroffen sind, müssen die Gelegenheit haben, mitzuentscheiden. Menschen unter 18 Jahren haben diese Möglichkeit bis heute nicht.

Deshalb meinen wir auch, daß die Interessen von Kindern im Parlament nur unzureichend berücksichtigt werden.

Ein zweiter wichtiger Punkt ist unser Interesse, das Thema „Wahlrecht – wieso erst ab 18?“ in der Öffentlichkeit zu diskutieren. Wenn erstmal darüber geredet wird, würde auch deutlich werden, daß Kinder nicht wirklich ernst genommen werden. Es geht also auch um andere Grundrechte und nicht nur um das Grundrecht auf Mitbestim­mung. Unsere Unterstützerliste zeigt, daß auch prominente Leute unser Anliegen unterstützen.

Wer steht bisher auf der Unterstützerliste?

Es sind einige Leute, wie der Bürgerrechtler Jens Reich, die Jugendbuchautoren Gudrun Pausewang und Klaus Kordon, der Leiter des GRIPS Theaters Volker Ludwig, der Buchautor Ekkehard von Braunmühl, die Liedermacher Bettina Wegner und Gerhard Schöne, der Aktionskünstler Ben Wargin, der Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter, der Psychotherapeut Hans-Joachim Maaz, der Jurist – und Kommentator des Kinder- und Jugendhilfegesetzes! – Johannes Münder.. Es gibt auch Politiker, die uns unterstüt­zen, wie z.B. aus dem Bundestag den ehemaligen Jugendsenator von Berlin Thomas Krüger von der SPD, den Vorsitzenden der PDS-Bundestagsgruppe Gregor Gysi und den Bundesvorstandssprecher des Grün-Alternativen Jugendbündnisses Jens Augner. Oder den Landesschülersprecher von Berlin Jan Kellermann, den bekannten Jugendsozialforscher Klaus Hurrelmann und Institutionen wie das Deutsche Kinderhilfswerk oder den Bundesverband Aktion Humane Schule. Es stehen noch mehr auf dieser Liste, aber trotzdem wünschen wir uns, daß die Liste immer länger wird. Auf dieser Liste sollen auch völlig verschiedene Leute, die völlig verschiedene Sachen tun, die aus verschiedenen Schichten kommen, draufstehen. Wir haben Streetworker, Journalisten, Universitätsprofessoren, Psychologen, Kinderrechtler, Politiker, NLP-Practitioner, Künstler verschiedener Richtungen usw. Es soll heißen: Wir tun normalerweise alle die verschiedensten Sachen, aber haben alle ein Anliegen: Mehr Rechte für Kinder und Jugendliche!

Glaubt ihr nicht, daß Politker eure Aktion nur deshalb unterstützen, weil sie sich Stimmengewinne für ihre Partei versprechen?

Das kann schon sein. Wenn Kinder am Ende wirklich mitbestimmen können, haben wir da nichts dagegen.

Ab wann soll man wählen dürfen?

Dieser Prozeß ist keine Forderung für ein Wahlrecht ab einem bestimmten Alter. Hier sind vor knapp einem Jahr ganz persönlich zwei Menschen, damals 16 und 13 Jahre alt, vor das Verfassungsgericht gegangen und haben eine Beschwerde wegen Vorenthaltung des Wahlrechts eingereicht.

Die Forderung in unserer Kinderrechtsgruppe K.R.Ä.T.Z.Ä. ist das Wahlrecht ohne Altersbeschränkung. Das heißt: Jeder, der will, soll wählen dürfen. Genau wie es keine gesetzliche Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe, des Geschlechts, der Religion oder wegen Behinderungen gibt, sollte es auch keine aufgrund des Alters geben.

Demokratie bedeutet, daß keiner ausgegrenzt wird: Ein Mensch – eine Stimme. Im Gesetz ist deshalb die „Allgemeinheit“ der Wahlen festgeschrieben worden.

Im Grundgesetz steht doch “Wahlberechtigt ist, wer das 18. Lebensjahr vollendet hat”.

Im Grundgesetz steht aber auch “Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich” und vor allem “Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus”. Unser Rechtsanwalt Dr. Merk hat sich eine ganze Weile damit beschäftigt. “Volk” wird im Gesetz nämlich folgendermaßen definiert: “Die Gesamtheit der in der BRD seßhaften und sich zu ihr bekennenden deut­schen Staatsbürger”. Kinder gehören also auch zum Volk. Menschen dürfen von der Wahl nur aus „zwingenden Gründen“ ausgeschlossen werden. Und dieser zwingende Grund wurde bisher nur so formuliert, daß der Ausschluß der Kinder und Jugendlichen ”historisch erhärtet” sei. Praktisch ist das einzige Argument, das angeführt wird, um in Deutschland 16 Millionen Menschen vom Wahlrecht auszuschließen, der berühmte Satz ”Das war schon immer so”. Mit diesem “Argument” dürften Frauen auch heute noch nicht wählen.

Sollen dann auch Säuglinge an die Urne gehen? Das geht doch nicht.

Wir werden immer wieder, manchmal spöttisch, auf diesen Punkt angesprochen. Vermutlich werden die meisten kleinen Kinder, sagen wir so bis 4 oder 5 Jahre, nicht ihr Wahlrecht in Anspruch nehmen. Wir glauben aber, daß eine neue Altersgrenze bei 5 Jahren oder mit Beginn der Schulpflicht nicht prinzipiell begründet werden kann. Sie bleibt undemokratisch, auch wenn es manche Eltern geben wird, die mit irgendwelchen Tricks die Wahlstimme von ihrem Baby ausnutzen. Genauso wird auch jetzt bei alten Leuten hin und wieder von jemand anders das Kreuz gemacht – obwohl das streng verboten ist.

Wir finden, daß mit der Frage nach den Babies von unserer menschenrechtlichen Grundidee abgelenkt wird.

Worauf hat sich die Verfassungsbeschwerde im Einzelnen gerichtet?

Die Beschwerde richtete sich gegen den Art. 38(2) des Grundgesetzes. Es gab noch nie eine Verfassungsbe­schwerde, die sich gegen eine Norm in der Verfassung gerichtet hat. Wir sagen ja praktisch, daß der Artikel 38(2), in dem die Altersbegrenzung steht, verfassungswidrig ist, weil er gegen Artikel 20 verstößt: “Alle Staatsgewalt geht vom Volk aus”. Das wurde in der Beschwerde damit begründet, daß nur dieser Artikel 20 und Artikel 1 mit dem sogenannten “Ewigkeitswert” versehen sind, d.h. sie können auch nicht mit einer 2/3 Mehrheit im Bundestag und Bundesrat gestrichen oder verändert werden. Selbst der Bundespräsident Roman Herzog, der ja vorher Präsident des Verfassungsgerichts war, meinte, daß der Artikel 20 als höherrangig eingestuft werden könnte als Art. 38(2). Er nennt Art. 20 eine Staatsfundamentalnorm.

Warum wurde die Beschwerde nicht zur Verhandlung zugelassen?

Verfassungsbeschwerden gegen „ein Gesetz oder einen sonstigen Hoheitsakt“ müssen innerhalb eines Jahres nach Bekanntwerden der näheren Bestimmungen des Gesetzes eingereicht werden. Benjamin und Rainer hätten die Beschwerde also schon lange vor ihrer Geburt einreichen müssen. Daß das nicht geht, ist klar. Den Verfassungsrichtern ist das aber offenbar egal. Unser Rechtsanwalt bezweifelt die Richtigkeit dieser Entscheidung, da nach Artikel 19 § 4 des Grundgesetzes jedermann, der in seinen Rechten verletzt wird, der Rechtsweg offenstehen muß.

Inhaltlich wurde unserer Forderung aber nichts entgegengesetzt.

Was macht Ihr nun, um an Euer Wahlrecht zu kommen?

Es gibt zwei Wege, die wir diskutieren. Erstens klagen wir gegen die neue Berliner Verfassung, weil die erst seit Ende Oktober 1995 gültig ist und damit die Ein-Jahres-Frist noch nicht abgelaufen ist und gegen die niedersächsische Verfassung, weil die Änderung, mit der das Kommunalwahlrecht ab 16 beschlossen wurde, auch erst einige Monate alt ist. Oder zweitens: Einige Jugendliche, die bei der Bundestagswahl 1998 noch nicht 18 Jahre alt sind, beantragen die Aufnahme in die Wählerlisten. Das wird wegen deren Alter natürlich abgelehnt. Dagegen klagen wir dann wieder notfalls bis zum Bundesverfassungsgericht.

Sind Kinder nicht viel zu unreif zum Wählen?

Es geht beim Wählen nicht um Reife. Die meisten glauben, daß man zum Wählen befähigt sein muß. Es ist wichtig, sich klarzumachen, was Demokratie bedeutet: Wenn sich Menschen oder Parteien nicht einigen können, welche Meinung „richtig“ ist, wird abgestimmt. Es gibt keine Instanz, die über die Qualität der Argumente entscheiden könnte, außer dem jeweiligen einzelnen Menschen mit seinem persönlichem Gewissen, seinen persönlichen Werten, Wünschen, Ängsten und Sympathien. Deshalb entscheiden in der Demokratie nicht Qualitäten, sondern Mehrheiten – Stimmenzahlen. Jede Stimme hat dabei das gleiche Gewicht und es ist völlig egal, welche Argumente hinter der einzelnen Wahlentscheidung stehen.

Deshalb ist es undemokratisch – also verfassungswidrig – wenn Kindern das Wahlrecht mit Argumenten, die ihre Qualität und Qualifikation betreffen, vorenthalten wird.

Glaubt ihr, daß sich Jugendliche gut genug mit Politik auskennen, um zu wissen, was sie wählen?

Was heißt eigentlich „sich mit Politik auskennen“? Wählen heißt doch: Ich wähle jemanden, der meine Interessen am besten vertritt. Und der Stil der Politik würde sich bei einer Wahlrechtsänderung vermutlich ändern. Kinderwahlrecht heißt für die Erwachsenen nämlich umden­ken: Politiker müssen sich Mühe geben und Wahlprogramme und Wahlreden so schreiben, daß Kinder sie kapieren können.

Im Übrigen kennen sich viele Erwachsene überhaupt nicht mit Politik aus, ohne ihr Wahlrecht abgesprochen zu bekommen. Wer würde denn festlegen wollen, worauf es bei der politischen Urteilsfähigkeit ankommt? Selbst wenn es einen Test für politische Urteilsfähigkeit gäbe, würde er nicht zu starren Altersgrenzen führen.

Meint ihr nicht, daß Kinder viel zu leicht zu beeinflussen sind?

Alle Menschen beeinflussen sich ständig. Und in dem Sinn ist es wichtig, daß Kinder und alle anderen Menschen beeinflußbar sind, denn sonst wären Wahlen, oder zumindest Wahlkämpfe völlig überflüssig.

Natürlich besteht die Gefahr, daß man absichtlich falsch informiert wird. Auch alten Menschen, die vielleicht schon senil geworden sind, kann dies leicht passieren; deswegen wird ihnen aber nicht das Wahlrecht entzogen. Wahr­scheinlich sind Kinder sogar durchschnittlich in erhöhtem Maße beeinflußbar und leichter manipulierbar als erwach­sene Menschen. Das liegt u.a. auch daran, daß viele sich vorher nur sehr wenig politische Gedanken gemacht haben. Warum auch? Sie hatten ja bisher keinen Grund dazu, da sie sowieso nicht gefragt wurden.

Habt ihr nicht Angst, daß Kinder nicht wissen, was sie tun und die Bedeutung ihrer Entscheidungen nicht verstehen?

Zum einen meinen wir, daß diese Frage nicht nur wichtig ist, wenn es um das Wahlrecht für Menschen unter 18 geht. Wir bezweifeln, daß es nur eine Frage des Alters ist, ob Menschen die Tragweite ihrer Entscheidungen mitbedenken.

Zum anderen denken wir, daß diese Angst nicht dazu führen darf, Menschen vom Recht auf Mitbestimmung auszuschließen. Je früher es gerade für junge Menschen auch von Bedeutung ist, sich zu informieren, desto besser kann einer Gefahr von „Fehlentscheidungen“ vorgebeugt werden.

Wir glauben, daß niemand besser über die eigene Lebenssituation Bescheid wissen kann, als man selbst. Dies trifft auch für Kinder und Jugendliche zu.

Glaubt ihr nicht, daß radikale Parteien vom Kinderwahlrecht profitieren werden?

Die radikale Denkweise einiger Jugendlicher kommt zum Teil auch daher, daß sie ausgegrenzt werden und sich mißverstanden fühlen.

Der Stimmenanteil der Menschen unter 18 Jahren liegt etwa bei 20 % aller Wahlberechtigten. Von diesen wird nur ein kleiner Teil den radikalen Parteien seine Stimme geben. Die Gefahr wird von uns gering eingeschätzt. Abgesehen davon halten wir es für höchst undemokratisch, über die Wahlordnung das Wahlergebnis zu manipu­lieren.

Meint ihr nicht, daß das Wahlrecht Kinder überfordert und ihnen zuviel Verantwortung aufbürdet?

Erstmal muß ja keiner wählen, es geht um das Recht zu wählen und nicht um eine Pflicht. Außerdem muß man überlegen, ob der gelegentliche Druck auf Kinder, der durch Wahlen und Wahlkampf entsteht, schädlicher ist, als die Teilnahmslosigkeit und Ohnmacht, die dadurch hervorgerufen wird, daß Kinder nicht wirklich an Entscheidungen beteiligt werden.

Wir berufen uns auch auf viele neue wissenschaftlich bestätigte Erkenntnisse aus der Entwicklungspsychologie und der Jugendforschung, die bei der Verabschiedung des Grundgesetzes noch nicht vorlagen. Nach deren Aussage wollen Kinder ernstgenommen werden und Verantwortung übernehmen können.

Menschen unter 18 haben doch auch weniger Pflichten als Erwachsene, wieso sollten sie dann mehr Rechte bekommen?

Grundrechte stehen allen Menschen zu, ohne daß sie dafür etwas leisten müssen. Und in einer Demokratie ist das Wahlrecht ein herausragendes Grundrecht. Jeder hat es – unabhängig davon, ob er dumm, alkoholabhängig, verrückt, drogensüchtig oder sonstwas ist, egal ob er sich für Politik interessiert und ob er weiß, zu welcher Partei z.B. Helmut Kohl gehört. Nur Kindern wird dieses wichtige Recht vorenthalten.

Abgesehen davon haben die Unter-18-jährigen sowieso Pflichten, sogar zusätzliche: die Pflicht, ohne Lohn hart zu arbeiten – auch Schulpflicht genannt – ab 6 Jahren, Kinder haben die Pflicht, das elterliche Züchtigungsrecht zu ertragen, sie müssen sich an alle Gesetze halten, obwohl sie nie mit darüber abstimmen durften, ob sie diese Gesetze überhaupt wollen, mit 14 kann man sogar ins Gefängnis kommen, mit 18 kommt dann die Wehrpflicht – bis dahin durfte man nie eine Partei wählen, die diese Wehrpflicht vielleicht abschaffen würde. Die Folgen eines Krieges müßten die Kinder mindestens genauso ausbaden wie Erwachsene.

Das Wahlrecht ist ein Menschenrecht, das man völlig unabhängig von Pflichten hat.

Was haltet ihr vom Wahlrecht ab 16?

Uns geht es um grundsätzliche Überlegungen. Wir halten es für nicht rechtens, daß das Alter eines Menschen entscheidet, ob er mitbestimmen darf. Einerseits freut uns die Herabsetzung, weil dadurch das Thema Wahlrecht öffentlich diskutiert wird. Die Argumentation, die dazu geführt wird, ist jedoch unlogisch und könnte genausogut für das Alter von z.B. 12 oder 15 Jahren geführt werden.

Uns geht es eigentlich um die Frage, inwieweit die in der Verfassung festgelegte Altersgrenze gegen Menschen­recht verstößt.

Seid ihr auch für die Wählbarkeit von Jugendlichen?

Ja. Wir können uns auch vorstellen, daß es Jugendliche gibt, die Politik aktiv mitgestalten können und wollen, um auf diese Weise etwas zu verändern. Die Wählbarkeit könnte mit weniger Bedenken eingeführt werden. Die Gefahr, daß ein politik-unfähiges Kind gewählt werden würde, ist sehr gering. Die Wähler würden sojemandem schließlich nicht ihre Stimme geben.

Könntet ihr euch vorstellen, eine eigene Partei zu gründen, wenn es mal soweit kommen sollte?

Man müßte dann darüber nachdenken, wenn es soweit ist. Es gibt bestimmt junge Menschen, die sogar Parteien gründen würden. Vermutlich entstehen verschiedene Parteien, und vielleicht sind wir bei einer davon mit von der Partie. Aber vielleicht ändert sich bei einer solch fundamentalen Wahlrechtsänderung sowieso soviel, daß wir über ganz neue Wege nachdenken können, wie wir die Gesellschaft verändern.

Wie seid ihr auf das Thema Wahlrecht gekommen?

Seit drei Jahren sind wir K.R.Ä.T.Z.Ä. als Gruppe zusammen und haben schon verschiedene Aktionen gemacht und Materialien herausgegeben. Zum Beispiel das Plakat „Was wir an der Schule falsch finden“, die Kinderrechtsfibel „KinderRÄCHTzwiebel“ oder das Wahlprogramm der Moskitos in dem GRIPS Theaterstück „Die Moskitos sind da!“. Immer ging es um grundsätzliche Rechte für Kinder. Überall müssen wir die Erfahrung machen, daß wir wenig Möglichkeiten haben, mitbestimmen zu können. Außerdem waren wir bei allen möglichen Veranstaltungen wie Kindergipfel oder -parlamenten. Gerade diese Veranstaltungen waren oft Alibi für irgendwelche Politiker, wirkliche Veränderungen oder tatsächliches Mitspracherecht gab es nicht. Die Schule z.B. können wir nicht durch ein Plakat, durch Schülervertretung oder sogar durch Kinderparlamente ändern, sondern nur, wenn wir wirklich mit darüber abstimmen können.

Glaubt ihr denn, daß sich durch das Kinderwahlrecht viel verbessern wird?

Das ist uns eigentlich die wichtigste Frage, weil das Kinderwahlrecht unserer Meinung nach viele positive Auswir­kungen hat. Da wäre das Selbstbewußtsein der Menschen unter 18, das natürlich steigen würde. Viele Erwachsene würden junge Menschen mit ganz anderen Augen sehen. Plötzlich haben die Ansichten der Kinder einen viel höheren Wert. Vor allem die Folgen der jetzigen politischen Entscheidungen, die erst in vielen Jahren wirksam werden, würden mehr beachtet werden. Eigenschaften, die mit dem Alter eher nachlassen, würden durch die von uns angestrebte Änderung des Wahlrechts eine größere Rolle spielen: Neugierde, Offenheit, Gerechtigskeitssinn, Phantasie, Zärtlichkeit, Lebensfreude, Creativität, Verletzbarkeit… Durch das Ernstnehmen der Forderungen von Kindern und Jugendlichen, was das Wahlrecht ja darstellt, würden sich auch erwachsene Wähler beeinflussen lassen. Die Mitbestimmung junger Menschen ist nach unserer Überzeugung eine Bereicherung für jede Gesellschaft.

 

 

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