„… von Frauen wie mir bedroht fühlen …“ Aus einem Brief

Meiner Meinung nach sind die Unterschiede im Gefühlsleben von Frau und Mann in erster Linie gesellschaftlich und entwicklungsgeschichtlich bedingt, nicht aber biologisch. Und erst wenn diese Unterschiede auf ein Minimum herabgesetzt sein werden, ist eine wirklich glückliche Verbindung zweier Menschen möglich und darauf aufbauend eine einigermaßen menschenwürdige Gesellschaftsordnung. Wenn die Frau finanziell vom Mann unabhängig ist, wenn ihr die Empfängnisverhütung gestattet ist (auch als letztes Mittel die Abtreibung), erst dann kann sie auch frei sexuell empfinden.

Falsche Einstellung zu Sexualität und Egoismus haben den Mann zwei Sorten von Frau erfinden lassen – die brave Ehefrau und Mutter seiner Kinder auf der einen, die Prostituierte auf der anderen Seite. Beide Frauensorten gibt es in Wahrheit überhaupt nicht. Der Mann sollte endlich begreifen, daß auch er nur wirklich glücklich werden kann, wenn er mit vollem Bewußtsein der Emanzipation der Frau nicht mehr im Weg steht. Denn nur eine wirklich gleichberechtigte Frau kann wirklich glücklich sein und somit die Männer auch wirklich glücklich machen.

Und ich kann aus eigenem Erleben sagen, daß eine Frau, die sich nicht den Normen der Gesellschaft beugt, auch anders empfindet als die ,,typische schwächliche“ Frau. Mich reizen junge, gutaussehende, gutgekleidete, gepflegte Männer durchaus schon im Vorübergehen sexuell. Und ich denke, wenn ich einen Mann sehe, zuerst meistens daran, ob ich mit ihm schlafen könnte oder nicht. Ebenso wünsche ich mir durchaus auch perverse Sexualpraktiken. Geborgenheit habe ich noch nie bei Männern gesucht. Mit meinen Ansichten schockiere ich andere oft, egal ob Männer oder Frauen. Sie fühlen sich in ihre Rollen so eingepreßt, daß sie gar nicht da heraus können.

Glücklich bin ich nicht, da die Männer sich von Frauen wie mir im Unterbewußtsein irgendwie bedroht fühlen und dann eine Ablehnung ihrerseits zum Vorschein kommt. Nach anfänglichem neugierigen Interesse reagieren sie oft mit Impotenz oder mit schnellem Verschwinden.

Marion Krieg, Dresden

 

aus ICH 1/ 91