Über „Die neuen Grenzen des Wachstums“.

Rezension eines Buches von Donella und Dennis Meadows und Jorgen Randers, das Mögliches und Unmögliches beim Gestalten einer globalen Zukunft benennt.

von Andreas Peglau

„Von diesem Buch können wir alle lernen“, schreibt der Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften, Jan Tinbergen, im Vorwort. Was können wir lernen?

,,Die Menschheit hat ihre Grenzen überzogen; unsere gegenwärtige Art zu handeln läßt sich nicht mehr lange durchhalten. Eine lebenswerte Zukunft muß zu einer Epoche des Rückzugs werden, in der man die Aktivitäten zurückfährt und die entstandenen Schäden ausheilen läßt.“ 

Dieses Resümee stammt von Menschen, die sich selbst so beschreiben:

,,… wir sind weder technik-feindlich noch gegen den freien Markt. Wir sind technisch ausgebildet und in mancher Hinsicht sogar Technik-Freaks … Zwei Mitglieder unseres Teams haben an einer namhaften Universität in Betriebs- und Volkswirtschaft promoviert. Einer war selbst Präsident einer solchen Institution und ist gegenwärtig Manager eines Unternehmens.“

Im Mittelpunkt ihrer Untersuchungsmethoden steht daher auch ein Computermodell: World 3. Vor über zwanzig Jahren konstruiert, um Tendenzen der Weltentwicklung für einen Bericht an den ,,Club of Rom“ zu berechnen (dieser Bericht wurde 1972 zu dem Weltbestseller ,,Die Grenzen des Wachstums“), haben die Autoren vor drei Jahren mit seiner Hilfe erneut Bilanz gezogen.

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Donella Meadows/Dennis Meadows/Jorgen Randers (1992): Die neuen Grenzen des Wachstums, DVA.

Dabei mußten sie feststellen, daß sich die Breite theoretisch möglicher Lösungen globaler Probleme durch unsere fortgesetzten Sünden auf diesem Gebiet erheblich eingeschränkt hat. Eine ,,nachhaltige Gesellschaft“ – das heißt, eine Gesellschaft, die so ausgewogen funktioniert, daß sie dauerhaft existenzfähig wäre – läßt sich nicht mehr in der Qualität erreichen, wie sie noch vor zwei Jahrzehnten denkbar gewesen wäre. Aber es sind noch Wege offen. Welche? Gegenfrage: Welche nicht? Was sind die Sackgassen? Die Autoren haben alle verfügbaren Daten, Statistiken, wissenschaftliche und wirtschaftliche Theorien herangezogen, um unterschiedliche ,,Probeläufe“ für unsere Zukunft im Computer entstehen zu lassen.

– Szenario 1: Gehen alle aktuellen Trends weiter wie bisher, beginnt der globale Zusammenbruch in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts. Die allermeisten materiellen Quellen, aus denen wir unsere gegenwärtige Lebensweise speisen, werden dann erschöpft sein. Zum Beispiel Wasser:

,,Global gibt es zwar Wasser im Überfluß, doch wegen der regional wirksamen Begrenzungen und der Wasserverschmutzung ist allenfalls noch eine Verdopplung des Wasserverbrauchs möglich, die in 20 Jahren erreicht sein wird. Selbst wenn es möglich wäre, alle Verschmutzungen zu vermeiden, jeden Wassertropfen zu speichern, entweder das Wasser zu den Menschen zu bringen oder die Menschen zu den Wasservorkommen zu bringen, ja selbst wenn man alle 40 000 Kubikkilometer des jährlichen Süßwasser-Durchflusses irgendwie für die Menschen verfügbar machen könnte – auch dann gäbe es nur für drei bis vier Verdopplungen des Wasserverbrauchs ausreichend Wasser. Und diese Absolut-Grenze wäre beim gegenwärtigen Bevölkerungs- und Kapitalwachstum schon in einem Jahrhundert erreicht.“

Bei Anhalten gegenwärtiger Abholzungstrends gibt es in 30 Jahren keine Urwälder mehr, die Erdgasreserven wären selbst dann spätestens Mitte des nächsten Jahrhunderts verbraucht, wenn viermal so große Vorräte vorhanden wären, wie heute bekannt sind. ,,Umweltlasten und Mangel an natürlichen Ressourcen lassen (dann) nicht mehr zu, daß der Kapitalsektor die notwendigen Investitionen vornimmt … auch die Nahrungsmittelversorgung und die Gesundheitsdienste geraten in den Zustand des Verfalls. Die Lebenserwartung nimmt ab, die Zahl der Sterbefälle steigt.“

Das läßt sich wohl auch so verstehen: Die Konsumgesellschaft ist so oder so ein Auslaufmodell. Das werden auch die meisten der heute materiell besser gestellten Menschen in absehbarer Zeit spüren. Machen wir weiter wie bisher, wird dem Verbraucherparadies durch einen katastrophalen wirtschaftlichen Zusammenbruch ein Ende gesetzt. Wollen wir diese Katastrophe vermeiden, müssen wir uns freiwillig und rechtzeitig einschränken: Auch das wäre das Ende bestehender Gesellschaftsstrukturen.

– Szenario 2: Verdoppelt man – im Computermodell – die Vorräte an natürlichen Ressourcen, passiert letztlich das gleiche, nur etwas später: ,,Die Industrie kann rund zwei Jahrzehnte weiter wachsen … Aber es entstehen auch sehr viel größere Mengen an Umweltschmutz und Schadstoffen. Das reduziert den landwirtschaftlichen Ertrag und zwingt zu immer größeren Investitionen im landwirtschaftlichen Sektor. Schließlich werden die Nahrungsmittel knapp und führen zu steigenden Sterberaten.“

– Szenario 3: Zusätzlich zu den als verdoppelt angenommenen Reserven werden wirkungsvolle technologische Maßnahmen angenommen, die die Umweltverschmutzung um jährlich 3 Prozent senken. „Dennoch steigt die Umweltverschmutzung so an, daß eine landwirtschaftliche Krisensituation entsteht. Sie bindet so viel Kapital, daß die Industrieproduktion abnimmt, die Wirtschaft in Verfall gerät und der Kollaps einsetzt“, gleichfalls noch vor Mitte nächsten Jahrhunderts.

– Szenario 4: „Wenn zur Technologie zur Bekämpfung der Umweltverschmutzung zusätzlich weitere technologische Maßnahmen hinzukommen welche die Ernteerträge beträchtlich steigern, führt dies zur Degradierung der Böden. Die Landwirte erzeugen immer mehr Nahrungsmittel von immer geringeren Landflächen, die erfordert immer mehr Kapital und überfordert den Kapitalsektor“: Kollaps in etwa 30 Jahren.

– Szenarios 5, 6, 7: Es werden immer günstigere Ausgangssituationen angenommen: ,,Die Menschheit handelt vorausschauend, ist technisch effizient und genügsam. Sie bemüht sich um die Lösung ihrer Probleme, ehe weltweite Krisen sie dazu zwingen. Es gelingt ihr, eine wachsende Bevölkerung durch das ganze 21.Jahrhundert auf einem anständigen Lebensstandard zu halten. Der geht allerdings in der zweiten Hälfte des kommenden Jahrhunderts allmählich zurück. Die Grenzen der Umwelt werden auch durch den bescheidenen Materialverbrauch überlastet. Die zunehmenden Kosten, die notwendig sind, sich über den Grenzwerten zu halten, beendigen und senken dann das Wirtschaftswachstum“: Kollaps Ende des 21.Jahrhunderts.

Also selbst bei solchen positiven Annahmen ist das Ende der Menschheit in naher Zukunft programmiert? Ist dieses Computermodell vielleicht einfach zu pessimistisch angelegt?

Eher im Gegenteil:

,,In World 3 wird nicht zwischen armen und reichen Gebieten der Erde unterschieden. Im Modell wirkt ein perfekt reagierenderMarkt. Die Technologien funktionieren reibungslos und wirksam, ohne überraschende Nebenwirkungen … Weiterhin gibt es in World 3 keine Streitkräfte, die ebenfalls Kapital und Ressourcen von der Wirtschaft abziehen. Es finden keine Kriege statt, die Menschen töten, Kapital und Landstriche zerstören und Umweltverschmutzung hinterlassen. Es gibt keine Aufstände, keine Streiks, keine Korruption, keine Überschwemmungskatastrophen, die Erde bebt nicht, und Vulkanausbrüche sind unbekannt. Auch Tschernobvl und Aids sind nicht vorgesehen. In dieser Hinsicht ist World 3 geradezu fahrlässig optimistisch. Es könnte sehr wohl nur die günstigsten Möglichkeiten darstellen, die es ‚in der Realität‘ gibt.“

Also doch: Alles zu spät! Nicht unbedingt. Zunächst bleibt jedoch festzuhalten: Alles weitere Expandieren auch einer noch so ökologisch orientierten Industrie verzögert bestenfalls das Ende um eine Generation. Es gibt keine Chance, durch mehr Leistung, durch tolle neue Erfindungen, durch bloße Umweltschutzmaßnahmen, durch irgendein ,,noch besser, noch effektiver, noch schneller“ etwas daran zu ändern. Was dann?

,,Umstrukturierung des Systems“

Es sind unter all den Faktoren, die die Entwicklung unseres Daseins so heftig ihrem Ende zutreiben, nur zwei, die sich nahezu automatisch selbst aufschaukeln: Die Vermehrung der Bevölkerung und die Vermehrung des Industriekapitals. Jedes neue Menschenpaar setzt im Durchschnitt wieder mehr als zwei neue Menschen in die Welt. Eine neue Stahlhütte kann den Stahl zum Aufbau einer weiteren Stahlhütte liefern. Diese beiden Prozesse verlaufen gegenwärtig in steilen exponentiellen Kurven und treiben damit andere, von ihnen abhängige Prozesse, ebenfalls zum exponentiellen Wachstum:

„Es gibt keine Rückkopplungen, die bewirken könnten, daß ins Grundwasser gelangte Pestizide noch mehr Pestizide erzeugen. In Kohleflözen unter Tage wird keine neue Kohle ausgebrütet, und die Förderung von Kohle fördert die Kohleförderung nicht. Wenn man zwei Millionen Tonnen Weizen erntet, wird es dadurch nicht automatisch einfacher, demnächst vier Millionen Tonnen einzufahren. Im Gegenteil … Die Nahrungsmittelproduktion und der Rohstoff-Abbau nehmen also nur deshalb exponentiell zu, weil eine exponentiell wachsende Bevölkerung auch exponentiell mehr Nahrung und Materialmengen braucht … Auch die Umweltverschmutzung und die Entstehung von Müll werden zum Wachstum angetrieben, weil steigende Durchsatzmengen von Materialien und Energie eben zu entsprechenden Mengen von Abfällen führen.“

Die zwei entscheidenden Voraussetzungen für den langfristigen Erhalt der Menschen sind also: Eindämmung des Bevölkerungswachstums und Zurückfahren der Industrieproduktion – dieses allerdings bei gleichzeitiger Ausnutzung aller verfügbaren Erkenntnisse über Erhöhung von Nutzungsgraden, Energieeinsparung, Umweltschutz, über Zusammenhänge von Biologie, Physik, Technologie, Psychologie, Chemie, Ökonomie, Geologie, Soziologie. Ein ,,Zurück auf die Bäume“ kann uns nicht helfen. Wir werden alle Erfahrungen unserer zwei Millionen Jahre langen Geschichte brauchen – und sicherlich auch manche unserer tierischen und pflanzlichen Vorgänger und Mitbewohner – um zu überleben und umzugestalten.

Aber müssen dann alle so leben, wie heute nur die Ärmsten der Armen? Totale Beschränkung? Was soll das werden für eine Gesellschaft ohne wirtschafts- und sonstiges Wachstum? Trostlose Stagnation? Wir werden auch unser Denken umgestalten müssen, zum Beispiel um den Unterschied von Wachstum und Entwicklung bereichern:

,,Wachsen bedeutet, daß eine Größe materiell zunimmt. Entwickeln aber bezeichnet eine qualitative Änderung. Wenn etwas wächst, wird es quantitativ größer, wenn es sich entwickelt, wird es qualitativ besser – oder zumindest andersartig. Quantitatives Wachstum und qualitative Änderung erliegen unterschiedlichen Gesetzen. Unser Planet entwickelt sich insgesamt ohne Wachstum, seine Masse nimmt dabei nicht zu. Unsere Wirtschaft, die nur ein Untersystem der begrenzten und nicht wachsenden Erde darstellt, muß wohl über kurz oder lang eine gleichartige Entwicklungsform annehmen …

Dies deutet darauf hin, daß es zwar materielle Grenzen des Wachstums gibt, aber nicht notwendigerweise auch Grenzen der Entwicklung.“

Und – nicht zu vergessen – materielle Beschränkung sind nicht automatisch gleichzusetzen mit Unglücklichsein:

,,Menschen brauchen weder riesige Autos noch klotzige Garderobenschränke – sondern Respekt und das Gefühl, attraktiv zu wirken, nicht nur äußerlich. Sie brauchen Anregung und Abwechslung. Sie benötigen auch nicht ständige elektronische Unterhaltung, sondern das Gefühl, etwas Wichtiges mit ihrem Leben anfangen zu können. Menschen brauchen Identität, Gemeinschaft, Anreize und Anerkennung, auch Liebe und Spaß. Wenn man solche Bedürfnisse mit materiellen Dingen zu befriedigen sucht, führt das zu einem unstillbaren Hunger nach Scheinlösungen für reale Probleme. Die dadurch entstehende Leere ist eine der Triebkräfte für materielles Wachstum.

Eine Gesellschaft jedoch, die fähig ist, ihre nicht-materiellen Bedürfnisse zu artikulieren und sie zu befriedigen, hat auch geringeren Bedarf an Durchsatzmengen und kann einen höheren Grad menschlicher Befriedigung und Erfüllung geben.“

Ein weiteres Computerszenario gibt Auskunft, auf welcher Grundlage sich eine solche globale Gesellschaft entwickeln könnte:

,,Im Szenario 10 haben wir eine Modellwelt vor uns, in der ab 1995 zwei Kinder pro Familie erwünscht sind und dieses Ziel auch erreicht wird, weil man über eine perfekte Geburtenkontrolle verfügt Die Modellwelt beschränkt die Industrieproduktion pro Kopf auf 350 Dollar jährlich. Zusätzlich setzt sie aber auch ab 1995 neuartige Technologien ein, mit denen sie die Wirksamkeit der Rohstoffnutzung erhöht und die Emissionen pro Produkteinheit senkt. Die Erosion landwirtschaftlicher Flächen wird beschränkt und der Ertrag gesteigert, bis die Nahrungsmenge pro Kopf die gewünschte Höhe erreicht … Die Bevölkerungszahl pegelt sich bei knapp acht Milliarden ein … Nach (dem Jahre) 2010 beträgt die normale Lebenserwartung etwas über 80 Jahre. Die Dienstleistungen pro Kopf erreichen einen Stand, der um 55 Prozent über dem des Jahres 1990 liegt. Es gibt genug Nahrung für jedermann. Die zunächst steigende Umweltverschmutzung geht wieder zurück, ehe irreversible Schäden entstehen konnten. Die Nutzung sich erschöpfender Rohstoffe schreitet so langsam voran, daß im simulierten Jahr 2100 noch immer die Hälfte der 1990 vorhandenen Menge im Boden ruht.“

Aber wir haben längst 1995. Von geeigneten Gegenmaßnahmen ganz zu schweigen – nicht einmal die Erkenntnis, daß die Menschheit ihre Grenzen bereits überzogen hat, hat sich allgemein durchgesetzt. Individuell werden solche Erkenntnisse vorwiegend entweder ignoriert oder als nicht wirklich beweisbar abgetan. Auf der politischen Bühne führt das Thema allenfalls zu erbitterten Schuldzuweisungen:

,,Wer sind die Übeltäter? Die Durchsatzmengen pro Kopf der Reichen sind höher als die der Armen. Veraltete und ineffiziente Produktionsstätten in Osteuropa brauchen mehr Stahl pro Produkteinheit als supermoderne Werke im modernen Japan. Ein Schweizer Bürger verbraucht vierzigmal mehr Resourcen als einer in Somalia. Soviel wie ein Eidgenosse verbraucht aber auch ein Russe; dennoch wird ihm dafür nur ein jämmerlicher Lebensstandard geboten. Die Grenzen werden im globalen Maßstab überschritten – doch wer soll etwas dagegen tun? Die im Wohlstand prassenden Reichen mit wenigen Kindern oder die Armen, die sich ständig vermehren? Oder die einstigen Sozialisten mit ihrer verlotterten Wirtschaft?…

Soweit es den Planeten als Ganzes betrifft, sind alle gefordert. Schuldzuweisungen sind sinnlos … Jede Gesellschaft (sollte) Verbesserungen auf dem Gebiet vornehmen, für die sie die besten Möglichkeiten besitzt Der Süden kann am meisten zur Senkung der Bevölkerungszahl beitragen, der Westen kann beim Pro-Kopf-Verbrauch reduzieren, und im Osten sind technologische Verbesserungen am wirksamsten.“

Und jeder Einzelne, jede Einzelne kann etwas tun. Dazu ist es nicht notwendig – und auch nicht ausreichend – an Computermodellen kleben zu bleiben. Damit wollen es auch Donella Meadows, Dennis Meadows und Jorgen Randers nicht bewenden lassen. Die Auswertung ihrer World 3-Simulationen beenden sie so:

,,Die Notwendigkeit, die gegenwärtige industrielle Welt des Wachstums auf die nächste Stufe ihrer Evolution zu heben, ist kein Unglück, sondern eine Chance. Wie man diese Chance ergreifen kann und wie man eine nachhaltige Gesellschaft zustande bringt, die nicht nur funktioniert, sondern auch Erfüllung gibt, ist eine Frage der Fähigkeit zur Führung, der Ethik, der Visionen und des Muts. Also Eigenschaften nicht von Computermodellen, sondern von Menschen mit Leib und Seele.“

 

 

Leicht gekürzt. Frühere Veröffentlichungen finden sich in ICH – die Psychozeitung 2/1995 sowie in „Weltall, Erde …ICH“ bzw. www.weltall-erde-ich.de.