Ich kann nicht mehr warten, bis du mich verstehst

von Tanja Braumann

Diesen Artikel mußte ich schreiben.

Es gibt zwar inzwischen relativ viele Bücher von Frauen zu diesem Thema, aber es war ein Schritt auf diesem Weg, mich davon zu lösen und meine Erfahrungen zu ihrem Wissen in Beziehung zu setzen.

Ich habe zu lange zu viele Kränkungen ertragen. Oder ich habe unangemessen, also hysterisch reagiert, weil ich – besonders im Moment der emotionalen Betroffenheit – nicht kurz, klar und sachlich erklären konnte, warum mich manches Wort und manches Bild so trifft und einen regelrechten „Gefühlsstau“ losbrechen läßt.

Ich versuche es also in Nachdenklichkeit und Ruhe und mit angemessenen Emotionen.

Ja – auch ich wurde „erzogen“, frustriert und psychisch deformiert. Aber als Mädchen und Frau war und bin ich überdies ganz eigenen Behinderungen ausgesetzt. Davon will ich schreiben. 

Für meine Mutter war ich nie gut genug. Immer war mein Bruder der Maßstab, an dem ich gemessen wurde. Er war sauberer, netter, intelligenter und also liebenswerter.

Natürlich wollte ich auch sauber, nett und intelligent sein, damit meine Mutter mich liebhaben konnte (kein Gedanke davon, daß ich um meiner selbst geliebt werden könnte, einfach, weil ich lebendig und da bin). Doch so sehr ich mich bemühte, es ist mir nie gelungen; bis heute nicht, denn obwohl sie seit 17 Jahren tot ist, ringe ich darum, geliebt zu werden, indem ich Anforderungen gerecht werde.

Sie war die ständige Forderung an mich, anders zu sein. Zufällige Familienkonstellation oder typische Mutter-Tochter-Frauen-Identitätslehre?

Männer verstehen sich als das Eine, das Ursprüngliche und Frauen als das Andere, das vom Ursprünglichen abweichende, abgeleitete.

,,Und Gott der Herr machte den Menschen aus einem Erdenkloß, und er blies ihm einen lebendigen Odem in die Nase. Und so ward der Mensch eine lebendige Seele. Und Gott der Herr sprach: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei; ich will ihm eine Gehilfin machen, die um ihn sei.

Und Gott der Herr baute ein Weib aus der Rippe, die er vom Menschen nahm, und brachte sie zu ihm. Da sprach der Mensch: Das ist doch Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch; man wird sie Männin heißen, darum daß sie vom Manne gekommen ist.“ (1)

Inzwischen dürfen wir zwar auch Mensch heißen, aber es ist klar, wem dieser Name ursprünglich gehört, nach wessen Bild, von wem und zu welchem Zweck (!) wir hergestellt wurden.

Zu jeder Zeit sind wir so definiert worden: ,,Das Weib ist Weib durch das Fehlen gewisser Eigenschaften“ meinte Aristoteles und: ,,Wir müssen das Wesen der Frau als etwas betrachten, was an einer natürlichen Unvollkommenheit leidet.“ Und Benda schrieb: ,,Der Körper des Mannes hat Sinn durch sich selbst, auch wenn er von dem der Frau absieht, während dieser letztere keinen Sinn aufweist, sofern man nicht an den Körper des Mannes dabei denkt … Der Mann denkt sich ohne die Frau. Sie denkt sich nicht ohne den Mann.“ (2)

Wir sind also nicht zwei unterschiedliche, sich ergänzende Hälften eines Ganzen, des Menschen, sondern – geformt nach dem Bilde des Mannes und des Herrn – einfach nicht mehr passend, uns bei dem Versuch, zusammenzukommen immer wieder reibend, aufreibend im Kampf der Geschlechter.

Der Mann ist das Bild des Menschen, die Frau sein Spiegelbild, geschaffen zu seiner Unterhaltung.

Woher wußte meine Mutter das? Natürlich aus dem Konfirmationsunterricht (da hatte sie ihre einzige Eins im Volksschulzeugnis). Und sie wußte es von ihrer Mutter, einer pommerschen Hausfrau, die ihr Leben lang das größte Stück Fleisch dem Manne auf den Tel1er legte, dem Ernährer – obwohl sie auch arbeitete – dem, der den Tagesablauf bestimmte, den Lebenslauf, die Werte des Alltags, obwohl er längst nicht mehr allein den Gegenwert, das Geld, nach Hause brachte. Aber es war sein Ebenbild, das zu Wahlzeiten an den Plakatwänden und täglich in den öffentlichen Räumen und Büros hing, das aus den Zeitungen zu ihr sprach, das die Gesetze machte und über Krieg und Frieden, Tod und Leben entschied. Und sie hatte tausend andere tägliche Informationsquellen, die ihr mitteilten, welche Rolle, welchen Wert, welchen Platz sie hatte.

Weil ich Tochter und Frau bin, habe ich gegen zwei Drachen zu kämpfen: meine Mutter und die patriarchale Welt. Das Komplizierte daran ist – den Mutterdrachen kann ich nur als kleines Mädchen besiegen (das heißt: den bösen Zauber von ihm nehmen), den anderen nur als reife Frau.

Als ich einen Sohn bekam, war ich froh. Jungen waren immer noch die vollkommenere Leistung. Außerdem war ich ihm gegenüber nicht so voreingenommen. Er konnte alles sein und werden – für all seine Vorlieben hatte ich das Interesse einer aufmerksamen Beobachterin. All seine Talente wurden von mir bewundert.

Eine Tochter dagegen ist wie ein Spiegel. Die Mutter weiß genau, was ihr blüht. Sie weiß, was das Mädchen sich wünscht, denn auch sie war einmal ein Mädchen. Und sie weiß, was von ihren Wünschen blieb, als sie erwachsen wurde und lernte, ihre Rolle zu spielen. Mädchen werden geboren mit der Zukunft Mütter zu sein, Babies zu umsorgen, eigene Bedürfnisse zurückzustellen, um die Bedürfnisse des Kleinen zu erahnen und zu stillen.

Soweit ist das auch ganz in Ordnung, nur, daß diese Fähigkeit durch die soziale Lage der Frauen auch von Männern mißbraucht wird. Die sind durch ihre Entfremdung zu existentiell hilfsbedürftigen Wesen regrediert und brauchen lebenslängliche Bemutterung (was übrigens auch garantiert liebestötende Wirkung hat). Das haben wir in der historisch kurzen Zeit, die wir selbst arbeiten und sozial selbständig sein können, nicht aus unserer Rolle gestrichen. Unsere Antennen stehen ständig auf Empfang, kaum Gelegenheit, selbst mal zu senden, eigene Bedürfnisse zu artikulieren. Wir lernen früh, daß wir die eben zurück zuhalten haben.

Wenn ich als Kind laut in der Wohnung herumgeträllert habe, kam meine Muttei mit dem Spruch: ,,Mädchen, die singer und Hähnen, die kräh’n, wird man beizeiten die Hälse abdreh’n.“ Kam ich als zufriedener Dreckspatz vom Spielen, schimpfte sie, daß ich mich wie ein Junge benähme. Wollte ich Hosen anziehen, bekniete sie mich mit einem Kleid aus irgendeinem ,,schönen“, empfindlichen Stoff, in dem ich mich beengt fühlte und mich nicht mehr frei bewegen konnte.

Sie mußte einfach versuchen, mir die selben Grenzen zu setzen, in denen sie gefangen worden war – und sei es nur, um mich davor zu schützen, eine ,,schlechte“ Frau zu werden. Vor allem aber konnte sie nicht ertragen, daß ich mir erlaubte, was ihr früh und heftig verboten worden war, denn sie hatte diese Bedürfnisse tief in ihr Unterbewußtsein verbannt und einen Deckel aus lauter Verhaltensregeln über ihre Büchse der Pandora gelegt. Und das sollte auch ich lernen.

Ganz eifersüchtig wachte sie über meine Sexualität. Sie malte mir ein Schicksal in den schwärzesten Farben, ,,wenn ich so weiter mache“ – das hieß, mich ,,mit Jungs rumtreibe“. Einmal, als ich zwölf oder dreizehn war, kam sie unerwartet nach Hause, als ich mit einem Jungen im fast schon dunklen Zimmer saß. Wir hatten uns unterhalten und dabei das erotisch Prickelnde des Dunkelwerdens genossen. Sie ging auf uns los, als hätten wir gerade eine pornografische Orgie veranstaltet. Klaftertief hat sich mir das Wort „vogelfrei“ eingegraben, das meine Großmutter später für mich nach einem ähnlichen ,,Vorfall“ fand. Kein Wunder, daß ich Angst vorm Fliegen und vor der Freiheit bekam.

In einem guten Augenblick hatte mir meine Mutter mal erzählt, daß sie als junges Mädchen abends nie ` raus durfte. Als sie etwa sechzehn war, erlaubte ihre Mutter ihr, für eine halbe Stunde zum Treffpunkt ihrer Freundinnen an eine nahegelegene Brücke zu gehen. Ich weiß noch, daß ich den Schmerz, den sie nicht direkt in Worte kleidete, aber doch irgendwie ausdrückte, empfand. Kein Wunder, daß auch ich mir alles verkneifen sollte, wenn sie so furchtbar gelitten hatte unter ihrer verbotenen Sexualität. Also sprach sie später nie mehr darüber – und wenn, dann abwertend und obszön.

Ich habe meine Eltern als Kind nie nackt gesehn – ein deutliches Signal, daß ich mich meines Körpers also auch zu schämen habe. Das tue ich bis heute. Daran haben auch Sauna und FKK nichts geändert. Daß ich mich von bestimmten Körperzonen distanziere, geht soweit, daß ich sie nicht ohne Zweifel, Scheu, oder eine gewisse Peinlichkeit benennen kann. Sicher ein Problem für viele Deutsche, deren sexuelle Entfremdung offenbar mit Phantasielosigkeit bestraft wurde. Trotzdem scheint es mir noch leichter, ,,Schwanz“ zu sagen als … äh …mh … ja eben … – also ich finde, ,,Möse“ it einfach ein scheußliches Wort!

Und dann wieder die Ambivalenz.

Wie war das nochmal? Das Weib ist dem Manne als Gehilfin geschaffen, damit sie um ihn sei, zu seiner Erbauung

sozusagen und zur Nutzung. Also habe ich bei allem auch die Botschaft empfangen, daß ich schön sein muß, daß mein Körper schlank sein soll – bis auf gewisse Stellen natürlich, die ER gern üppiger hat.

Auch das konnten die zwei bis drei Generationen wirtschaftlicher Selbständigkeit von Frauen nicht auslöschen:

SIE hat sich mit der Hilfe ihres Körpers und ihres gut geschminkten Gesichtes Sicherheit, eine Familie zu erkaufen, durch die sie Liebe und Bestätigung als Frau erfährt. Ich kenne einige, sonst ganz selbständige Frauen, die sich ohne Mann (ohne das Bezugsobjekt, vor dessen Hintergrund sie – wie in einer Blackbox – erst als Frau erscheinen) in

schwachen Augenblicken unvollkommen und minderwertig fühlen. Auch ich habe diese Augenblicke – und Freundinnen. Natürlich ist es vor allem Liebe, Zärtlichkeit, die ich vermisse; aber es ist auch der Wunsch, unterzuschlüpfen, in seiner ,,angeborenen“ Allmacht und Sicherheit geborgen zu sein, wenn ich mal wieder an mir und der Welt zweifle.

Es ist nicht die Sicherheit der distanzierten Verfügbarkeit von ,,ich hol´ gleich meinen großen Bruder“ oder ,,mein Mann sagt …“, sondern die geballte Kraft ihrer Wassersuppe, wenn ich mir von meinen besten Freunden anhören muß, daß die wunderbarsten Vorschläge zur Rettung der Welt zufällig von lauter Männern stammen, und das es ebenfalls nur Zufall ist, daß auch in unserem Kreis vor allem Männer die Macher und Bestimmer sind.

Vor lauter Zorn über die Ungerechtigkeit und Ignoranz merke ich kaum, daß ich hier auch fremden Göttern, nämlich dem männlichen Prinzip huldige. Tatsächlich ist es offenbar für die meisten Frauen gar nicht erstrebenswert, diesen Weg der Spezialisierung zu Bescheidwissern, Machern, Bestimmern etc. zu gehen und dafür die Vielfalt der menschlichen – vor allem emotionalen – Möglichkeiten einzuschränken. Die Zweifelhaftigkeit meiner Identität als Frau, die Unsicherheit in Situationen, wo Männer ganz ,,natürliche“ Autorität haben, ist mir ständig bewußt. Meine Mutter und die Mütter vor ihr haben ganze Arbeit geleistet.

Diese patriarchale Selbstverständlichkeit der Welt kommt mir oft vor wie ein Spiegelkabinett, in dem ich mich zwischen lauter Zerrbildern entscheiden soll, welches davon meins ist. Das Problem ist: Mein wirkliches Abbild ist gar nicht in der Auswahl und mein inneres Selbstbild ist mir verlorengegangen. Also – wieder die zwei Drachen!

Eines dieser Zerrbilder war mein erstes Verständnis von Frauenemanzipation: Frauen sollen den Männern gleichberechtigt sein, nachziehen. Das scheint auch heute noch eine verbreitete Sicht zu sein. Jedenfalls gibt es in zunehmender Zahl Fraueninitiativen, die sich darum bemühen, aus uns Managerinnen und Geschäftsfrauen zu machen.

Wir sollen also lernen, was Männer uns vormachen, nämlich die Welt totzuwirtschaften und nicht, diese Art von Fortschrittsgläubigkeit infrage zu stellen; das Ganze natürlich mit unserem ganz eigenen Charme und Einfühlungsvermögen.

Oder wir sollen unser Heil als Politikerinnen erstreiten, und kaum tut es eine, wird sie vom nächsten Karikaturisten als Mann dargestellt. Maggy Thatcher war mir wahrhaft wurscht, aber ich fand es ungerecht, daß ich über sie erfuhr, welches Kompotthütchen sie in dieser Saison präferiert, das einzige, was Journalisten über die Weiblichkeit einer Politikerin zu berichten wissen. Helmut ist einfach der Kanzler – Anzug oder Pullover stehen überhaupt nicht zur Debatte. Mann ist, was er ist, Frau, was sie trägt. Die Frage, die auch ich mir kürzlich stellen mußte, ist doch viel mehr: Welche Chance habe ich, die patriarchalen Machtspielregeln als gewählte, bezahlte Politikerin nicht mitzuspielen, politische Arbeit außerhalb von Machtkonstellationen zu machen (wo doch vor jeder Sachfrage durch Fraktionen, Koalitionen und Ämter die Entscheidungen schon klar sind), außerhalb von Leistungsdenken, entfremdeten Arbeits- und Umgangsweisen in der verbeamteten Politik. Ich habe sie für mich mit einer Absage beantwortet, bin mir aber keineswegs sicher, ob es nicht doch auch ein Weg der Veränderung des zerstörerischen Charakters von Politik ist, wenn Frauen in größerem Maße Einfluß nehmen, die Spielregeln unterlaufend.

Wenn es um eine Entscheidung geht, die physiologisch (,,leider!“) nur sie treffen können, muß mann sie wenigstens beraten. Der Paragraph 218, mit dem sie uns immer noch ins Haus und zum Gebären ihrer Erben zwingen wollen, greift nicht mehr. Frauen treiben mit und ohne Gesetz ab, wenn ihre Lage sie dazu zwingt. Statt diese Lage zu verändern, nivelliert man ein Gesetz. Das war eh‘ nur noch ein Gesundheitsrisiko für Frauen, weil sich einige in ihrer Not immer noch Kurpfuscherinnen anvertrauen. Vielleicht schlägt manchen Politikern wenigstens dafür das Gewissen, was sie mit diesem Gesetz der leiblichen Gesundheit von Frauen angetan haben. 1986 starben weltweit etwa 200.000 Frauen an den Folgen ungewollter Schwangerschaften, etwa ein Viertel davon durch unsachgemäße Abtreibungen. In der DDR waren es vor der Legitimierung des Abortes 1972 jährlich 60 bis 70 Frauen.

Was wäre mir geschehen, wenn ich nicht zufällig 1972, drei Monate nach meiner ersten Entbindung wieder schwanger geworden wäre, sondern ein Jahr vorher? Welches psychische Leid hätte das eventuell doch geborene, ungewollte Kind tragen müssen? Hätte ich auf den Rat seines Vaters hören sollen, der sich zwar gerade von mir trennte, aber trotzdem erwartete, daß ich ,,sein“ Kind austrage? Oder auf den Rat des Arztes, der meinte, ich sei jung und gesund und mit der Schwangerschaft sei ,,alles in Ordnung“?

Wer nimmt mir die Verantwortung dafür ab, daß ich mich trotzdem anders entschieden habe, und wer würde sie mir abnehmen, wenn ich ein psychisch geschädigtes Kind aufgezogen hätte? Ich kann sie nur allein tragen, bis heute, sowie ich die Verantwortung für meinen Anteil an der defizitären ,,Erziehung“ meines Sohnes trage. Hier allerdings – bei den lebenden Kindern – gibt es einen Anteil, den Staat und Politiker haben: die Rechte der Kinder auf selbstverantwortliche Entfaltung, die sie bisher ignorieren.

Deutschland ist bis heute der UNC Kinderkonvention nicht beigetreten. Also bleiben wir Frauen wieder mit der vertrackten Situation allein, Mütter und freie Menschen sein zu wollen, entwickeln irrationale Schuldgefühle gegenüber unseren Kindern, sind verzweifelt, wenn wir erfahren, was wir zum Beispiel durch die Geburt nach den Regel einer männlichen Medizin unseren Kindern antun.

Das männliche Prinzip ist das Zerteilen, Zerlegen, Auseinandernehmen, ins Detail gehen – das weibliche das Zusammensetzen, eine Situation im Zusammenhang sehen, fühlen, verstehen – auch das Wunder zu akzeptieren. Frauen haben sich in der Geschichte oft mit Mystik beschäftigt, Männner mit der Entmystfizierung. Wissenschaft ist keine ,,Fühlenschaft“. Beginnt man erst einmal damit, Natur und Leben zu analysieren, zu erforschen, in Einzelteile und Wissensgebiete zu zerlegen, wird es schwer, das Gefühl fürs Ganz, den Überblick zu behalten. Am Ende ist mann da, wo wir jetzt sind: Wir kennen Atome, Neutronen, Mikroorganismen, aber die Natur, zu der auch wir zählen, liegt in Agonie.

In diesem Sinne hat auch die Psychoanalyse, bei aller Genialität von Freuds Entdeckung des Unterbewußten, etwas Bedrohliches für mich: die Methoden der Analyse, das rationale Auseinandernehmen vom Bildern und Empfindungen und mit Hilfe des dualen Denkens in vereinfachenden Ursache-Wirkungsmustern zu neuen, beherrschbaren (?) Regeln zu gelangen (z. B. in der Traumdeutung: Zahn = Kastrationsangst). Und er erliegt – aus seiner Zeit erklärbar – dem männlichen Bewertungssystem, sein Geschlecht als das Ursprüngliche zu setzen. Wer mir ,,Penisneid“ zuschreibt, muß davon ausgehen daß der Penis etwas Beneidenswerte ist – wohl weil er ihn hat. Wer meinen Eintritt in die ,,ödipale Phase“ mit meiner Erkenntnis, daß ich ,,kastriert“ sei, erklärt, ignoriert erstens, daß ich kein Ödipus bin und erklärt mich wiederum aus einem Mangel, den ich aus seiner Sicht, gemessen an ihm, erleiden muß, indem er meine Eigengeschlechtlichkeit, die Vagina, ignoriert. Sie ist nicht zu sehen, bleibt also in Dunklen, Mystischen. Wer Masturbation an der Klitoris als „phallische Betätigung“ bezeichnet, befindet sich ganz in der Tradition männlicher Wertsetzung – auch über die Sprache.

Fälschlicherweise wird als Muttersprache bezeichnet, was wir klarer Männersprache nennen sollten. Sie ist ein täglicher Angriff, eine tägliche Verletzung für Frauen. Luise F. Pusch bezeichnet das in ihrem ebenso unterhaltsamen wie lehrreichen Buch ,,Das Deutsche als Männersprache“ sogar als Gynocid, als den Mord, die Ausrottung eines Gechlechts.(3)

Und es ist wahr – wir leben in der deutschen Sprache kaum. Frauen werden ständig mit männlichen Begriffen bezeichnet. Ein Wunder, daß mann mich überhaupt für würdig befindet, einen eigenen Paß zu haben, denn darin steht:

„Der Inhaber dieses Passes ist Deutscher“. Ich bin aber kein Deutscher, sondern eine Deutsche (was mir schon schwer genug zu schaffen macht) und außerdem eine Inhaberin. Mann stelle sich den umgekehrten Fall vor. Sämtliche Personenbezeichnungen wären weiblich. Wir hätten eine Kanzlerin, ausschließlich Ministerinnen, Polizistinnen, Bankerinnen … welch eine Katastrophe! Aber schon die inzwischen häufigen Versuche, beide Geschlechter zu erwähnen – liebe LeserInnen, Leser/ innen oder Leser und Leserinnen – werden abgelehnt. Das sei nicht sprachökonomisch, gegen die (!) Ästhetik und sowieso nur modischer Quatsch. Aber steckt dahinter nicht die Angst von Männern, ihre auch mit sprachlichen Mitteln gestützte Machtstellung zu verlieren?

Und noch weiter gefragt – was bleibt den Männern, wenn ihre Macht weg ist? Frauen haben durch ihre Gebärfähigkeit, durch ihre Verbindung zum Mond mit der monatlichen Blutung, eine angeborene, natürliche Spiritualität, eine Verbundenheit zu allem Leben. Männer werden auf sich zurückgeworfen und empfinden ohne ihre Konstrukte die Angst aller Menschen vor dem Alleinsein – siehe den Beitrag ,,Körpertherapie und Spiritualität“. Vielleicht liegt hier überhaupt einer der tiefsten Gründe für die Geschlechterrivalität, die uns an freier Liebe hindert.

Wenn Kinder anfangen, sich von der Mutter zu lösen, haben Mädchen die Chance, sich dem Vater und damit dem anderen Geschlecht zuzuwenden. Ich habe den Eindruck, daß Männer lebenslänglich in der Frau auch wieder die Mutter suchen, und wir Frauen sind allzu bereit, unsere mütterlichen Antennen auf Empfang zu schalten und mitzuspielen. Sie verlassen sich auf uns in den Dingen des Alltags, was wir zwar irgendwie als Belastung empfinden, aber auch als einen Weg, unsere Liebe zu „beweisen“.

Aber was hat das mit Liebe zu tun, wenn ich seine Wäsche wasche, was er auch ganz gut selbst tun kann, ihn wecken soll, wenn ich bei ihm geschlafen habe, was er sonst selbst tut. Er ist nicht mehr existentiell abhängig, regrediert aber dadurch partiell zum Kind, das mütterliche Zuwendung zum Überleben brauchte. Wenn mir nur immer klar wäre, was ich den Männern, auch meinem erwachsenen Sohn und mir natürlich damit antue, wenn ich aus ,,Liebe“ etwas für sie erledige, was sie längst selbst können!

Meine letzte Trennung von einem Mann hat sehr lange gedauert. Weil ich wollte, daß er versteht, daß ich ihn noch mag, habe ich ihn mit oben beschriebenen Zuwendungen bedacht. Was er nicht verstehen konnte, war, daß ich ihn nicht mehr liebte. Liebe ist ein Gefühl, also aus einem Bereich, den Männer mit der Überbetonung von Rationalem (Logik, Intellekt) und Körperlichem (Sport, Kraft) eher kompensieren. Ich habe versucht zu erklären, was mir fehlt, wohl weil ich meinem Gefühl dank meiner rationalen Erziehung selbst nicht ganz traue. Ein untauglicher Versuch, denn Gefühle kann man nicht erklären.

Es mußte mir immer schlechter gehen mit seinen Besitzansprüchen auf mich, seinen Verletzungen in Sprache und Berührung (… ,,eine Berührung, die du nicht wirklich willst, ist giftig.“ Osho), bis mir klar wurde: Ich kann nicht warten, bis er mich versteht. Ich kann auch nicht warten, bis meine Freunde verstehen, wie mich ihre männlichen Wertungen verletzen. Ich will – wenn wir darüber in Streit geraten – nicht mehr beschwichtigend einlenken, damit, daß ich nicht den einzelnen Mann, sondern das patriarchale Machtprinzip angreife und das Frauen natürlich nicht besser sind als Männer.

In Wahrheit denke ich: Im Moment sind Frauen ,,besser“ als Männer. Sie sind näher am Leben, deshalb mehr an seiner Erhaltung interessiert und beteiligt. Was nach dem männlichen Bewertungsprinzip (von Frauen weitgehend verinnerlicht) zum Beispiel als Weibergeschwätz gilt, ist vor allem das Leben. Sie reden von Kindern, Verwandten, von Lebensmitteln und deren Zubereitung, von Gesundheit, Krankheit und Tod, vom Alter, von Partnerschaftsproblemen und Nachbarschaft. Wer hätte die Stirn zu behaupten, das sei weniger wichtig als Politik, Autos, Philosophie, Erwerbsarbeit und Fußball?

Darüber hinaus beobachte ich bei Veranstaltungen, die sich mit der umfassenden Heilung der psycho-sozial-ökologischen Krise beschäftigen, mehr Frauen als Männer im Publikum; und wo in alternativen Projekten nicht vorrangig politisiert wird, sondern auch die spirituelle Dimension einbezogen ist, ebenso.

Also wage ich es wenigstens dieses eine Mal auszusprechen, daß ich für das Überleben dieser Welt mehr Hoffnung in die Frauen als in die Männer setze, wohl wissend und befürchtend, daß mir dies als Ab“wert“ung der Männer oder sogar als Männerhaß ausgelegt wird. Aber ich muß meinen eigenen Gefühlen vertrauen, wenn ich ein freier Mensch sein will – eine Chance, die ich nicht nur für Frauen, sondern auch für Männer sehe.

 

Quellen

(1) Bibel, Genesis, 2, Vers 7

(2) zitiert nach Simone de Beauvoir, ,Das andere Geschlecht“, rororo

(3) Luise F. Pusch, ,,Das Deutsche als Männersprache“, edition suhrkamp

Weitere Literatur:

– Simone de Beauvoir ,,Das andere Geschlecht“, rororo

– Luise Eichenbaum/ Susie Orbach, ,,Frauen unter sich – Feministische Psychotherapie“, Heyne

– Luce Irigaray, ,,Unbewußtes, Frauen, Psychoanalyse“, Merve

– Osho, ,,Liebe beginnt nach den Flitterwochen“, Osho-Verlag

– Sigmund Freud, Werkausgabe in zwei Bänden, S. Fischer

 

 

aus ICH 1/ 92