Erinnerung

Am Sonnabend teilte mir mein Freund mit, daß ich ihm nicht erotisch genug bin, nicht wild genug für eine dauerhafte Beziehung. Am Sonntag abend war eine Talk-Show im Fernsehen, bei der auch Hans-Joachim Maaz sprach. Am Montag besuchte ich meine Eltern. Dabei sprachen wir über die Talk-Show und ich teilte ihnen mit, daß ich mich entschlossen habe, eine Psychotherapie zu machen. Als ich wieder nach Hause kam, versuchte ich aufzuschreiben, was ich noch von dem Gespräch mit meinen Eltern im Kopf hatte und was mir dazu einfiel. Vielleicht könnt Ihr etwas damit anfangen.

Iris R. 

***

Vater:   ,,Die Gesellschaft ist mehr als die Summe ihrer Individuen! Eine ganz grundlegende Sache! Maaz! Dein Maaz verwechselt die Ebenen – die individuelle mit der gesellschaftlichen! Man kann nicht die persönlichen Störungen auf die gesellschaftlichen übertragen! Man kann nicht alles mit den Macken des einzelnen erklären!… Die Analytiker sind die eigentlich Schädlichen! … Sie haben in Wirklichkeit gar keinen Gegenstand für ihre Untersuchungen!“

Mutter: ,,Nein Iris, manches sehe ich auch so wie Maaz. Aber alles auf die Psyche und die individuelle Entwicklung zurückzuführen … und das tut er ja …“

Vater: ,,Du bist doch gesund! Was fehlt dir denn?! Neurose! Dieser Therapeut da wird bloß rauskriegen, daß ich dir zu oft ein paar hinter die Löffel gegeben habe!… Nein, ich habe keine Angst davor! Mir tut bloß das Geld leid, das du da rausschmeißen willst! Kauf dir ein paar tolle Klamotten, dann fühlst du dich auch besser! Schaff dir einen aufmunternden Freundeskreis an, wenn du an Depressivität oder sonstwas leidest!“ (Lachen, Hinter-den-Ohren-Kratzen) 

Mutter: ,, Ach Eberhard, wie furchtbar ungeschickt du aber auch immer im Argumentieren bist, wenn du einen überzeugen willst … Was? Ja, natürlich sollst du tun, was du willst, Iris. Aber wir sind auch berechtigt, unsere Meinung zu sagen … Siehst du, solche Diskussionen mag ich gar nicht …“

Peng! Mir fiel dazu kaum was ein. „Das Ganze ist mehr…“ Dazu sollten sich mal alle beschissenen Wissenschaftler bekennen!

Aber ich lächelte nur, wehrte ab. Wozu sollte ich mich verteidigen? Sinnlos! Ich gab zu verstehen, daß ich völlig anders denke, machen werde, was ich für richtig halte und daß es mir klar ist, daß sie mich nicht verstehen können und wollen. Verlangt auch keiner!

Schon gar nicht von meinem Vater, dem Arbeitssüchtigen, der nichts gelten läßt außer

„Wissenschaft“! Konkret heißt das: Mäuse aufschlitzen für die ,,Promotion B“, lebende Insekten in die Ätherbüchse werfen für einen weiteren wissenschaftlichen Fortschritt! Zu letzterem Zweck geht er während unseres „Gesprächs“ auch immer wieder hinaus …: 

Mutter:    ,,Aber Iris, natürlich ist seine Arbeit sein Leben! Er fühlt sich doch wohl dabei! Das ist doch entscheidend! … Was soll das sein – ein Ersatz? Unnormal?! … Also Iris, du kannst doch nicht in jedem was Krankhaftes sehen! Das ist doch Blödsinn!“

Dazu sage ich nichts mehr. Es sollte nur mal angepiekt sein.

Und du, Mütterlein, was ist denn DEIN Leben?? Ob mein Vater sich vor 10 Jahren, als er sich wegen seiner Sekretärin von dir trennen wollte, auch sagte, Arbeit macht das Leben aus? Ihr schlaft heute noch in getrennten Zimmern. Wunde Stellen …

Aber ach, es hat keinen Sinn, das auszusprechen. Ich will sie auch nicht erledigen mit solchen sie niederschmetternden Äußerungen. Wozu?

Aber sie sollen mich auch nicht belegen, weshalb ich das Gerede schließlich abbrach.

Zu Hause:

Was wollt Ihr alle von mir!!

Ich bin nicht wunschgerecht, für keinen, was?!

Sei artig, sonst lieben wir dich nicht!

Sei ungezogen, sonst liebe ich dich nicht!

Leckt mich am Arsch! Ich brauche Euch nicht,

Ihr aber mich! Habt Ihr’s noch nicht gewußt?

Ihr alle! Ihr gebraucht mich!

Ja, das tut Ihr!

Traktiert mich mit Appellen,

Ratschlägen, Huldigungen, Beschwörungen,

Verletzungen, sexuellen Perversionen!

Ich kann nichts dafür, daß EUCH was fehlt!

Ich will kein Opfer mehr sein, nicht mehr weiter …

Macht Euren Scheiß allein! Laßt mich aus dem Spiel!

Ich will nicht immer nur den Dreck abkriegen!

Ihr wißt ja alle nicht, was schön ist!

Ich kann es mir vorstellen.

 

 

aus ICH 4/ 94