Ein erfüllter Traum. Geburtsbericht

von N. B.

Als wir endlich wußten, wie unser Weg einer normalen, selbstbestimmten Entbindung aussehen kann, war mein Bauch schon sehr dick. Mein Muttermund war schon seit Wochen geöffnet, ab und an spürte ich starke Vorwehen -dementsprechend groß war unsere Angst, das Kind könne vorzeitig und auch noch in Erfurt kommen. Besonders heftig waren die Vorwehen, wenn ich mich unter Druck gesetzt fühlte – z.B. nach einer der sogenannten Schwangerenberatungen. Dieser Ärger wegen einem Pfund zuviel oder zuwenig, diese endlosen Kontrollen und Belehrungen. Im dortigen Warteraum hing ein Schild: ,,Die Reihenfolge der Patienten …“ – ganz abgesehen davon, daß dort nur Patientinnen saßen; ich fühlte mich da wirklich als Erduldende (=Übersetzung von Patientin). Heilfroh war ich, daß ich nach Zuspruch durch Frauen die Kraft fand, erst weitere vaginale Untersuchungen zu verweigern, dann auch nicht mehr hinzugehen.

Die Wende machte es möglich. Vierzehn Tage vor errechnetem Geburtstermin fuhren wir los: nach Hamm in Nordrhein-Westfalen. In dieser Stadt wohnt die Schwester einer Erfurterin. Diese Erfurter Frau hatte ihr 5. Kind im nahegelegenen Unna bei frei praktizierenden Hebammen zu Hause entbunden. Dieser Weg sollte uns nun auch möglich werden.

In Hamm wurden wir ganz lieb aufgenommen und hatten, dem Alltag enthoben, die Möglichkeit, ruhiger zu werden, uns auf die Geburt einzustellen. Öfter hörten wir die Kassette zur Geburtsvorbereitung von Sheila Kitzinger (Atmung, Entspannung, Körpergefühle, Massage). Die zwei freien Hebammen in Unna arbeiten in einem ,,Zentrum für Ge-burtsvorbereitung und Elternschaft“ mit, d.h., sie geben dort 2 x wöchentlich ,,Sprechstunden“ für werdende und gewordene Eltern. Diese verlaufen vollkommen frei und richten sich nur nach den Leuten, die kommen. Auch wir fuhren dorthin, u.a., um Anna und Basilissa (die Hebammen) kennenzulernen. Reden, Bauchfühlen, Fragen, Zuhören, warme, ermunternde Worte. Eine wunderbare Atmosphäre, zwei Frauen mit faszinierender Ausstrahlung.

Am 19. November (der 20. war der ,,Termin“) abends, 5 Minuten vor 22 Uhr hatte ich die erste Wehe, 10 Minuten später die zweite. Ich wußte im Gegensatz zur ersten Geburt sofort: jetzt geht es endlich los. Richtig: Blutiger Schleim ging auch schon ab. Ich wurde wahnsinnig aufgeregt, übermütig und konnte mich kaum bändigen. Endlich, endlich kann ich aktiv werden, es kann eine so schöne Geburt werden, das Warten hört auf, bald werde ich dieses Kind, zu dem ich schon in der Schwangerschaft intensiven Kontakt hatte, sehen können und streicheln!

Ich rannte rum, weckte Christiane und Claus, meinen Mann Wolfgang, die quietschvergnügte Tochter (1 ½ Jahre alt) und packte irgendwas ein. Wir fuhren zusammen nach Unna, bei der Anna zuhause sollten wir entbinden. Den Raum hatten wir uns schon einmal anschauen können. Wir kamen an und in diesem Raum allmählich wieder zur Ruhe. Drehten die Heizung auf, zündeten Kerzen und Duftlampen an, suchten Schallplatten heraus, rückten Kissen, Decken und Felle zurecht, richteten uns ein. Wolfgang brachte dann das Mädchen in einem anderen Raum zu Bett, ich duschte ausführlich, putzte Zähne, kämmte mich, zog frische Sachen an, wie halt so üblich bei der Vorbereitung eines Festes. Später waren Wolfgang und ich noch eine ganze Weile alleine, die Hebammen sollten wir ,,bei Bedarf“ rufen. Die Wehen kamen und gingen regelmäßig, wir gingen in dem wunderschönen Raum spazieren, während der Wehen suchte ich mir bequeme Stellungen auf den Kissen, Wolfgang massierte mich, wir redeten leise miteinander. Alle Unruhe und Ängste, die wir doch nicht restlos hatten vertreiben können, fielen ab, wir wußten auf einmal ganz genau, daß die Geburt ,,gutgehen“ wurde.

An einer Wand hing ein großes Bild von einer mächtigen Welle, das ich u.a. während der Wehen immer wieder anschaute. Genau so waren die Wehen. Als sie stärker wurden und nicht mehr durch Atmung fast schmerzlos zu machen waren, riefen wir Anna. Sie legte mir lange, sehr lange ihre warmen Hände auf meinen Bauch, und wir waren fasziniert, was sie uns danach alles über die Lage des Babys, sein Wohlergehen usw. erzählen konnte. Auf meinen Wunsch hin – sonst hätte sie es während der gesamten Geburt nicht getan, tastete sie auch meinen Muttermund. Als dieser weich und weit genug war, begann die schwierige Übergangsphase. Inzwischen waren auch Basilissa und Christine, eine Frau, die Hebamme werden möchte, da.

Das Baby drehte sich nicht in die für die Geburt notwendige Lage. Lange brauchte ich, um Zugang zu ihm zu finden und um die Wehen, die inzwischen sehr stark geworden waren, nicht zu bekämpfen, nicht gegenzuatmen, sondern mich in sie reinfallen zu lassen wie in eine Welle, und mich von ihnen tragen zu lassen. Als ich das endlich erreichte, verspürte ich kaum noch Wehenschmerzen, nur der ständige sehr starke Druck machte mir zu schaffen. Und, typisch für die Übergangsphase, ab und an verlor ich allen Mut, vergaß, wofür dies alles. Aber Basilissa, Christine und Wolfgang halfen mir, statt ,,nein“ ,,ja“ zu rufen, sie atmeten alle ganz intensiv und laut mit (langes Ausatmen), hielten mich, rückten die Wärmflaschen im Rücken zurecht, halfen mir, mich anders zu lagern, streichelten und lobten mich.

Nach vielen anderen Stellungen setzte ich mich schließlich auf einen Gebärhocker, Wolfgang saß auf Kissen hinter mir und umfing mich praktisch mit Armen und Beinen, die Frauen saßen vor mir, hielten meine Hände und schauten mir in die Augen. Doch obwohl Muttermund und Baby bereit schienen, sprang und sprang die Fruchtblase nicht. Hinterher erklärten sie uns, daß der Kindskopf so groß sei, daß nicht genügend Druck ausgeübt werden konnte. Basilissa bot mir schließlich an, die Fruchtblase zu öffnen. Erst zögerte ich, wo ich doch alles ganz alleine und natürlich und von selbst haben wollte, aber sie erklärte mir, daß es wie Schwimmbewegungen im bewegten Meer seien, und Hilfe durch Hebammen ja auch bedeute, den Frauen unnötige Schmerzen und Kraftverluste zu ersparen. Das war mir einleuchtend. Also ließ sie bei der nächsten Wehe den Finger einfach in meiner Vagina, und kaum berührte der die Fruchtblase, sprang sie auch schon. (Unter dem Gebärhocker stand eine Schüssel zum Auffangen von Blut und Wasser; ansonsten lag auf dem Boden noch eine dünne Folie ausgebreitet, das waren die ,,hygienischen Maßnahmen“). Als Basilissa mir auf meine Frage, wie lang es nunmehr noch dauern könne, antwortete, das hinge ja von mir ab, vielleicht 10 Minuten, vielleicht 4 Stunden, wurde ich richtig wütend. Noch 4 Stunden?! – nein das wollte ich nicht mehr, und ich rief ganz laut: ,,Ich will jetzt mein Kind!“ und schrie weiter, während ich presste, presste, presste. Und nichts mehr sah und nichts mehr hörte: Die Welt war nur noch Pressen, und das war so schön, wie auch schon bei meiner ersten Geburt. Ganz kurz verhielt ich, um den Damm nicht zu sprengen und Anna rannte nach dem Photoapparat. Noch einmal pressen, ich glaubte zu platzen, und dann kam dieses wunderbare Gefühl, wenn das Köpfchen des Kindes langsam aus der Vaginaöffnung gleitet, noch einmal pressen, und das Kind ist da, liegt auf den Händen der Frauen. Ein richtiges Kind. Groß. Und dick. Und wunderschön. Wir verstoßen alle gegen die ,,kein Lärm“-Forderung für eine sanfte Geburt und jubeln, lachen, weinen, umarmen und küssen uns. Ein kleiner Junge liegt auf meinem Bauch, ein Wenzel.

Rasch kommt die Nachgeburt. Wolfgang nabelt den Wenzel ab, durchschneidet die Nabelschnur. Wir betrachten ausgiebig die Nachgeburt, den Lebensbaum darauf, fassen sie auch an. Herrlich, einfach herrlich. Wenzel und ich werden zu einer vorbereiteten Matte geleitet, wir kuscheln uns unter eine Decke, er trinkt an meiner Brust. Jetzt wacht unser Mädchen auf, schaut sich interessiert diesen neuen Menschen an, geht spielen, später dann mit Wolfgang zum Bäcker. Wir frühstücken opulent, schwatzen fröhlich, bewundern das Baby.

Wir bleiben noch eine Woche in Christines Wohnung (auch in Anna´s Haus) und spüren weiterhin diese tragende Atmosphäre unter den Frauen. Es ist gar nicht notwendig, den Wenzel mal abzulegen, immer findet sich jemand zum Halten. Wolfgang und ich sehen unseren großen Traum von einer schönen und selbstbestimmten Geburt, den wir immer als ein paar Nummern zu groß für uns abgetan hatten, verwirklicht, ja übertroffen.

Ach ja, habe ich ganz vergessen, ich bin ein kleines Stückchen eingerissen, aber nach der doch etwas unangenehmen Näherei spüre ich nichts mehr von dem Riß, er verheilt problemlos. Wir reden noch viel miteinander, auch über Impfungen, Kinderpflege (überall Muttermilch drauf, ob wunder Po, seine ,,knietschigen“ Augen, das Übergangssekzem …) usw.

Wir sind allen Menschen, die mit dazu beigetragen haben, uns solch eine Geburt zu ermöglichen, zutiefst dankbar und fühlen uns ihnen sehr verbunden. Aus dieser Begeisterung heraus haben wir hier in Erfurt auch Leute angesprochen, eine Gruppe hat sich gebildet, um selbstbestimmte Geburten auch hier wieder möglich werden zu lassen.

 

Dieser Geburtsbericht wurde uns vom IRIS-REGENBOGENZENTRUM in Erfurt zur Verfügung gestellt.

 

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